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Ausgabe:

Juni/1997

Spalte:

573–575

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Baumgartner, Mira

Titel/Untertitel:

Die Täufer und Zwingli. Eine Dokumentation.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag 1993. XXVII, 355 S. 8°. Kart. sFr 42.­. ISBN 3-290-10857-0.

Rezensent:

Hans-Jürgen Goertz

Der Konflikt zwischen Ulrich Zwingli und den Täufern zählt zu den bittersten Kontroversen im reformatorischen Aufbruch. Er hat vielen das Leben gekostet, allerdings auch zwei Kirchentypen im Protestantismus hervorgebracht, die Geschichte gemacht haben: die Staats- und die Freikirche. Die Täufer wurden nicht nur damals verfolgt, verbrannt oder ertränkt, sondern auch später noch diffamiert, fehleingeschätzt und verzerrt dargestellt. Erst in unserem Jahrhundert ist ihnen Gerechtigkeit widerfahren, vielleicht ist das Pendel sogar zu weit zu ihren Gunsten ausgeschlagen und Zwingli ein wenig ins Hintertreffen geraten. Auf diese Entwicklung hat Mira Baumgartner mit einer Dokumentation reagiert und sich vorgenommen, das historische Material so aufzubereiten, daß auch Laien sich ein eigenes Urteil über den Konflikt bilden können, zumal die ökumenische Situation heute danach verlangt. Was immer noch zwischen den Kirchen steht, die aus beiden Traditionen erwachsen sind, hat in mancherlei Hinsicht mit jener Kontroverse in Zürich begonnen.

Das weitgestreute Quellenmaterial wurde gesammelt und geordnet, sprachlich modernisiert und teilweise aus dem Lateinischen übersetzt: Auszüge aus Geschichtsdarstellungen und Chroniken, Mandate, Briefe, Traktate, Bekenntnisse etc. Eine kleine Sammlung biographischer Skizzen beschließt diese Dokumentation. Die Texte werden kurz eingeführt, erläutert und miteinander verbunden. Da steckt viel Arbeit drin. Doch leider gibt es Gründe, die daran zweifeln lassen, daß diese Dokumentation auch wirklich gelungen ist.

1. Die Täufergeschichte wird eingangs aus der Perspektive gegnerischer Geschichtsschreibung (Heinrich Bullinger) und Chroniken (Johannes Stumpf und Johannes Kessler) in den Blick genommen (1-42). Zwar streut die Herausgeberin gelegentlich täuferische Äußerungen ein, doch der Argumentationsduktus ist kontroverstheologisch festgelegt und wird von obrigkeitlichen Mandaten gegen die Täufer, auch von Gerichtsurteilen über die Täufer verstärkt (43-62). Jeder weiß, daß die Kontroversliteratur voller Vorurteile, offensichtlicher und heimlicher Unterstellungen steckt. Der Leser wird darüber leider nicht aufgeklärt.

So fehlt beispielsweise ein Hinweis auf die Behauptung, daß Thomas Müntzer der Urheber des Schweizer Täufertums gewesen sei. Ein Blick in die Untersuchung Heinold Fasts zur Täufergeschichtsschreibung Bullingers (1959) hätte vor dem Schlimmsten bewahren können. Nimmt man noch die Äußerungen über die Täufer in der Zwingli-Korrespondenz hinzu (75-92/ 163-236), die überwiegend pejorativ sind (über Balthasar Hubmaier etwa schreibt Zwingli: "dieser nicht nur gottlose und rohe, sondern auch falsche Mensch’, 80), dann wird deutlich, wie wenig es gelingen kann, sich ein vernünftiges Urteil über diesen Konflikt zu bilden. Im Grunde wird nur das Urteil bestätigt, das bereits in der Einleitung insinuiert wurde: "daß Zwingli in der heutigen Beurteilung seiner Haltung gegenüber den Täufern Unrecht geschieht, daß die damalige Obrigkeit keine andere Wahl hatte, als der an-dauernden bürgerlichen Unbotmäßigkeit einzelner Täufer schließlich ausdrücklich Einhalt zu gebieten" (XV f.). Schwach fällt dagegen der Nachsatz aus, der die Ausgewogenheit des Urteils zum Ausdruck bringen soll: "und andererseits, daß sich auch die offizielle, von Zwingli geprägte Kirche mit ihrem Verhalten nicht immer das beste Zeugnis ausstellte" (XVI). Zwingli bleibt davon ausgenommen.

2. Die Täufer (ca. 90 S.) kommen viel knapper zu Wort als ihre reformierten Gegner (ca. 180 S.). Dieses Verhältnis ist unausgewogen und muß von vornherein Argwohn wachrufen. Außerdem ist es nicht das unbotmäßige Verhalten der Täufer, das den Kern des Konflikts bildet, sondern die theologische Sache. Doch da erhalten die Täufer nur selten ein Chance, sich zu Gehör zu bringen.

So werden Zwinglis Gedanken zur Verteidigung der Kindertaufe im Zusammenhang reproduziert, während aus einer Täuferschrift Hubmaiers, die später geschrieben wurde, aber in den Dokumenten vorher erscheint, nur die Einleitung zu lesen ist. Die theologischen Sachargumente fallen weg. Das ist um so mißlicher, als die Hgn. die Briefstelle Zwinglis unkommentiert passieren läßt, wonach Hubmaier die Frage der Erwachsenentaufe "auf alberne Weise" erörtert habe (78). Außerdem sind die Ausführungen Hubmaiers und die Schleitheimer Artikel (1527) Nachhutgefechte, ebenso die hutterischen Aussagen über Zwingli, auch die Aussagen des niederländischen Täuferführers Menno Simons zur reformierten Theologie und die Urteile des Obbe Philips über die Täufer, von denen er sich früh getrennt hatte. Nachhutgefechte sind auch die Texte aus dem Geschichtswerk Bullingers und der anderen Chroniken, die diese Dokumentation eröffnen. Das alles sind keine Quellentexte, die im akuten Konflikt produziert worden wären, sie vermitteln nicht mehr die Offenheit und Unentschiedenheit der Konfliktsituation. Doch das wäre von einer Dokumentation zu erwarten gewesen.

3. Die neuere Forschungsliteratur wird nicht zum Zuge gebracht, nicht einmal die Untersuchungen John H. Yoders zu den Gesprächen zwischen den Reformierten und den Täufern (1962/ 68), ganz zu schweigen von den revisionistischen Studien der letzen beiden Jahrzehnte. So hat die Hgn. sich um die Chance gebracht, die Kontroverse historisch-genetisch zur Darstellung zu bringen: von den Prototäufern zu den frühen Täufern und den späteren Schweizer Brüdern. Schließlich sind auch die biographischen Skizzen oft sehr ungenau, stellenweise sogar mit erheblichen Fehlern belastet (z. B. über Müntzer, Melchior Hoffman, Karlstadt). Auch hier rächt sich die Vernachlässigung der neueren Literatur.

So begrüßenswert die Absichten der Hgn. ist, den Zürcher Reformationskonflikt zu dokumentieren, aber den Laien hat sie mit dieser Dokumentation nicht wirklich weitergeholfen.