Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/1997

Spalte:

593–595

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Rappel, Simone

Titel/Untertitel:

"Macht euch die Erde Untertan". Die ökologische Krise als Folge des Christentums?

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 1996. 436 S. gr. 8°. = Abhandlungen zur Sozialethik, 39. Kart. DM 52,­. ISBN 3-506-70239-4.

Rezensent:

Josef Römelt

Die in Freiburg als Dissertation angenommene Arbeit setzt sich das Ziel, den Streit zwischen den beiden Thesen über den Ursprung der ökologischen Krise der abendländischen technologischen Zivilisation zu entscheiden. Die Frage ist, ob die wesentlichen kulturellen Impulse, die zur krisenbedingenden Wertung der Natur als bloßem Objekt menschlicher technischer Nutzung und Manipulation geführt haben, als Produkt neuzeitlicher Entwicklungs- und Transformationsschübe der abendländischen Gesellschaft zu verstehen sind, oder ob sie ­ wie in zahlreichen Thesen immer wieder dezidiert behauptet (White, Amery, Drewermann) ­ schon in der christlichen Aussage von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen und seinem Herrschaftsauftrag über die Mitschöpfung entscheidend grundgelegt sind.

Nachdem R. den Vorwurf entfaltet hat, durch das "dominium terrae" des Menschen habe das Christentum den Prozeß der Zerstörung und der Entfremdung von der Natur eingeleitet, sucht sie in fünf eigenständigen Kapiteln die Berechtigung bzw. die Problematik dieser These zu überprüfen. Fünf Schlüsseldimensionen, die für das Verständnis des Zusammenhangs zwischen christlicher Kultur und abendländischer Entwicklung in bezug auf die ökologische Problematik von Bedeutung sind, werden reflektiert: der biblische Satz des ’"Macht euch die Erde untertan’, die Entfaltung des Begriffs der Arbeit in der abendländischen Kultur, das Aufkommen von Naturwissenschaft und Technik, die Genese und Deutung der Fortschrittsidee in den neuzeitlichen Gesellschaften und schließlich die Frage nach der Anthropozentrik der Selbstdeutung des abendländischen Menschen.

Die Analyse des biblischen "Herrschaftsauftrages", der dahinter stehenden Deutung der Beziehung zwischen Mensch ­ Natur ­ Gott bringt sehr eindringlich die eigentümliche Bedeutung des christlichen Verständnisses von der Stellung des Menschen zum Ausdruck. Die religiöse Interpretation der Welt als Schöpfung, innerhalb derer der Mensch als Ebenbild Gottes angesprochen wird, zielt auf eine realistische Balance zwischen der Würde und Größe des Menschen und seiner gleichzeitigen Relativität ab. Der zentrale Begriff, der das Verhältnis zwischen Gott und Mensch beschreibt, der Begriff der Schöpfung, ist Mensch und Natur gemeinsam. Die Deutung dieser Schöpfung als "creatio ex nihilo", ihre Wurzel im souveränen "Wort" Gottes, die Gleichnishaftigkeit der Schöpfung, ihre christologische Vermittlung und Würde als trinitarisches Geschehen sind der Rahmen, in dem die Bibel den Menschen als Bild Gottes sieht und ihm die Arbeit als existentiellen Selbstvollzug, als Dienst am Nächsten und auch als Last und (ntl.) Mittel zum Zweck aufträgt. Diese biblische Sicht der Arbeit des Menschen betont aber immer den radikalen und dienenden Unterschied zum eigentlichen Schöpfertum Gottes.

Auf diesem Hintergrund setzt die Autorin im folgenden mehrere Längsschnitte durch die Geschichte, in denen sie Entwicklungszusammenhänge der modernen Kultur zu ergründen versucht. Und sie findet in bezug auf das Arbeitsethos (über die Entwicklungen im Mönchtum) eine christliche Wertschätzung der Arbeit, die sich abhebt vom antiken Pessimismus, dem Arbeit (vor allem als handwerklich und körperliche Arbeit) als Hindernis in der Verwirklichung einer weisen und noblen Existenz erschien. Sehr scharf wird gerade die enorme theologisch-spirituelle Wurzel dieser Wertschätzung deutlich ­ bis in den Protestantismus hinein: "Wenn Gott sich der vielfältigen Berufe bedient, um seiner Liebe wirkmächtig Gestalt zu verleihen, ist der Rahmen vorgezeichnet, innerhalb dessen der Beruf zum Mittel zwischen Gesetz und Evangelium, Werken und Glaube, altem und neuem Menschen werden kann" (158). Allerdings sucht R. die schlichte monokausale Interpretation der These Max Webers zu relativieren, nach der sich über den Prädestinationsglauben des Calvinismus gerade diese theologische Betonung der Funktion der Arbeit zu einer wesentlichen Wurzel des Kapitalismus herausgebildet habe.

Zwar kommt den Studien Webers, "das sicher unbestrittene Verdienst zu, die sich im Beruf vollziehende rationale Lebensführung in ihrer Entstehung aus der christlichen Askese aIs ein konstitutives Moment des modernen kapitalistischen Geistes erhellt zu haben" (199). Aber "gegenüber den [differenzierteren] Ausführungen Webers" seien "sowohl deren popularisierende Versionen wie auch der Versuch, per Analogieschluß die Entstehung der modernen Wissenschaften durch die Religion zu erklären, lediglich Kausalbehauptungen" (203).

Diese Feststellung wird durch eine sorgfältige geschichtliche Analyse der Entstehung abendländischer Technik und Naturwissenschaft zu belegen versucht.

Die Untersuchung zeigt, daß die Anfänge der Naturwissenschaft, in denen sich das Denken vom deduktiven Deuten in Finalitäten zur Induktion verschiebt, entscheidend über den "Platonismus" der Mathematiker verläuft, in dem innerhalb des christlichen Horizonts immer noch die Idee des denkenden Nachvollzugs der in der Schöpfung niedergelegten Gedanken Gottes vorherrscht. Die Akzentverlagerung zum "verstärkten Interesse am experimentellen Beobachten" und zur "Wertschätzung der Technik" im l2./13 Jh. steht unter dem Stern der Annahme des "innovativen Strebens" als "mitschöpferisches Wirken des Menschen" in der Schöpfung Gottes (232 f.). Für Nikolaus von Kues kennt die Faszination an der Erkenntniskraft des menschlichen Geistes, der die Gesetze der Natur durchdringt ("homo enim deus est") immer eine letzte Grenze ("homo enim deus est, sed non absolute, quoniam homo" 235). Selbst im Denken der Renaissance bleibt das Bewußtsein um das Untergeordnetsein unter die größere Transzendenz Gottes erhalten, wenngleich hier das Selbstbewußtsein des Menschen als geistiger Mikrokosmos aufs äußerste gesteigert wird. Erst mit Beginn der Neuzeit zeigt sich die zunehmende Verselbständigung der wissenschaftlichen Erkenntnis vom Glauben, die schließlich in den (immer noch auch mit religiösen Denkmotiven umgebenen) Sätzen von Francis Bacon gipfelt, "die Natur müsse auf die Folter gespannt, unterdrückt und als Sklavin gefügig gemacht werden, damit sie ihre Geheimnisse preisgebe" (287) und der Mensch als ihr Dolmetscher in zunehmender Sicherheit und in Wohlstand leben könne (vgl. auch schließlich die "Geometrisierung der Natur" bei Descartes).

Für R. liegt hier eindeutig der eigentliche Beginn des technisch überzogenen Selbstverständnisses der abendländischen Kultur, das in die ökologischen Aporien der Neuzeit führt. Die Analyse des christlichen Zeitbegriffs und der neuzeitlichen Idee des Fortschritts erscheinen in diesem Sinne als einander fremd, insofern der christliche Gaube zwar auf eine lineare Zeitenfolge mit einer Erfüllung als erhofftes Ziel hin denkt, aber in der strengen Transzendenz der Eschatologie nicht einfach für die säkularisierte Verselbständigung eines immanenten Fortschrittsglaubens herhalten kann. Und so wirbt R. im Blick auf die konkreten Lösungen der ökologischen Krise durch bio-, physio- oder pathozentrische Paradigmenwechsel für eine Beibehaltung der christlichen, formalen Anthropozentrik, in der die besondere Stellung des Menschen als geistbegabtes Wesen im Kosmos geachtet, aber seine Bezogenheit auf die Natur zugleich mitgedacht ist. Die christlichen Begriffe der Schöpfung und der Mitgeschöpflichkeit von Mensch und Natur im Gegenüber zur personalen Transzendenz Gottes eröffnen anthropologisch und kulturell den Raum der Ehrfurcht vor der Natur, der notwendig ist, um den neuzeitlichen, technischen Anthropozentrismus und die damit verbundene rücksichtslose Hybris zu überwinden.

Die Stärke der Arbeit liegt in der enormen Sorgfalt und Kompetenz, mit der die historischen Entwicklungsprozesse bis in Nuancen hinein verfolgt werden und die abendländische Geschichte in ihren christlichen und außerchristlichen Entfaltungsdimensionen reflektiert wird. Auf diesem Hintergrund gewinnt das eindeutige Urteil an Überzeugungskraft, das den entscheidenden Anteil an den von der Natur entfremdenden Entwicklungstendenzen der Neuzeit mit ihrem anthropozentristischen Grundzug zuweist. Und doch bleibt gerade das Verhältnis zwischen christlicher Anthropozentrik und neuzeitlicher Übertreibung insofern ungeklärt, als die christliche Kultur bis heute zumindest nicht die Kraft hat, in ihrem eigenen Kulturraum die Dominanz neuzeitlicher Fixierung auf die Macht des Menschen zu brechen. Ob in dieser kulturellen Auseinandersetzung die Rückgewinnung des biblischen ganzheitlichen Menschen- und Schöpfungsverständnisses ausreichen wird oder die Hilfe umfassender systematisch-theologischer Reflexion notwendig ist, die sich den modernen philosophischen, humanwissenschaftlichen und kulturanalytischen Theorien der Relativierung des falschen Anthropozentrismus der technischen Kultur stellt, bleibt in der Arbeit Rappels allzu offen.