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Ausgabe:

Juni/1997

Spalte:

590 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Nischan, Bodo

Titel/Untertitel:

Prince, People, and Confession. The Second Reformation in Brandenburg.

Verlag:

Philadelphia: University of Pennsylvania Press 1994. XIII, 367 S., 2 Ktn gr.8°. ISBN 0-8122-3242-9.

Rezensent:

Ernst Koch

Das Buch greift ein Thema auf, das in der historischen Beschäftigung mit dem 17. Jh., dem konfessionellen Zeitalter, der brandenburgisch-preußischen Geschichte und der Kirchengeschichte Preußens immer wieder in seiner epochalen Bedeutung erkannt, in der hier reflektierten Zusammenschau der Ereignisse und Probleme aber noch nie behandelt worden ist: die Konversion des Kurfürsten Johann Sigismund von Brandenburg vom Luthertum zum Calvinismus, ihren weiteren Kontext und ihre Wirkungen bis in die Anfangsjahre der Regierung des Nachfolgers Johann Sigismunds.

Was das Buch interessant und farbig macht, ist die Berücksichtigung der Reaktionen auf die Ereignisse am Hof um das Jahr 1613 und auf die Propagierung der neuen Konfession im entstehenden Flächenstaat Brandenburg. Im Blick auf die Forschungsgeschichte und aktuelle Positionen unter Historikern keineswegs selbstverständlich ist die ganz am Anfang des Bu-ches ausgesprochene Überzeugung seines Autors, daß Gottesdienst und gelebter Glaube eine Schlüsselrolle für die Ereignisse spielen, denen sich die Arbeit zuwendet, also auch ein Schlüssel zum Verständnis dieses Zeitalters sind (2). Eine der Konsequenzen aus diesem Ansatz ist die Einbeziehung der Kulturanthropologie, in diesem Falle der Geschichte der Liturgie und ihrer Vollzüge in die Darstellung, um mit ihr die heftigen Reaktionen zu erklären, die die Maßnahmen Johann Sigismunds und seiner Berater auslösten. Mit der Nachzeichnung der politischen Geschichte verschränkt werden wirtschaftliche und sozialgeschichtliche Aspekte (z. B. 74 f.). Auch die Gründe für die geringe Bedeutung Luthers für die Reformation in Brandenburg kommen zur Sprache (11-17). Damit erfahren auch die Motive des Kurfürsten für seine Konversion differenzierte Be-achtung (95 f.).

Im einzelnen werden die Ereignisse und ihre Zusammenhänge in 10 Kapiteln verfolgt: die brandenburgische Reformation als via media (Kap. 1), der Triumph des Konkordienluthertums (Kap. 2), die Bedrohung durch die Gegenreformation (Kap. 3), die Konversion des Hohenzollern Johann Sigismund (Kap. 4), die Durchsetzung der Zweiten Reformation (Kap. 5), die Reformierung der Volksfrömmigkeit (Kap. 6), die lutherische Gegen-offensive (Kap. 7), die Antwort des Volkes (Kap. 8), Grenzen der Reformation (Kap. 9), Zugeständnisse und Kompromisse (Kap. 10).

N. weist auf die Bedeutung der Visitation des Jahres 1600 als Wendepunkt der kurbrandenburgischen Reformation hin. Sie hatte ihren Schwerpunkt in teilweisem Abbau von gottesdienstlichen Gebräuchen, die aus der mittelalterlichen Kirche übernommen worden waren, und legte das Gewicht weniger auf die Kontrolle der Reinheit der Lehre (66-70). Die bei dem Angriff auf die überkommene Abendmahlsfrömmigkeit ansetzende konfessionelle Umgestaltung, von dem aus Heidelberg herbeigerufenen Abraham Scultetus als "Klärung" bezeichnet, fand sowohl in der Hauptstadt als auch im Lande starken Widerstand bei Geistlichkeit und Laien, aber auch im Konsistorium, so daß dem Hof nichts anderes blieb als "a policy of benign neglect’ (114-126. 185-203). War doch in den Auseinandersetzungen die Verflechtung von religiösen und politischen Belangen unauflösbar (126). Überhaupt führt die Untersuchung eindrücklich vor Augen, in wie starkem Maße als Hebel für die "Zweite Reformation" in Kurbrandenburg liturgische Änderungen angesetzt wurden, um durch sie auch Veränderungen in der Lehre durchzusetzen (Kap. 6). Dies läßt darauf schließen, wie tief auch eine so konservative Reformation wie die in Brandenburg eingeführte sich der Bedeutung der Liturgie bewußt war und wohl auch in breiten Schichten Wurzeln geschlagen hatte (gegen N.s Meinung, 157). Es läßt aber auch darauf schließen, wie wehrlos sich eine an Wort und Lehre orientierte Theologie, die auf gewaltsamen Widerstand verzichten wollte, gegen verordnete Änderungen der Lehre machte, die nicht unmittelbar bei Lehrfragen einsetzte.

In diesem Bereich scheint N.s wichtige und erhellende Untersuchung in einigen Beurteilungskategorien nicht ganz ausgeglichen zu sein. Darf die Reformation in Brandenburg nur wegen ihres "ceremonial pomp and pontifical vestments’ und ihrer "old trappings and ceremony" als "Teil-Reformation" bezeichnet und ihr "incompletness" nachgesagt werden (36, 39)? Trifft es zu, daß die Bemühung um konfessionelle Solidarität mit dem orthodoxen Luthertum in Spannung zur Orientierung des gottesdienstlichen Lebens an überkommenen Formen stand (vgl. 47)? N. übernimmt Friedrich Blumes Meinung, die wohl kaum in Übereinstimmung mit Erkenntnissen der vorliegenden Arbeit zu bringen ist, daß es die Beibehaltung der lateinischen Sprache im Gottesdienst war, die dem Calvinismus die breiteste Angriffsfläche bot, weil sie angeblich die Gottesdienstgemeinde in Gebildete und Nichtgebildete teilte (150). Blume hat mit seinem Urteil wohl die gottesdienstliche Wirklichkeit des 16./17. Jh.s in ihrer Vielfalt nicht erfaßt und seine Maßstäbe einer anderen historischen Epoche entnommen.

Weniger wichtig ist eine mir nicht ganz einleuchtende Begriffsbildung. In Brandenburg handelte es sich wohl nach 1614 weniger um einen "poly-confessionalism’ (so 236 u. 245) als um Bikonfessionalität.

Zu korrigieren sind einige geographische Fehler: Görlitz liegt nicht in der Mark Brandenburg, sondern der Oberlausitz (71). S. 29 ist nicht "Görlitz", sondern "Göritz" zu lesen, wobei noch zu klären bleibt, welcher Ort gemeint ist, da mehrere Orte gleichen Namens in Frage kommen. Die S. 45 erwähnten Synoden in Sangerhausen und Langensalza haben mit Brandenburg nichts zu tun. Um Mißverständnisse zu vermeiden, sollte S. 48 Z. 7 v.u. besser Brandenburg-Altstadt und Brandenburg-Neustadt gelesen werden.

Das Buch vermittelt eine Fülle von erstmals mitgeteilten In-formationen aus archivalischen Quellen. Außerdem sei ausdrücklich auf die Behandlung des Leipziger Kolloquiums von 1631 und die Deutung seiner Ergebnisse hingewiesen (240-243). Dem Autor ist für ein gelungenes Werk zu danken, dem aufmerksame Leser und die Rezeption in der Erforschung der Kirchengeschichte des 17. Jh.s dringend zu wünschen sind.