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Ausgabe:

Juni/1997

Spalte:

541–543

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

MacKenzie, Steven L., and M. Patrick Graham [Eds.]

Titel/Untertitel:

The History of Israel’s Traditions. The Heritage of Martin Noth.

Verlag:

Sheffield: JSOT Press 1994. 326 S. 8° = Journal for the Study of the Old Testament, Suppl.Series 182. Lw. £ 40.­. ISBN 1-85075-499-3.

Rezensent:

Horst Seebass

Dieser Sammelband von 13 Aufsätzen geht auf ein Martin-Noth-Symposium des Annual SBL Meeting im November 1993 zurück, das die 50jährige Wiederkehr des Buches "Überlieferungsgeschichtliche Studien" würdigen sollte. In einem Vorwort erklären die Hgg., daß der Untertitel nicht ganz stimmt: Die Beiträge behandeln nicht das Erbe Martin Noths, sondern einen seiner wichtigsten Teile, also die These vom deuteronomistischen Geschichtswerk (zum ChrG gibt es nur einen Beitrag ­ das Vorwort besagt, daß Noths Anregungen zum ChrG nicht so stark gewirkt haben wie zum DtrG).

Die Beiträge sind zweigeteilt angeordnet. Der 1. Teil (The Impact of Martin Noth’s Überlieferungsgeschichtliche Studien) geht auf die allgemeine Diskussion zu Noths These ein (mitsamt einem Beitrag zum ChrG). Der 2. Teil (The Books of the Deuteronomistic History) ist, wie der Titel besagt, Dtn, Jos, Ri, 1/2Sam, 1/2Kön gewidmet. Der Band enthält eine Reihe ausgezeichneter Beiträge, die nicht voll gewürdigt werden können, aber auch kritikwürdige. Der Rez. muß sich im folgenden auf je ein paar Sätze zu den Beiträgen beschränken, um wenigstens einen Eindruck von dem Band zu vermitteln.

C. T. Begg, Martin Noth: Notes on his Life and Work (18-30): Der englischsprechenden Forschung wird hier ein wertvolles, knappes Lebensbild von Noth vermittelt. In Fortsetzung dazu zeigt B. mit Einzelbelegen, wie sich für Noth die These des DtrG entwickelte (zwischen 1937 und 1941) und in Auseinandersetzung mit welchen namhaften Gelehrten seiner Zeit er sie darbot (vor allem W. Rudolph und O. Eißfeldt; insgesamt sehr wenig Literatur).

A. F. Campbell, Martin Noth and the Deuteronomistic History (31-62): Um die Diskussion zum DtrG darbieten zu können, verwendet C. die Metapher vom Haus, das Noth baute und an dem nach ihm "Restorers, Rebuilders und Redecorators’ gewirkt haben. Mit großer Sorgfalt erhebt er zunächst Noths "Original Design’ (mit Listen). Unter "Restorers" versteht er solche Forscher wie P. K. McCarter und sich selbst, die, wie W. Richter in Ri, auch in 1/2Sam dem Dtr vorgegebene redaktionelle Zyklen (konkret: prophetische) nachzuweisen suchen. Sie verstärken damit Noths Einsicht, daß DtrG möglichst auf Quellen zurückgriff und diese sprechen ließ. Die von F. M. Cross angeregten Forscher ("Blockmodell") diskutiert C. unter dem Begriff "Rebuilders’, weil sie sich gegen Noths erklärte Absicht wenden, daß das DtrG nicht vor dem Exil (und nur von einem einzigen Vf.) geschaffen wurde. Zu den "Redecorators’ zählt er die von R. Smend angeregte Forschung (Schichtenmodell), weil Noth bereits selbst mit umfangreichen dtr Zusätzen gerechnet hatte (s. jedoch u. McKenzie). Die Orientierung durch C. ist insgesamt vorzüglich. Auch methodisch hat er (mit W. Dietrich und S. L. McKenzie) wohl die klarsten Maßstäbe. Es zeichnet C. aus, daß er am Schluß Vermittlungen an eine interessierte weitere Öffentlichkeit fordert, die die hochkomplizierten Befunde auch außerhalb der Fachkreise verständlich sein lassen. ­ Der Beitrag ragt durch seine Gesprächsfähigkeit mit anderen als dem von C. bevorzugten Blockmodell heraus.

R. L. Braun, Martin Noth and the Chronicler’s History (63-80): Der einzige volle Beitrag zum ChrG versucht (glücklicherweise) nicht, die ganze gegenwärtige Forschung zum Sachstand zu referieren, sondern Grundlinien zu erheben. Er legt einerseits dar, daß man nicht mehr hinter den von Noth geschaffenen Diskussionsstand zurückgreift, andererseits ihn aber kaum zitiert oder heranzieht. Auch wenn Noths Ausführungen dem wichtigsten neueren Diskussionsgegenstand, nämlich der Trennung von 1/2Chr einerseits, Esr/Neh andererseits, fremd gegenüberstehen, hält B. eine erneute Auseinandersetzung mit Noth in der gegenwärtigen Diskussionslage für wichtig, weil seine als fair bezeichneten Vorschläge nicht genügend gelesen wurden.

Th. L. Thompson, Martin Noth and the History of Israel (81-90). Der Aufsatz gehört m. E. nicht in den Band, da er keinen Sachbeitrag liefert. Was T. zu Noths Arbeiten zu sagen hatte, hat er längst gesagt. So redet T. nicht mehr wissenschaftlich, sondern liefert eine höchst aggressive Apologie seiner Extremposition, die im Band kein Echo hat. Such a nice man!

R. Rendtorff, Martin Noth and Tradition Criticism (91-100). R. beschäftigt sich mit einem Vergleich des unterschiedlichen methodischen Vorgehens Noths in ÜSt und in ÜP. R. findet Noth darin ganz zeitgemäß, daß er in ÜSt von der Endredaktion ausging, diese bestimmen wollte und sich wenig um Vorstadien kümmerte. R. wendet sich dann überwiegend dem Pentateuch zu, so daß sein Beitrag das DtrG eher streift. ­ Nota: R. nennt Noth den Begründer der überlieferungsgeschichtlichen Methode. Nach R. Smend übte sie z. B. schon Wellhausen.

T. Veijola, Martin Noth’s Überlieferungsgeschichtliche Studien and Old Testament Theology (101-127): V. verschafft einen guten Überblick dazu, seit wann Noths These vom DtrG mit ihrer gewichtigen theologischen Komponente auch Eingang in gängige Lehrbücher zur Theologie des Alten Testaments fand. Indem dies durch G. v. Rad erfolgte (vorher nur verstreute Notizen, z. B. bei Th. C. Vriezen), geschah es gleich mit einer anderen Interpretation des theologischen Skopus. Denn kaum jemand ist Noth darin gefolgt, daß das Werk nur das negative Ergebnis hatte, Jahwes Wege mit Israel seien durch dessen Schuld ans Ende gekommen. Während allgemein Einigkeit herrscht, daß das Werk ein großes Sündenbekenntnis zur nationalen und religiösen Katastrophe beabsichtigte, wird meist bei der Schilderung Davids oder des Tempels bzw. mit H. W. Wolff dem Motiv der Umkehr eine Zukunftsperspektive gesucht. Am Schluß gibt V. zwei wichtige Hinweise für die weitere Arbeit: a) Das DtrG verfolge auch ohne die von Cross abgetrennten Schlußkapitel (Blockmodell) so sehr eine theologia crucis, daß dies kaum vorexilisch vorstellbar sei. b) In der Forschung dominiere die Vielfalt der literarischen Modelle. Trotzdem sei bisher die Einheit des Werkes immer noch Ausgangspunkt der Diskussion, und dies dürfe nicht übersehen werden.

D. N. Freedman with J. C. Geoghegan, Martin Noth: Retrospect and Prospect (128-152): F. findet im wesentlichen die Ergebnisse Noths zum DtrG und zum Pentateuch bestätigt, soweit es die literarischen Grundlagen betrifft. Er interessiert sich jedoch für einen beide Größen umfassenden Bogen, nämlich für die Komposition der "Primary History’ von Gen bis 2Kön. Unüberhörbar sagt er, daß noch nicht geklärt sei, mit welchen literarischen Mitteln es zu jenem einheitlichen Werk gekommen sei, hält jedoch solche Einheitlichkeit für sicher und kann deshalb eine Datierung des Gesamtwerks von dessen Ende her (562/1 Entlassung Jojachins) vorschlagen. Da der Pentateuch im wesentlichen ein angereichertes P-Modell darstellt, streift F. u. a. die s. E. priesterliche Tradition des ChrG, findet jedoch das eigentlich Interessante in der Fusion der "Primary History’. ­ Da Noth grundsätzlich an und mit Texten arbeitete, war ihm immer die Unterschiedlichkeit der literarischen Verhältnisse in Gen-Num einerseits, Dtn-2Kön andererseits Ausgangspunkt aller Überlegungen. Dazu hat der Rez. bei F. keine Bemerkung gefunden.

W. Dietrich, Martin Noth and the Future of the Deuteronomistic History (153-175): Durch Untergliederung in die 3 Teilbereiche "Unity and Diversity’, "Redaction and Sources" sowie "Setting and Objective’ gibt D. einen Überblick über den s. E. erreichten Forschungsstand und dessen Zukunftsperspektiven. Dies ist vielleicht die z. Z. beste Beschreibung des Standes der Göttinger Schule in voller Gesprächsoffenheit für andere Modelle, zumal das Blockmodell (s. Vorwort der Hgg.). Den Rez. freut die Fülle der Argumente, die D. für jeden der Bereiche bereithält, gerade weil er sich von DtrP nicht überzeugen kann. D.s Argumentieren wäre jedenfalls ganz im Sinne Noths. Wie McCarter und Campbell im Blockmodell hält auch D. mehr ältere Sammlungen, als Noth sie annahm, für Dtr vorgegeben und sieht den theologischen Skopus schon seines DtrH nicht geschlossen, sondern für Israels Zukunft gehöffnet.

Der 2., nach den biblischen Büchern geordnete Teil enthält die folgenden Beiträge:

Th. Römer, The Book of Deuteronomy (178-212): R. hebt nachdrücklich die Einsicht Noths hervor, daß Dtn *1-3 den Beginn des DtrG enthalten ­ es sei z. Z. die einzige wirklich allgemein akzeptierte Erkenntnis. Im übrigen führt R. mit sicherer Hand durch die vielfältigen, größtenteils ungelösten Probleme der Dtn-Forschung und ergänzt so auf der Ebene eines Artikels den Forschungsbericht von H. D. Preuß, EdF 164 (1982) um die Beiträge Lohfinks und seiner Schüler. Bemerkenswert sind zwei Thesen: a) Die Diskussion habe ergeben, daß man mit einer josianischen Fassung zu rechnen habe. Diese sei jedoch kaum Teil einer vermuteten josianischen Ausgabe des DtrG. b) Von der Einsicht ausgehend, daß die Annahme zu vieler Schichten die Beweiskraft jeder These lähmt, empfiehlt R. eine Rückkehr zu Noths Hypothetik: Josian. Ausgabe, Dtr1 und Dtr2 (wobei letzterer keine Schicht, sondern ein Konglomerat unterschiedlicher Zusätze sein kann).

B. Peckham, The Significance of the Book of Joshua in Noth’s Theory of the Deuteronomistic History (213-234): Nach P. hat Noth die Forschung durch seine Untersuchung zu den Einzelstücken des Buches und seine Einpassung in das DtrG irregeleitet. Er beklagt, daß die Forschung seither ganz in den Bahnen der Einzeluntersuchungen Noths blieb, selbst wenn Kritik am DtrG angemeldet wurde. ­ Durch meine Arbeit am Buch Num bin ich z. Z. überzeugt, daß Jos in der Tat ein gründlich neues Nachdenken verdient, u. zw. vom Endstadium ausgehend. Es wirkt aber leicht komisch, wenn P. meint, Noth habe nicht über die richtige Methode verfügt und man müsse Noths Einzeluntersuchungen beanstanden (P. ist ein Anhänger der "Primary History’).

M. A. O’Brien, Judges and the Deuteronomistic History (235-259): Nach einer ausführlichen Beschreibung der Analysen Noths zu Ri bespricht O’B. ausführlich eine Reihe neuerer Beiträge zur Erschließung des Buches. Aus seiner Übersicht gewinnt man den Eindruck, daß auch Ri ein neues Nachdenken, von seiner Endgestalt ausgehend, provozieren sollte, da die Lösungsversuche recht weit auseinanderliegen. Wie bei Jos muß man vielleicht auch bei Ri zwischen der zu untersuchenden Endgestalt und dem zum DtrG zu rechnenden Anteil unterscheiden.

P. K. McCarter, The Books of Samuel (260-289): McCarters Essay leidet etwas darunter, daß zur Sache bereits ähnlich Campbell und Dietrich referiert hatten (s. o.). Für sich genommen bietet er eine ausgezeichnete Besprechung neuerer Entwürfe samt der Schilderung seiner eigenen Auffassung. Ein weiterführendes Gespräch zwischen Campbell und McCarter einerseits, Dietrich andererseits zum DtrG scheint z. Z. vielversprechend.

S. L. McKenzie, The Books of Kings in the Deuteronomistic History (261-307). Für McKenzies Beitrag gilt z. T. ähnliches wie für den von McCarter. Am Schluß stellt McKenzie jedoch so wertvolle Überlegungen zur Methodik der Isolierung von Dtr in seinen verschiedenen Facetten an und gibt so nachdrücklich zu bedenken, ob es nicht zweckmäßig wäre, bei der Analyse von 1/2Kön zu Noth zurückzukehren, daß der Rez. von diesen Ausführungen sich fasziniert fühlt.

Betrachtet man das Werk im ganzen, so ergibt sich aus der Einzelbesprechung nicht nur, daß nicht alle Beiträge ganz zwingend zur Sache reden. Sondern m. E. fehlt auch eine wichtige Stimme (soweit ich sehe, selbst in den Anmerkungen), nämlich die von W. Thiel/Bochum. Daran mögen einige ganz wenige Bemerkungen angeschlossen werden. Die in diesem zweifellos sehr lesenswerten, jedoch nicht einfach zu lesenden Band vorliegenden Beiträge scheinen Folgendes anzuregen:

1. Die reich dokumentierte Diskussion ergibt m. E. für die Gesamtthese, daß, wie mehrfach angemahnt wird, das sicherste Kriterium für die Isolierung eines oder mehrerer Dtr die stereotype Sprachbildung sein muß, während Ideenverwandtschaften zum Beweis nicht taugen, zumal die Ideen noch unterschiedlich erhoben werden.

2. Die Kriterien für die Unterscheidung verschiedener Dtr sind z. Z. nicht so sicher, daß man global mit verläßlichen Ergebnissen rechnen kann. U. a. ergeben die den Göttinger Siglen DtrP und DtrN zuzurechnenden Partien im besten Fall wohl nicht eine Gesamtredaktion, sondern eher Teilzusammenhänge ­ abgesehen noch davon, daß DtrN, wie Smend neuestens vertritt, eher eine Mehrzahl als eine Einzahl an Zusätzen bezeichnet.

3. Das Problem der Kriterien betrifft m. E. speziell die Dtn-Analyse (s. o.).

4. Was das Gespräch zwischen Block- und Göttinger Modell angeht, so scheint mir in der Tat mit Noth und Göttingen die Bußhaltung bei Dtr zu ausgeprägt, um ihn früher als im Exil anzusetzen. Umgekehrt scheint es aber redaktionell vorgeformte Teilbereiche gegeben zu haben. Ob methodisch (noch nicht in der Abgrenzung) N. Lohfink und H. Weippert dahin den Weg gewiesen haben?

Insgesamt erweist der Band zweifelsfrei die Fruchtbarkeit der These Noths.