Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/1997

Spalte:

533–535

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Campenhausen, Axel Frhr. von

Titel/Untertitel:

Gesammelte Schriften. Hrsg. von J. E. Christoph, C. Link, J. Müller-Volbehr u. M. Stolleis.

Verlag:

Tübingen: Mohr 1995. 590 S. gr. 8° = Jus Ecclesiasticum, Beiträge zum evangelischen Kirchenrecht und zum Staatskirchenrecht, 50. Lw. DM 98,­. ISBN 3-16-146195-9.

Rezensent:

Albert Stein

Der mit dieser Festschrift Geehrte hat in den von ihm seit Jahrzehnten geleiteten Jahrestagungen der Mitarbeiter der Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht gern eine Anmerkung angebracht, die über sein kirchenrechtliches Fachgebiet hinaus Bedeutung hat: Wer durch seine Veröffentlichungen aktiv am Fortgang der Wissenschaft teilnimmt, sollte der Fachwelt möglichst auch durch die Publikationsform seiner Beiträge deren Auffindung erleichtern. Hier waren es ihm besonders verbundene Kollegen, die ihm durch die Herausgeberschaft zu diesem stattlichen Sammelbande die Arbeit abgenommen und zugleich für Mit- und Nachwelt den Zugang zu seinem kirchenrechtlichen Denken geebnet haben. Als Festgabe zum 60. Geburtstag ist der Sammelband zugleich ein Meilenstein in der renommierten Reihe "Jus Ecclesiasticum" und dort am rechten Platz.

Das Vorwort (VI) berichtigt sogleich den weiter gespannten Titel des umfangreichen Bandes dahin, daß hier die staunenswerte Breite der literarischen Lebensarbeit v. Campenhausens "nur in notwendig subjektiver Auswahl exemplarisch sichtbar werden" kann. Die im Vorwort angekündigte Sammlung von zahlreichen Stellungnahmen des streitbaren Kirchenpolitikers zum kirchlichen Zeitgeschehen ist inzwischen erschienen (Axel Freiherr von Campenhausen, Kirchenrecht und Kirchenpolitik, herausgegeben von Christoph Link und Manfred Seitz, Göttingen 1996). Die kirchenrechtlichen Gutachten des v. C. seit 1970 geleiteten Kirchenrechtlichen Instituts der EKD aus den Jahren 1970 bis l990 liegen ebenfalls in zwei Bänden vor (Jus Ecclesiasticum Bd. 48, Tübingen 1994).

In dem hier anzuzeigenden Sammelband machen nun die Hgg. vor allem solche Aufsätze exemplarisch neu zugänglich, die in strengem Sinne Beiträge zur wissenschaftlichen Diskussion sind. Die achtundzwanzig Arbeiten reichen von einem Vortrag des Dreißigjährigen aus dem Jahre 1965 zur Problematik des Rechtes der Kirchenmitgliedschaft (88 ff.) bis zu einem Beitrag über das Recht der Theologischen Prüfungen und die einschlägige Rolle der Theologischen Fakultäten von 1993 (179ff.). Schon aus diesen Eckpunkten wird deutlich, daß das bisherige Lebenswerk v.C.s, ebenso wie die hier versammelten Beiträge, gleichermaßen vor allem das Kirchenrecht wie das geltende deutsche Staatskirchenrecht zum Thema nehmen.

Die einzelnen Beiträge des Sammelbandes sind im Rahmen dieser Schwerpunkte systematisch geordnet. Nach einem einleitenden Übersichtsartikel zum Kirchenrecht insgesamt (1 f.) folgen Abhandlungen über evangelische Kirchenleitung. Nacheinander geht es da um das evangelische Bischofsamt, um Kirchenleitungen und Synoden sowie Probleme kirchlicher Eigenständigkeit und Organisationsgewalt. Eine weitere Gruppe beschäftigt sich mit kirchlicher Mitgliedschaft, einschließlich der Austritts- und Kirchensteuerfragen, sowie der einschlägigen Bedeutung der Leuenberger Konkordie (89 ff.). Es folgen Arbeiten zum kirchlichen Dienst- und Arbeitsrecht, insbesondere auch zu den rechtlichen Aspekten kirchlicher Ausbildungsfragen (141 ff.).

Mehrere Arbeiten zu den Rechtsproblemen Theologischer Fakultäten (201-232) berühren zugleich staatskirchenrechtliche Fragen (256-479). Ebenso steht es mit einer, auch problemgeschichtlich interessanten Abhandlung über den Johanniterorden (Balley Brandenburg), den evangelischen Zweig des ersten Ritterordens der europäischen Geschichte, dem v. C. auch sonst großes Engagement widmet (VII und 233ff.); hier führt ein konkretes Mitgliedschaftsproblem zu subtiler Klärung der Rechtsstellung des Ordens.

Zum Staatskirchenrecht im engeren Sinne finden sich Erörterungen zu Grundrechts- und grundsätzlichen Verfassungsfragen (25 ff.) neben Fragen der "neuen Religionen" im Abendland (40 ff.) und Detailproblemen wie dem Religionsunterricht in der reformierten Oberschule (39 ff.) sowie dem Beglaubigungs- und des Vereinsrechts im Blick auf kirchliche Belange (455 ff.).

Für Kirchenrecht wie für Staatskirchenrecht verdienstvoll ist der Wiederabdruck der Literaturberichte l950-1975 (49ff.). Ein anrührendes Stück Wissenschaftsgeschichte ist auch die Würdigung des großen Staatsrechtslehrers Rudolf Smend (l882-l975), der v.C.s Vorgänger sowohl in der Leitung des kirchenrechtlichen Instituts der EKD als auch in der Herausgeberschaft der Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht war (48 ff.).

Hier wird nicht nur die Bedeutung dieses großen Gelehrten für die Überwindung des seinerzeitigen staatsrechtlichen Positivismus zugunsten einer neuen Betrachtungsweise entfaltet, die als Integrationslehre das Verfassungsrecht in den Gesamtzusammenhang der Geistes- und Sozialwissenschaften stellte. Daneben wird sowohl das in kirchlichen Ämtern als auch vielen Einzelarbeiten entfaltete kirchenrechtliche Engagement Smends gewürdigt und gleichzeitig ihm als akademischem Lehrer ein Denkmal gesetzt (480, 495).

Allen Abhandlungen dieses Sammelbandes gemeinsam scheint zunächst, daß in den subtilen Facherörterungen immer auch kirchliche Gegenwart in mannigfachen Aspekten, themenbestimmend oder doch die Erörterung der angeschnittenen Probleme begleitend, mit gegenwärtig wird.

Das mag zum Teil damit zusammenhängen, daß ihr Vf., wie es das Vorwort ausdrückt, seinem Naturell gemäß ein energisches Mitgestalten in Staat und Kirche der Rolle des distanzierten Gelehrten vorzieht und dabei auf vielen Ebenen und in verschiedenen Gremien mit Menschen in praktischer Berührung steht (VII). Diese Haltung würde allerdings mißverstanden, wollte man in ihr nur die Einsatzbereitschaft gewissermaßen eines "Syndikus der EKD" oder gar eines Fachanwaltes kirchlicher Gruppeninteressen erblicken. Vielmehr zeigt sich darin die innere Unabhängigkeit eines Christenmenschen, der sich von der eigentlichen Sache der Kirche bestimmen läßt und deshalb den Mut zu einem kräftigen Ja oder Nein besitzt, das heutzutage auch manchem amtlichen Wort der evangelischen Kirche gelegentlich zu wünschen wäre.

Als einen Grundzug der hier vorgelegten Beiträge zum evangelischen Kirchenrecht stellt das Vorwort zutreffend heraus, daß sie aus Liebe zur reformatorisch geordneten Kirche ebenso deren überkommener protestantischer Rechtsfremdheit wie den von der Gegenwart befürchteten Fehlentwicklungen entgegentreten wollen (VI).

So beharrt v. C. beispielsweise für das evangelische Bischofsamt auf dem Ansatz im pastoralen Dienst vorab der Seelsorge und der Wortverkündigung. Er wendet sich jedoch in heiterer Polemik gegen eine Überfrachtung des leitenden geistlichen Amtes mit Bündelung von Komepetenzen, wie sie im staatlichen Bereich durch Teilung der Staatsgewalten undenkbar sind (25 f.).

Zur Gestaltung von evangelischer Kirchenleitung wird kraftvoll betont, daß die darin tätigen Laien kraft ihres allgemeinen Priestertums an ihr teilhaben und daß die Überwindung bürokratischer Routine durch "Verwaltungsdiakonie" eine verfassungsmäßige Einbindung der Kirchenverwaltung in eine verantwortliche Einheit geistlicher und rechtlicher Leitung erfordert (42 f., 48 f.). Der mündige Laie ist auch dort im Blick, wenn für die volkskirchliche Zugehörigkeit in einer Ortsgemeinde für von Landeskirche zu Landeskirche Zuziehende eine stärkere Berücksichtigung ihrer "mitgebrachten" Bekenntnisbindung befürwortet wird (l0 ff.). ­ Zum Kirchenaustrittsrecht, einem intrikaten Grenzbereich von innerem Kirchenrecht und Staatskirchenrecht, findet sich eine schöne Zusammenfassung v. C.s Grundkonzept von Kirchenrecht: Zur kirchlichen Rechtsordnung als einer Ordnung der Liebe gehört auch die Bereitschaft aller Glieder, nicht willkürlich und selbstgerecht die Regeln zu verletzen, die bei aller Mangelhaftigkeit für das friedliche Zusammenleben der Gemeinde unerläßlich sind (118).

Der stattliche Band wird durch ein Sachregister erschlossen, enthält aber kein Schriftenverzeichnis. Das mag ein Hinweis darauf sein, daß v. C.s bisheriges Werk durchaus das Nachschlagen verdient, aber von ihm doch noch manche weitere Frucht seiner Feder zu erwarten bleibt.