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Ausgabe:

Juni/1997

Spalte:

549–552

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Gleßmer, Uwe

Titel/Untertitel:

Einleitung in die Targume zum Pentateuch.

Verlag:

Tübingen: Mohr 1995. XIV, 274 S. gr.8° = Texte und Studien zum Antiken Judentum, 48. geb. DM 138.­. ISBN 3-16-145818-4.

Rezensent:

Rüdiger Bartelmus

Bei dem vorliegenden 48. Band der Reihe "Texte und Studien zum Antiken Judentum" handelt es sich um die ­ partiell revidierte - Publikation der ersten beiden Kapitel einer Dissertation mit dem Titel "Entstehung und Entwicklung der Targume zum Pentateuch als literarkritisches Problem dargestellt am Beispiel der Zusatztargume" (Doktorvater K. Koch), die im Mai 1988 vom Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Hamburg angenommen wurde. Den langen Abstand zwischen der Annahme der Arbeit und der Publikation der beiden ersten Kapitel derselben erklärt der Vf. u. a. mit dem Umstand, daß nach der Abgabe der Dissertation mehrere Editionen der einschlägigen Texte erschienen sind (so v. a. M. L. Klein, Genizah Manuscripts of Palestinian Targum to the Pentateuch, Cincinnati 1986 bzw. ders., New Fragments of Palestinian Targum from the Cairo Genizah, Sef. 49 [1989] 123-133), auf die ein Buch, das sich als "Einleitung" in die Targume versteht, notwendig Bezug nehmen mußte. Es scheinen jedoch auch noch andere Faktoren eine Rolle gespielt zu haben ­ insbesondere natürlich der Wechsel in der "Gattung" des Textes (Dissertation ­ Einleitung).

Der im Titel gebrauchte Terminus "Einleitung" darf ­ das sei vorweg gesagt ­ nicht zu weit gefaßt verstanden werden. Es handelt sich zwar um eine Analogiebildung zur Verwendung des Terminus in Fügungen wie "Einleitung in das AT" bzw. "Einleitung in das NT", aber doch in einem stark eingeschränkten, technischen Sinn: Verhandelt werden nur "Sprache ­ Texte ­ Hilfsmittel" (2) ­ inhaltliche Fragen, die in den klassischen Einleitungen in das AT bzw. NT eine gewichtige Rolle spielen, werden hier kaum berührt. Insofern wirkt auch die ­ im Vorwort als Zielangabe des vorliegenden wie des ursprünglichen Opus verwendete ­ Formulierung, es gehe dem Autor darum, "die Targume als Zeugen der Wirkungsgeschichte der hebräischen Bibel mehr und kritisch zu erschließen" (VIII), etwas zu vollmundig. Natürlich ist zumindest dem Fachmann klar, daß auf gut 200 Textseiten nicht der ganze Reichtum der frühjüdischen bzw. rabbinischen theologischen Reflexion erschlossen sein kann, der in die verschiedenen Targume zum Pentateuch Eingang gefunden hat, aber das sollte doch aus dem Titel oder zumindest aus dem Vorwort deutlicher hervorgehen. E. Würthwein etwa hat sein bekanntes (und in der Sache vergleichbares) Arbeitsbuch ja auch nicht als "Einleitung" hinausgehen lassen, sondern diesem den präziseren Titel "Der Text des Alten Testaments" gegeben.

Unbeschadet dieser kritischen Vorbemerkung (und einiger noch zu erwähnender Monita) ist die Veröffentlichung dieses materialreichen Forschungsbeitrages natürlich grundsätzlich zu begrüßen, wartete doch die wissenschaftliche Öffentlichkeit seit langem auf eine umfassende deutschsprachige Einführung in die durch immer neue Textfunde bzw. -editionen unübersichtlich gewordene Welt der aramäischen Bibelübersetzungen.

Nach einem einleitenden Teil, in dem u. a. Zielsetzung, Forschungssituation und Textzeugen in aller Kürze vorgestellt werden (1-11) ­ besondere Aufmerksamkeit verdient dort das Kapitel "Der Weg zu einer Modellvorstellung" (8-11) ­, gliedert sich das Buch in drei Teile von unterschiedlichem Gewicht. Im ersten Teil geht es um die "Aramäische Sprache" (13-75) [der nicht ganz zutreffende Untertitel lautet: "Aramäisch im Palästina der zwischentestamentlichen Zeit"]. Der zweite Teil beinhaltet ­ unter Ausweitung des im Titel angekündigten Rahmens ­ die "Einleitung in die aramäischen Übersetzungen zum Pentateuch", was naturgemäß die Peschitta mit einschließt (77-203). Im dritten Teil werden dann noch "Hilfsmittel" aufgelistet (205-232); dort hat der Vf. neben Verweisen auf "Texte" (gemeint sind Textausgaben), Einleitungen, Bibliographien, Wörterbücher, Grammatiken, Konkordanzen und Übersetzungen dankenswerterweise auch noch "Tabellarische Übersichten zu den Textzeugen aus der Kairoer Geniza", sortiert nach Bibelstellen, Handschriften und Handschriften-Typ, untergebracht (213-232). Die üblichen Beigaben ­ ein "Literatur- und Autorenverzeichnis" (233-262), ein "Stellenregister" (263-270) und ein "Sach- und Namenregister" (271-274) ­ schließen den Band ab.

Im ersten Teil wird knapp und zutreffend über Grundprobleme der Aramaistik referiert ­ allerdings nach einem nicht jedermann verständlichen Gliederungsprinzip, so daß der Informationsgewinn gegenüber den einschlägigen Lexikonartikeln gering bleibt [vgl. R. Degen ­ H. P. Rüger, Aramäisch, TRE 3, 599-613; E. Y. Kutscher, Aramaic, EJ 3, 259-287; im Literaturverzeichnis fehlt übrigens ein Hinweis auf den Art. von Degen, dem Vf. in vielem folgt!].

Dabei irritiert nicht allein der Umstand, daß die Ordnungsnummer 1.2 zweimal erscheint ­ einmal für "Die Phasen des Aramäischen" (17-31) und einmal für "Sprachliche Unterscheidungsmerkmale der Phasen des Aramäischen" (31-40) ­, auch die Hauptgliederung "1. Aramäisch und Altes Testament" (14-62), "2. Palästina" (63-67) und "3. Die zwischentestamentliche Zeit" (68-75) wirkt befremdlich ­ werden doch unter 1. auch Fakten verhandelt, die recht eigentlich unter 3. einzuordnen wären bzw. die ­ wie das Spät- und Neu-Aramäische (29-31) ­ überhaupt nicht zum Thema von 1. passen. Zudem fügt sich Punkt 2. überhaupt nicht in das System, zumal das AT wie auch die Schriften der zwischentestamentlichen Zeit schwerlich von Palästina zu lösen sind: Wenn schon ein Kapitel mit geographischem Titel, dann würde man eher eines zu "Babylonien" erwarten, wo zumindest der Targum Onkelos endredigiert worden sein dürfte. Hilfreich ist in diesem Kapitel immerhin die Tabelle, in der die ältere und die neuere Klassifikation der aramäischen Dialekte übersichtlich zusammengefaßt ist (19); auch das Kapitel "Das methodische Problem von Sprachanalysen" (40-57) enthält einige erwägenswerte Anregungen.

Im zweiten Teil fällt zunächst auf, daß der Vf. den "jüdisch-rabbinischen" aramäischen Übersetzungen nahezu den gesamten Raum widmet (77-199), während für die restlichen vier Seiten übrig bleiben (200-204). Das mag im Blick auf die Peschitta, deren Vorkommen in einer "Einleitung in die Targume" unbeschadet der Überlegungen von A. Baumstark und P. Kahle etwas verwundert, und im Blick auf die Christlich-Palästinischen Pentateuchübersetzungen, die uns nur als Einzeltexte aus Lektionaren bzw. aus Kirchenväterzitaten bekannt sind, berechtigt sein; im Falle des samaritanischen Targums erscheint die Bevorzugung des "Hauptstrom"s der jüdischen Tradition (200) doch recht fragwürdig.

Den "jüdisch-rabbinischen" aramäischen Übersetzungen sind vier Teilkapitel gewidmet, das erste dem "babylonische(n) Targum Onqelos" (84-94), das zweite der "palästinische(n) Targum-Tradition" (95-181), das dritte dem "Targum Pseudo-Jonathan" (181-196) und das vierte "Explizite(n) Zitate(n) der palästinischen Targum-Tradition" (197-199); in letzterem werden übrigens bedauerlicherweise nur Zitate aus dem Aruch Completum des Nathan ben Jechiel bzw. dem Meturgeman des Elias Levita angesprochen, nicht aber die ungleich breiter belegten Zitate in den Midraschim. Im Blick auf die separate Behandlung der beiden seit langem bekannten Targume ­ den Targum Onkelos (TO) und den Targum Pseudo-Jonathan (TJ) ­ überrascht diese Einteilung nicht; um so mehr ist der Leser irritiert, daneben ein Sammelkapitel zur palästinischen Targum-Tradition vorzufinden (die überdies ja noch ein weiteres Mal im vierten Teilkapitel erscheint), und zwar aus verschiedenen Gründen. Zum einem ist damit das naheliegende (und im Falle von TO und TJ auch realisierte) Prinzip durchbrochen, daß geschlossen überlieferte Texte in je einem eigenen Kapitel behandelt werden sollten (und Neofiti I ist nun einmal als geschlossenes Manuskript überkommen), zum anderen wird so suggeriert, daß es eine ausgemachte Sache sei, daß TO und TJ nichts mit der palästinischen Targum-Tradition zu tun haben; weiters wird so die Debatte um das Alter von Neofiti I (bzw. der dort verarbeiteten Traditionen) vorschnell entschieden, und schließlich wird dabei eine relative Einheitlichkeit der Überlieferung unterstellt, die so sicher nicht gegeben ist.

Innerhalb der TO und TJ gewidmeten Kapitel behandelt der Vf. nach einem weitgehend übereinstimmenden Gliederungsschema Name, Überlieferung, Sitz im Leben, Text, Sprache und Entstehungszeit des Targums (bei TJ erweitert um ein Kap. zur Textform), wobei die unterschiedlichen Forschungspositionen deutlich herausgearbeitet sind. Im Kapitel zur palästinischen Targum-Tradition kehren zwar die Elemente Name, Überlieferung, Sitz im Leben und Sprache(n) wieder, dann aber folgt ein großes Kapitel "Textzeugen" (101-181), in dem der Vf. Palästinische Targume mit kontinuierlichem Text, Fragmenten-Targume, Targum-Lektionare, Hebräische Machsorim mit aramäischen Lesungstexten und Zusatz-Targume als Untergruppen benennt.

Diese Einteilung entbehrt zwar nicht einer gewissen Logik, kann aber nicht ganz überzeugen. Jedenfalls müßte deutlicher herausgearbeitet werden, weshalb Vf. etwa Neofiti I nur neben bzw. nach den Fragmenten aus der Kairenser Geniza unter die Palästinischen Targume mit kontinuierlichem Text einreiht, zumal er ja zugesteht, daß die Mss E und Z ursprünglich wohl nicht vollständig waren und die Mss A-D nur fragmentarisch überkommen sind (115). Dennoch ­ wer rasch und umfassend über die bis heute gefundenen Texte informiert werden möchte, wird hier nicht enttäuscht.

Ärgerlich ­ und angesichts des im Titel erhobenen Anspruchs kaum verzeihlich ­ ist die Tatsache, daß der Vf. die lange Zeit zwischen dem Abschluß der Dissertation und der Publikation der ersten Kapitel derselben nicht dazu genutzt hat, Fehler im Literaturverzeichnis zu beheben bzw. gravierende Lücken in demselben zu schließen ­ die Nachführung der Texteditionen von M. L. Klein (s. o.) allein genügt da nicht. Um neben der bereits erwähnten Lücke im Literaturverzeichnis nur einige wenige besonders problematische (Fehl-) Stellen zu erwähnen: Das bis heute unersetzliche (und deshalb häufig nachgedruckte) Lexikon von M. Jastrow (1903) erscheint unter einem eigenwillig umformulierten Titel, Schürers "Geschichte des jüdischen Volkes..." erscheint nur in der englischen (erweiterten) Neuauflage, und von der älteren Literatur fehlt u. a. der wichtige Aufsatz von F. Rosenthal, Aramaic Studies during the past Thirty Years, JNES 37 (1978) 81-91.(Dessen Kenntnisnahme hätte den Vf. übrigens davor bewahren können, seine "Perspektive" als einen wesentlichen Fortschritt gegenüber dem Erkenntnisstand Rosenthals zu erklären [13; doch s. a. 19 Anm. 19 u. ö.]). Daß der Vf. den Kongreß-Bericht vom Dubliner Treffen der führenden Targumwissenschaftler (1992) nicht erwähnt (D. R. G. Beattie ­ M. J. McNamara, The Aramaic Bible. Targums in their Historical Context, JSOT.S 166, Sheffield 1994; vgl. dazu die Rez. des Unterzeichneten in ThLZ 120, 1995 241-244), ist angesichts der zeitlichen Nähe des Erscheinens dieses Bandes zum Abschluß des Manuskripts (April 1995; VIII) zwar eher verständlich, aber nichtsdestoweniger ein gravierender Mangel. Die vielen weiteren kleinen Ungenauigkeiten wie z. B. die (Computer-Satz-bedingte?) doppelte Auflistung von Mulder (255), eklatante Druckfehler oder stark abgekürzt zitierte Titel hier im einzelnen zu benennen, verbietet sich; Benutzer des Literaturverzeichnisses seien gleichwohl davor gewarnt, die Literaturangaben ungeprüft zu übernehmen.

So sehr es zu begrüßen ist, daß nunmehr eine deutschsprachige (leider sehr teuere) Einführung in die Welt der Targume zum Pentateuch vorliegt ­ das Buch von Gleßmer kann angesichts der angesprochenen Mängel den Bedarf an kompetenter Information über die Targume nur bedingt befriedigen; doch ist das nicht das Problem des Vf.s. Kann man es als Herausgeber einer renommierten Reihe verantworten, aus dem Zusammenhang einer Erstlingsarbeit mit anderer Fragestellung gerissene Teile als "Einleitung in die Targume zum Pentateuch" zu verkaufen?