Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Oktober/1997

Spalte:

959–961

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Langener, Lucia

Titel/Untertitel:

Isis lactans –­ Maria lactans. Untersuchungen zur koptischen Ikonographie.

Verlag:

Altenberge: Oros 1996. XVII, 190 S., 9 Taf. m. 15 Abb. 8° = Arbeiten zum spätantiken und koptischen Ägypten, 9. Kart. DM 90,­. ISBN 3-89375-131-9.

Rezensent:

C. Detlef G. Müller

Der umfängliche Band besteht aus zwei getrennt paginierten Teilen: Darstellung und Katalog. Wir haben die erschöpfendste Abhandlung zu diesem Thema vor uns, die das alte Ägypten und die christliche Zeit gleich ausführlich behandelt. Nach einer Einleitung, die das Problem aufzeigt und eine kurze Forschungsgeschichte bietet, wird zunächst die alte Zeit behandelt: Die Darstellungen von Mutter und Kind und der Isis lactans.

Die Autorin beginnt mit den profan-ägyptischen Darstellungen, die die älteste Schicht darstellen. Der erste Beleg, der das Hocken mit angezogenen Knien mit einer Stillszene kombinierte, ist in die 2. Hälfte der 5. Dynastie zu datieren. Mit der Prinzessin Sobeknacht (13. Dynastie, p. 5, 2. Teil; 12. Dynastie, p. 23, 1. Teil) tauchte dann erstmals eine namentlich bekannte stillende Mutter auf. Sakral-Ägyptisch werden die stehende Göttin, die einen stehenden Pharao säugt und die thronende Göttin, die einen Säugling im Schoß stillt, behandelt. Ersterer Typ beginnt im Alten Reich und häuft sich im Neuen Reich, während letzterer durch die ganze ägyptische Geschichte starr festgehalten wird und erst in griechisch-römischer Zeit einen beweglichen Säugling zeigt. Interessant sind weiter die Darstellungen, die mit dem ägyptischen Baumkult in Verbindung stehen. Dieser Volksglaube ließe sich weiter bis nach Äthiopien verfolgen, was wohl ein eigenes Buch erfordern würde (hierzu schon G. Lanczkowski: Zur äthiopischen Madonnenverehrung, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 66 [1954/55], 25-38). Von den Baumgöttinnen kommt man zu der Isis lactans im Papyrosdickicht (Chemmismotiv), stehend, thronend und kniend. Die zahlreichen Belege aller Art entstammen alle der Spätzeit, denn erst seit dem Neuen Reich wird Isis sozusagen populär als Gottesmutter (Horus) und in der griechisch-römischen Zeit immer wieder dargestellt.

Das zweite Kapitel widmet sich der Dauer des Isiskultes in Ägypten und seiner Verbreitung im Mittelmeergebiet. Von der Erwähnung der Isis in den Pyramidentexten geht es bis zum Isiskult der römischen Kaiser und seinen Resten nach der Aufhebung durch Kaiser Theodosios I. (379-395). Interessant ist, daß in Griechenland der Matrona-Typ vorherrscht, weniger die Isis lactans (101).

Falsch ist die Lokalisierung der römischen Provinz Germania Magna "im heutigen Polen" (103). Die Römer kamen nur bis zur Elbe, keineswegs zur Weichsel. In Menuthis (= Abu Qir) sucht man den Isiskult durch die christlichen Heiligen Kyros (nicht "Cyprus") und Johannes zu brechen (112). Philae liegt schon in Nubien, nicht in Oberägypten (112). P. 112147 wird Schenu te von Atripe 333/34 ­ wahrscheinlich 451 angesetzt, ohne Stellungnahme zu der erneut angefachten Diskussion um seine Lebensdaten (Ý 441 oder 466). Das Blemmyerproblem (besonders seit Einführung des Dromedars) bleibt der Autorin fremd. Nicht nur diese (114), sondern schließlich die Aksumiten besiegen Meroë, dessen Kultur aber noch einige Jahrhunderte andauert, trotz politischer Bedeutungslosigkeit. Richtig ist das Fortleben auch heidnischer Kulte in Ägypten gesehen (115/16), wie auch der Isis (mit Horus) in koptischen Zaubertexten (116).

Das dritte Kapitel geht dann zu der Rolle über, die Maria als Gottesgebärerin (= Theotokos) und Gottesmutter spielte. Kirchenväter, Konzilien und liturgische Texte werden hier bemüht. Angesprochen wird bereits das künstlich geschaffene Problem der dyophysitischen und der mono(besser diplo)physitischen Form in bezug auf die Darstellung der Maria lactans. ­ Kapitel V über die koptischen Darstellungen von Mutter und Kind und von der Maria Lactans vertieft die Frage weiter. Es werden wieder systematisch alle Bildtypen besprochen im profan-koptischen Bereich und dann die 3 Typen der Maria Lactans: Doppelte Apsiskomposition mit Maria als thronender Gottesmutter mit Kind unten und oben die Maiestas Domini (Theophanie der Dreifaltigkeit), Maria Lactans als zentrales Hauptmotiv mit und schließlich ohne Assistenzfiguren.

Das sechste Kapitel behandelt den Marmorkrater von Rom, dem innerhalb der Argumentation der Autorin eine zentrale Rolle zukommt. Er ist der früheste Beleg für eine Maria lactans-Darstellung. Falls er aus Konstantinopel stammte, würde das der ägyptischen These für derartige Darstellungen widersprechen. Mittels einer umfangreichen Spezialuntersuchung kann festgestellt werden, daß diese Ansicht irrig ist. Die Autorin plädiert mit überzeugenden Argumenten zumindest für Rom, wenn nicht gar für Alexandrien als Herstellungsort. Dieser Marmorkrater aus dem 4. Jh. ist der älteste erhaltene Beleg für den Übergang von der alexandrinischen Isis lactans zu der Maria lactans. ­ Das Kapitel VII. widmet sich den schriftlichen Quellen von der Maria lactans und zwar vornehmlich Erzeugnissen der koptischen Literatur. Von dem Protevangelium Jacobi geht es bis zu Sawiros ibn al-Muqaffac. Der genannte Damian wirkte 578/77-607[606] (dazu Oriens Christianus 70 [1986], 118-142). Die Autorin stellt fest, daß die Maria lactans weder dyo- noch mono- (besser diplo-)physitischer Herkunft ist. Schon vor dem Konzil von 451 (Chalkedon) wurde die Maria lactans in Ost und West verehrt. Ephesos (431) bediente sich gezielt der Maria lactans, um gegen Häretiker wie Nestorios vorzugehen (S. 259). Die Ikonologie der Maria lactans kann in der koptischen Kunst nicht als verbindlich bezeichnet werden. Richtig war es, zu diesem Zweck die Literatur durchzusehen, denn eine bestimmte Darstellungsform aus dogmatischen Gründen müßte hier entsprechend erwähnt worden sein. Darüber hinaus hätte man sicher in Osterfestbriefen und auf Lokalsynoden hier präzise Vorschriften gemacht. Man kann so etwas nicht behaupten, ohne es durch Textbelege beweisen zu können.

Es folgt noch ein achtes Kapitel, das ikonographische und biographische Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede zwischen der Isis lactans und der Maria lactans behandelt. Faktisch werden noch einmal die profanen und sakralen Belege bei der Isis und Maria zusammengestellt, Unterschiede und Gemeinsamkeiten festgestellt. Die Autorin folgert, daß die Ikonologie der Maria lactans nicht durch schriftliche Belege, sondern direkt durch die ägyptische Ikonographie angeregt wurde (275). Die "biographischen" Gemeinsamkeiten sieht sie in den Paarkonstellationen "Isis und Maria", "Horus und Jesus", "Osiris und Joseph". Sie vergleicht die gestillten Pharaonen als Göttersöhne mit dem gestillten Heiland als Menschensohn: Mensch wird Gott ­ Gott wird Mensch (276). Wie jedes einzelne Kapitel, erhält auch das Gesamtwerk eine Zusammenfassung, die die Ergebnisse deutlich herausstellt. Eine umfangreiche Bibliographie zeigt die benutzten Quellen auf.

Der Katalog umfaßt 264 Nummern, die jeweils genau beschrieben und bibliographisch erschlossen werden. Diese sorgfältige Arbeit bietet die Basis für die Thesen der Autorin und erlaubt dem Leser eine genaue Nachprüfung. So ein vorzügliches Arbeitsinstrument existierte zu diesem Problem bisher nicht. Leider nur 15 Abbildungen unterstützen das Studium. Ein Index erschließt den Katalog.

Das Ergebnis der Arbeit wird erfreulich klar herausgearbeitet und besteht in zwei Punkten: 1. Die schon immer vermutete ägyptische Herkunft der Maria lactans wird mittels eines umfangreichen Materials bewiesen und kann nun nicht mehr angezweifelt werden. 2. Die von Kunsthistorikern und Archäologen erfundene abenteuerliche Behauptung, daß die dyo- und diplophysitische Christologie in unterschiedlichen Mariendarstellungen mit Jesuskind deutlich zum Ausdruck komme, dürfte nun endgültig zu Grabe getragen worden sein. Dahinter stand ein Denken, daß die juristische Ausformung des christlichen Glaubens im lateinischen Westen nun auch im Osten und Orient wirksam wähnte, trotz hier nicht gegebener Vereinheitlichung. Der Rückzieher auf p. 227137 war überflüssig.

Manchmal ist die Ausdrucksweise der Autorin seltsam: Nestorios hat die Bezeichnung Theotokos abgelehnt, aber nicht als "irreligiös", also gottlos bezeichnet (150). Auch ging es bei den christologischen Streitigkeiten nicht um den "prozentualen" Anteil der Naturen am Heiland (151). Außerdem ist die häufige Unsicherheit in der homiletischen Terminologie auffällig. Der Terminus "Diskurs" gehört nicht dorthin als Bezeichnung einer besonderen Predigtart (cf. Le Muséon 67 [1954], 265, Anm. 71). Schließlich wird unter den vier geistlichen Tieren der Stier (253) erwähnt, aber auch Rind (165) oder Ochse (= verschnittener Stier; 167) genannt. Eine sorgfältigere Redaktion hätte diese Lapsi vermeiden lassen können und der interessanten Arbeit mit ihren wichtigen Ergebnissen nur gut getan.