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Ausgabe:

Februar/1999

Spalte:

141–144

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

(1) Schwager, Raymund [Hrsg.] (2) Mwakabana, Hance A. O. [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

(1) Christus allein? Der Streit um die pluralistische Religionstheologie.
(2) Andere Religionen aus theologischer Sicht. Auf dem Weg zu einer christlichen Theologie der Religionen. Dokumentation über eine Konsultation, Bangkok, 10.-13. Juli 1996. Übers. von U. Gassmann.

Verlag:

(1) Freiburg-Basel-Wien: Herder 1996. 207 S. 8 = Quaestiones disputatae, 160. DM 42,-. ISBN 3-451-02160-9.
(2) Genf: Lutherischer Weltbund 1997. 281 S. 8 = LWB Dokumentation. Kart. DM 36,-. ISBN 3-906706-57-5.

Rezensent:

Ulrich Dehn

Die Diskussion über eine Theologie der Religionen ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen, auch im deutschsprachigen Bereich zu einer Kontroverse über die "pluralistische Religionstheologie" aus dem angelsächsischen Raum geworden. Dazu trugen u. a. die Rezeption durch R. Bernhardt und durch P. Schmidt-Leukel bei, bei dem ersteren mit differenzierten Stellungnahmen, sowie die deutschen Übersetzungen von Protagonisten wie Paul Knitter und John Hick.

Die Texte des Bandes "Christus allein?" entstammen direkt oder indirekt einer Tagung der Arbeitsgemeinschaft deutschsprachiger katholischer Dogmatiker und Fundamentaltheologen in Freising im September 1994. Schmidt-Leukel, der noch in seiner Dissertation "Den Löwen brüllen hören" (Paderborn 1992) einen eigenen originellen, überwiegend "bilateralen" (christlich-buddhistischen) Ansatz vorgeschlagen hatte, ist seitdem und auch hier mit einer scharfen Darstellung und Analyse als Befürworter der pluralistischen Religionstheologie Hicks zu finden. Die bereits an vielen Stellen von ihm traktierte und nicht unumstrittene Kategorisierung in Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus, die seit der Weltmissionskonferenz in Edinburgh 1910 in Gebrauch ist, bietet den Ausgangspunkt, und es wird erkenntnistheoretisch und theologisch zur Hauptthese Hicks hingeführt, "daß sich zumindest ein Teil der Vielfalt religiöser Erfahrung im Sinne unterschiedlicher, aber gleichermaßen authentischer Erfahrungen mit derselben göttlichen Wirklichkeit deuten läßt" (27). Dem von seiner Natur her "unbegrenzten" göttlichen Erkenntnisgegenstand "an sich" kommen wir nicht auf die Spur, sondern nähern uns aus je verschiedenen Richtungen mit verschiedenen "Linsen". Ein Hauch von Kant weht durch Hicks Denken, ohne daß er sich direkt als Kantianer verstehen will. Noch mehr aber hat hier, darauf weist der indische Theologe Israel Selvanayagam im zweiten zu besprechenden Titel hin (dort 176), der Hinduismus (bzw. Neohinduismus) Pate gestanden. Mythen helfen uns, menschlich von dem zu sprechen, was menschliche Sprache transzendiert. Das differenzierte Beurteilungsinstrumentarium des Pluralismus gegenüber anderen Religionen läßt Schmidt-Leukel den Relativismus abweisen. Wenn jedoch die Unterscheidung zwischen "legitimer" und "illegitimer Vielfalt" (die selektiv auch veranschaulicht wird) keine größere und differenziertere Verbindlichkeit auch theologischer Art erhält, bleibt die Abweisung des Relativismus Rhetorik, auch in diesem sonst sehr erhellenden Beitrag. "Die Vielfalt anerkennen und von ihr fasziniert sein ...!" (46) ist ein theologisch und emotional wichtiger Satz, der dunkel ahnen läßt, daß ein strikt verleugneter Relativismus und Beliebigkeit in der Wahrheitsfrage dicht beieinander liegen können.

Mit unzähligen Belegen rekapituliert Bsteh im nächsten Aufsatz die Haltung der offiziellen katholischen Kirche zu den anderen Religionen und entfaltet das Thema insofern weniger allgemein hermeneutisch als ekklesiologisch. Er knüpft an die Öffnung zu den anderen Religionen mit dem 2. Vatikanum an und entwickelt ausgehend vom Begriff der "Beziehung als Schlüsselbegriff christlicher Identität" (76 u. a.) ein konziliares Verständnis, das zuletzt vom gemeinsamen ethischen Ringen der Religionen, wie es sich etwa in der Weltkonferenz der Religionen für den Frieden ausdrückt, reden kann. Die Auseinandersetzung mit dem Begriff des Pluralismus läßt bei Bsteh Konturen vermissen, die jedenfalls durch den Begriff der "Beziehung" nicht zufriedenstellend geboten werden. Aufhorchen lassen die drei Beiträge (Jósef Niewiadomski, Raymund Schwager, Gerhard Larcher), die sich am "dramatischen Konzept" versuchen, einem der interessanten Schwerpunkte des Buches.

Drei einander ergänzenden Perspektiven werden geboten: eine zeitdiagnostische (Niewiadomski), eine biblisch-theologische (Schwager) und eine hermeneutisch-systematische Perspektive (Larcher). Die Komplexität und Konflikthaltigkeit unserer gegenwärtigen Weltwirklichkeit, das Konfliktpotential der religiösen Welt, der Stellenwert, den dramatische und konflikthafte Interaktion auch in der Bibel Alten und Neuen Testaments hat, führen die Autoren zum Reflektieren auf den "weitergehenden Streit der Freiheiten, einen Konflikt um der Wahrheit willen, d. h. um einen langwierigen Prozeß der Verständigung" (Larcher, 110 f.). Die recht schwer griffig zu machenden Anfragen an den Pluralismus Hicks können in folgenden Formulierungen Larchers zusammengefaßt werden: Es gehe "um eine anzuerkennende Unbedingtheit inmitten des Relativen, um je konkret-universale Perspektiven. Diese Unbedingtheit darf nicht um einer harmonistischen Metaperspektive bzw. um eines kleinsten gemeinsamen Nenners religiöser Erfahrung willen aufgegeben werden. Es bedarf vielmehr ’starker Identitäten’, um realistisch den Dialog zu führen" (111). Die hier vorgebrachten Einwände und Gegenkonzeptionen wurden von den drei Autoren in einem mehrmonatigen Vorlauf der o.g. Tagung diskutiert, bevor sie diese schriftliche Form fanden.

Diesem Höhe- und Mittelpunkt des Buchs (83-117) folgen Auseinandersetzungen aus philosophischer Sicht (Armin Kreiner, 118-131), Argumentationen am Begriff des Pluralismus aus der Sorge, es hier mit einem "Zwilling" des Fundamentalismus zu tun zu haben (Hansjürgen Verweyen, 132-139), oder im Blick auf andere begriffsinterne Widersprüche z. B. mit der Tendenz einer "Ästhetisierung der Wahrheitsfrage" (Jürgen Werbick, 140-157) konfrontiert zu sein. Hans Kessler, der in anderem Zusammenhang bereits als Kritiker des Projektes Weltethos hervorgetreten ist, argumentiert hier (158-173) gegenüber dem pluralistischen Anliegen "aus der Mitte des christlichen Glaubens" (173) heraus für einen Ansatz, der mit inklusivistischen Elementen Dialogfähigkeit entfaltet und auch den Vertretern anderer Religionen mit auf ihren jeweiligen Weg helfe (171). Im Beitrag von Edmund Arens (174-188) wird gegenüber dem "Pragmatismus" des pluralistischen Ansatzes deutlich auf die notwendige Binnenperspektive einer praktischen Religionstheologie hingewiesen, während Hans Zirker (189-202) im abschließenden Text den allzu globalen Ansatz der Pluralisten noch einmal auf das bilaterale und so schon genügend komplexe Gespräch zwischen Christentum und Islam hin zuspitzt. An den Widersprüchen und Komplikationen dieser konkreten Begegnung allein müßten die Postulate Hicks und anderer scheitern, sofern sie sich tatsächlich einer Überprüfung ihrer Hypothesen unterzögen.

Mit dieser konkreten Auslotung religionstheologischer Kriterien und entsprechenden Anfragen an die "Pluralisten" wird der Band angenehm abgerundet, der auf hohem Niveau einen interessanten Einblick in das pluralistische Konzept selbst sowie in die wichtigsten Argumente um und gegen das Denken Hicks, Knitters und anderer gibt.

Auf mehr "Bodenhaftung" im Sinne konkreten Erfahrungshintergrunds im Leben mit anderen Religionen beruht der Dokumentationsband des LWB. Insofern es sich um einen Sammelband der Erträge und Protokolle einer internationalen Konsultation (Andere Religionen aus theologischer Sicht, Bangkok 1996) handelt, entzieht sich das Buch in gewissem Sinne dem Zugriff einer Besprechung, aber einige Schlaglichter sollen geworfen und Eindrücke erwähnt werden. Der Band gibt nach dem Vorwort (V. Mortensen, Direktor der Studienabteilung des LWB) und der Einleitung (H. Mwakabana, Sekretär dieses Studienprogramms) die Berichte von fünf Arbeitsgruppen wieder (21-169), die sich über einige Jahre aus christlicher Sicht mit je einer großen religiösen Tradition (afrikanische Religion, Buddhismus, Konfuzianismus, Hinduismus, Islam) befaßt haben. Hier treten eine Reihe interessanter Unterschiede und Profile zutage. So muß die Gruppe zum Konfuzianismus mit dem Problem umgehen, daß den lutherischen Gesprächspartnern hier nicht eine Religion im konventionellen Sinne, allenfalls eine "diffuse Religion", ein "Ethos, eine Lebensweise oder Weltanschauung" gegenübertritt; ein ausführlicher Anhang erläutert einige Problemfelder. Andererseits kann die Islam-Gruppe auf eine Geschichte intensiver und auch kontroverser Begegnungen zweier hochgradig kompatibler Religionen zurückschauen, in denen die Themen und Sensibilitäten weithin definiert sind. Der Buddhismusgruppenbericht läßt ein hohes Maß an Faszination ahnen und erwähnt u. a. das gelungene Dialogstudienprojekt der Mahidol-Universität in Thailand (68).

Erheblich kürzer fallen die sechs thematischen Gruppenberichte im letzten Teil des Bandes aus (221-255). Da die Gruppe V (Zeugnis, Mission, Methodik) sich gezielt mit dem thematischen Überblicksbeitrag des amerikanischen Theologen Paul V. Martinson auseinandersetzte, ist auch seine Antwort auf diesen Bericht dokumentiert. Größeren Raum hingegen nehmen noch einmal der Grundsatzbeitrag des bereits erwähnten Inders Israel Selvanayagam (Christliche Theologie und Mission inmitten vieler Theologien und Missionen, 171-190) sowie die Stellungnahme von Péri Rasolondraibe (191-194) ein. Aus dem Anliegen heraus, den Missionsauftrag der Christen, dem er anhand einer analysierenden Paraphrase der Wege von Petrus und Paulus in der Apg Konkretion verleiht, zu berücksichtigen, weist er auch die "Pluralisten" in Schranken, bei denen "die unversöhnbaren Differenzen zwischen den Religionen (ignoriert) und deren Grundaussagen als exklusiv und triumphalistisch lächerlich gemacht (würden)", wodurch "eine andere Art von Absolutismus" entstünde (177). Selvanayagam befürwortet "dialogische Evangelisation und evangelistischen Dialog" (so Rasolondraibe 191). Der Kritik, er lege gar zu starken Wert auf den leidenden und gekreuzigten Christus, weniger auf das Leben Jesu, begegnet er mit dem Anliegen, mit leidenden Menschen so eher in Dialog treten zu können.

Dem Leser des Bandes tritt eine facettenreiche, mit kompetenten Fachleuten bestückte Konsultation vor Augen, und dies auch in der dabei unvermeidlichen kreativen Uneinheitlichkeit der Protokolle und Vortragsmanuskripte. Zwar wird hier nicht das diskursive Niveau der Vogelperspektivendiskussion des Bandes "Christus allein?" erreicht, wohl aber sprechen der Ernst der Begegnung und die detaillierte Konkretion, so etwa in der täglichen Auseinandersetzung mit der Ahnenverehrung, die nicht nur im Afrika-Bericht eine erhebliche Rolle spielt, ihre eigene nachdrückliche Sprache.