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Ausgabe:

Oktober/1997

Spalte:

954 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Ritter, Werner H., Feldmeier, Reinhold, Schoberth, Wolfgang, und Günter Altner

Titel/Untertitel:

Der Allmächtige. Annäherungen an ein umstrittenes Gottesprädikat.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1997. 152 S. kl.8°. = Biblisch-theologische Schwerpunkte, 13. Kart. DM 19,80. ISBN 3-525-61352-0.

Rezensent:

Jan Bauke

Die Frage nach der Allmacht Gottes ist aktuell. Gleichwohl fehlt eine einschlägige deutschsprachige Monographie zum Thema. Mit ihrem Büchlein legen die Vff. einen ersten ­ nach eigener Auskunft exemplarischen (6, vgl. 122) ­ Versuch einer ausführlicheren Behandlung der Allmachtsfrage vor, der in erster Linie daran interessiert ist, "den ’produktiven (Mehr-) Wert’ der Allmachtsvorstellung theologisch zu klärenŠ, ohne deren Negativ-GeschichteŠ zu verschweigen" (6).

Den Beginn der "Mehrwertsklärungen" macht Reinhard Feldmeiers Aufsatz "Nicht Übermacht noch Impotenz. Zum biblischen Ursprung des Allmachtsbekenntnisses" (13-42), der nach der "ursprünglichen Bedeutung des Allmachtsprädikates" (18) fragt und einen hilfreichen Überblick über die Genese der Allmachtsvorstellung in der paganen Tradition (18-20), vor allem aber im biblischen Juden- und Christentum (20-35) bietet. Der Begriff "Allmacht" (pantokrator), so die These des Vf.s, verdankt sich vor allem dem hellenistisch beeinflußten Frühjudentum (22, 25, 30, 36), und wird dort im Sinne eines Konkurrenz- oder Kontrastbegriffs (25) zum einen gegen eine "deterministische oder fatalistische Weltsicht" (23), die das Schicksal (moira, tyche) als "eigentliche Herrin der Wirklichkeit behauptet" (23), gerichtet (24 f., 31), zum anderen aber gegen den sich seit Alexander d. Gr. etablierenden Herrscherkult verwendet (25), begegnet vor allem aber in Texten, die die Bedrängung durch übermächtige Feinde schildern (26, 27 Anm. 41, 30), als Ausdruck des Vertrauens (26, 36) und der Hoffnung (30, 33) auf den biblischen Gott, eine politische Dimension des Begriffs (24 f., 27), die insbesondere in der Apk zum Tragen kommt (33 f.). Der allmächtige Gott erscheint nicht als Tyrann, sondern als Retter (37), der in Situationen der Not auf seine rettende Macht geradezu verpflichtet wird (27).

Auf die Bestreitung der Allmacht und Existenz Gottes in der Theodizeeproblematik versucht Wolfgang Schoberth in seinem Essay "Gottes Allmacht und das Leiden" (43-67) mit einer gründlichen Analyse des Theodizeeprojekts zu reagieren. Der Vf. streicht heraus, daß die so unvermeidliche wie unbeantwortbare (51) Theodizeefrage die spezifische Frage neuzeitlicher Vernunft nach dem Leiden darstelle (52, 60), in der nicht die Allmacht Gottes, sondern die Einheit und Vernünftigkeit der Wirklichkeit (56) und mit ihr das Projekt der Aufklärung (57) wie der rechte Gebrauch der Vernunft (53, 55) auf dem Spiel stehe. Die Zurückweisung der Theodizeefrage führe daher nicht zur fundamentalen Krise des Glaubens an Gottes Allmacht (61)­ "der Gott der Theodizee [ist] nicht der Gott der Bibel" (60) ­, sondern öffne den Blick auf jene Fragen, die die biblische Tradition angesichts des Leidens stellt. Unter Rückgriff auf die Hiobauslegung Othmar Keels weist der Vf. darauf hin, daß etwa Hi 38 ff. keine (theoretische) Antwort auf das Leiden gebe, sondern seine Unbegreiflichkeit thematisiere (63), zugleich aber in und mit der Erzählung vom Ende des Leidens Hiobs auf die (künftige) Beendigung jeden Leidens durch Gottes Allmacht hoffe (65). In diesem Sinne kann der Vf. das Bekenntnis zur Allmacht Gottes daher als Antwort auf die Frage des Leidens bezeichnen (51).

Der allmachtkritischste Artikel des Büchleins ist Günter Altners Aufsatz "Schöpfung als Prozeß ­ Gott im Geschehen der Welt" (68-96). Für den Vf. steht fest, daß die "dogmatisch erstarrte Formel des allmächtigen GottesŠ keinen Sinn mehr [vermittelt]" (95). Er zeigt dies an einem ausführlichen Durchgang durch die Diskussionen über die Weltentstehung seit Charles Darwin (71-86) und einem kürzeren Überblick über die koreanische Minjung-Theologie (87-93). In beiden begegnet Gott als naher Gott (94 f., vgl. 69, 85 f.), der sich an den Weltprozeß ausliefert (94 f., vgl. 69). Nur wo es gelingt, den allmächtigen Gott im offenen (78, 86, 94) und schöpferischen (76, 80, 82-86) Geschehenszusammenhang der Welt wie der Geschichtlichkeit der Natur (72, 77) als die innere Bedingung der Möglichkeit ihres Werdens zu denken (85), kann an der Vorstellung von Gottes Allmacht festgehalten werden (96).

Auch Werner H. Ritter spricht sich in seinem Beitrag "Gott, der Allmächtige" im religionspädagogischen Kontext. Zur Problematik einer Glaubensaussage" (97-151) für die Verabschiedung einer "ungebrochenen, thetisch-dogmatischen Allmachtsvorstellung" aus, will aber "im Sinne ’zweiter Naivität’ (P. Ricoeur)" (151) an ihr als einer "theologisch regulativen und religionspädagogisch durchaus sinnvollen Vorstellung" (144 f.) festhalten, um so eine Balance zwischen der immer noch starken Verwurzelung der Allmachtsvorstellung in der Volks- und praktischen Frömmmigkeit (99-101) und ihrer radikalen Infragestellung durch die Theodizeeproblematik (101-103, 105 f.) zu finden. Der Vf. insistiert dabei besonders auf dem "Sitz im Leben" der Rede von Gottes Allmacht in Bitte, Klage, Hymnus (148; vgl. 36), die statt faktenhaften Feststellungen (148) fiktive Wirklichkeitsansagen wagen (148) und so Hoffnung zuzuspielen (148) und Angst abzubauen (139) vermögen.

Die vier Versuche einer Revision der Allmachtsvorstellung auf ihren produktiven Mehrwert hin sind zweifelsohne zu begrüßen und allen vorschnellen und einseitigen Verabschiedungen der Allmachtsvorstellung vorzuziehen. Fraglich scheint aber, ob die angestrebte Revision mit der deutlichen Verortung der Genese der Allmachtsvorstellung in "Extrem- und Krisensituationen" (125, vgl. 136) gelingt.

Der Begriff der Allmacht droht zum Kriseninterventionsbegriff zementiert zu werden, der eine eigentümliche Abhängigkeit von Defiziten aufweist und die defizitären Zustände möglicherweise eher prolongiert als destruiert. Zugleich würde einer Tendenz Vorschub geleistet, auf die schon Dietrich Bonhoeffer kritisch hinwies: die Abdrängung der Theologie in sogenannte Letztsituationen. Gerade für die von Ritter in seinem Beitrag betonte Alltags- und Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen (108 f.) wäre es von eminentem Interesse, die Plausibilität der Vorstellung von Gottes Allmacht "mitten im Leben" nachvollziehbar zu machen. Ob solchen Plausiblisierungsversuchen Erfolg beschieden ist, ist auch nach dem Buch der Vff. eine offene Frage.