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Ausgabe:

Juni/1997

Spalte:

543 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Meadowcroft, T. J.

Titel/Untertitel:

Aramaic Daniel and Greek Daniel. A Literary Comparison.

Verlag:

Sheffield: Sheffield Academic Press 1995. 336 S. 8° = Journal for the Study of the Old Testament. Suppl. Series, 198. Lw. £ 37.50.ISBN 1-85075-551-5.

Rezensent:

Klaus Koch

Die Edinburger Dissertation greift das in letzter Zeit mehrfach behandelte Verhältnis zwischen Masoretischem Text und Septuagintaübersetzung für das Danielbuch wieder auf (vgl. S. P. Jeansonne, The Old Greek Translation of Dan 7-12, 1988, dazu ThLZ 114 ’ 1989, 727 f.), unter Beschränkung im wesentlichen auf die ursprünglich aramäischen Kap 2-7. Für jedes Kapitel werden in fleißiger Kleinarbeit die hauptsächlichen Abweichungen von einer zu erwartenden lexikalisch exakten Standardwiedergabe vermerkt und erklärt. Dabei wird als Axiom vorausgesetzt, daß der Übersetzer den Text wörtlich wiedergeben will; wo sich größere Abweichungen zeigen, ist also auf eine von MT verschiedene, wahrscheinlich sogar ältere Vorlage zu schließen (262). In Anlehnung an den in den USA modischen narrative criticism wird die Grunddifferenz in "the role of the narrator’ (263) bei beiden Versionen gesehen. So geben verschiedene Stellen zu erkennen, daß der Grieche die Motive der handelnden Personen über den vorgegebenen Umfang hinaus ausmalt und dadurch den erzählerischen Verlauf für den Leser vorwegnimmt (z. B. 6,15; 90 f.). Das Ergebnis überzeugt. Darüber hinaus spiele in MT, zurückhaltender auch in LXX, die Ironie eine große Rolle in der Erzählung, wie M. in Anlehnung an andere englischsprachige Untersuchungen nachdrücklich herausstreicht. So trete z. B. eine Absurdität zutage, wenn große Beamtengruppen für das Geschehen von Kap. 3 aufgeboten werden (97), oder in der auffälligen Wiederholung listenartiger Aufreihungen von Beamten, Instrumenten u. ä. (135, 140), aber auch dann, wenn LXX Daniel als philos des Königs einführt (6,14; 112). Der Rez. kann sich an solchen Stellen nur wundern, was einem Angelsachsen alles komisch vorkommt! Eher leuchtet ihm ein, wenn der LXX die stärkere Betonung des Monotheismus zugeschrieben wird, etwa durch Einsatz des Gottestitels kyrios (3,28 f.; 2,11; 187 f. u. ö.) oder die absichtliche Vermeidung jeden Bezuges Daniels zu dem beamteten heidnischen Mantiker (82, 255, 268).

Interessant ist auch die Beobachtung, daß im griechischen Text die Wertabstufungen zwischen einzelnen Königen wie zwischen den aufeinanderfolgenden Reichen eingeebnet werden. Belsazzar kommt nicht schlechter weg als Nebukadnezzar (272); in Kap. 8 entfallen die Bezugnahmen auf Ost und West beim Kampf zwischen Widder und Ziegenbock (256), Kap. 7 erfolgt deutlich ein "lessening of the distinctions between the beasts’ (221).

Ein dunkler und oft diskutierter Punkt beim Vergleich zwischen MT und LXX betrifft die Aussage über den Menschensohn in 7,13. Nach MT erscheint bekanntlich mit den Wolken des Himmels "einer wie ein (einzelner) Mensch"; er wird zum Alten der Tage gebracht. Griechisch lautet der letzte Satz jedoch: kai hos palaios hemeron paren. Das erweckt den Eindruck, daß hier der Menschensohn mit dem Alten der Tage aus V.9 gleichgesetzt wird; und so hat es dann im NT Apk 1 verstanden. Das aber ist allen modernen Gelehrten zuwider, die dem Übersetzer keine theologische Tendenz zugestehen wollen. M. vermeidet zwar den Trick, durch eine weitgreifende, handschriftlich nicht belegte Korrektur einen mit MT übereinstimmenden Sinn herzustellen, wie das leider die Göttinger Septuagintaausgabe tut. Ihm glückt aber entsprechende Harmonisierung, indem er paren einen unüblichen Sinn beilegt und dadurch den Satz auf eine andere Gestalt als den Menschensohn beziehen kann: "and one like an ancient of days was nearby’ (306).

Die Untersuchung bietet eine Fülle wertvoller Beobachtungen zu vielen Einzelstellen. Nützlich ist, wie an zahlreichen Stellen die griechischen Vokabeln mit dem Sprachgebrauch anderer LXX-Bücher verglichen werden. Gleiches gilt für die im Anhang beigefügte Übersetzung des Septuagintatextes. Eine zureichende Zusammenschau der Ergebnisse mit entsprechenden Folgerungen fehlt leider. So mutet das Ergebnis zwiespältig an. S. 260 wird der Vorgängerin Jeansonne zugestanden: "there is no theological Tendenz inherent in the Old Greek translation.’ Bereits auf der folgenden Seite setzt sich der Vf. von ihr doch ausdrücklich ein Stück ab und gesteht dann S. 263 der Übersetzung "a particular mind set’ zu. Reicht dieses Zugeständnis aus? Was an einzelnen Stellen an Unterschieden zutagegetreten war und nicht auf eine andersartige Vorlage zurückgeführt werden konnte, gibt doch wohl eine weit stärkere eigene Tendenz des Übersetzers zu erkennen, als M. es wahrhaben möchte.

Bedauerlich ist, daß die einschlägige Arbeit von R. Albertz "Der Gott des Daniel. Untersuchungen zu Dan 4-6 in der Septuagintafassung sowie zu Komposition und Theologie des aramäischen Danielbuches" (SBS 131; 1988) nicht zur Kenntnis genommen wurde. (Gleiches gilt für die Abhandlung des Rez.: Deuterokanonische Zusätze zum Danielbuch [AOAT 8] 1987).