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Ausgabe:

Oktober/1997

Spalte:

939–941

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Davidowicz, Klaus Samuel (1) Israel, Joachim (2)

Titel/Untertitel:

(1)Gershom Scholem und Martin Buber. Die Geschichte eines Mißverständnisses. (2)Martin Buber. Dialogphilosophie in Theorie und Praxis.

Verlag:

(1)Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1995. X, 166 S. 8° = Neukirchener Theologische Dissertationen und Habilitationen, 5. Kart. DM 58,­. ISBN 3-7887-1543-X. (2) Berlin: Duncker & Humblot 1995. 179 S. gr.8° = Sozialwissenschaftliche Abhandlungen der Görres-Gesellschaft, 23. Kart. DM 72,­. ISBN 3-428-08304-0.

Rezensent:

Michael Weinrich

Auf den ersten Blick scheinen die beiden vorzustellenden jüdischen Interpretationen Martin Bubers in durchaus gegensätzliche Richtung zu streben. Joachim Israel, geb. 1920, gehört zu den (weithin assimilierten) deutschen Juden, für die in ihrer Jugend Buber zu einem begeisternden Leitbild für eine lebendige jüdische Erneuerung geworden war. Israel ist immer noch erfüllt von den nachhaltigen Prägungen, die Buber in seiner Biographie hinterlassen hat. Klaus Samuel Davidowicz, beinahe zwei Generationen jünger, nimmt dagegen Buber aus einer inzwischen weithin selbstverständlich gewordenen Distanz heraus wahr, die in der kritischen Gegenüberstellung zu der ebenfalls recht unorthodoxen Position von Gershom Scholem zu einer höchst skeptischen Beurteilung Bubers durchdringt, wie sie im Grunde nur aus der Feder eines Juden stammen kann.

Auf den zweiten Blick relativiert sich allerdings diese typologische Gegenüberstellung, denn es zeigt sich, daß sich bei beiden Vfn. auch Anteile des jeweils anderen Zugangs zu Buber nicht nur wahrnehmen lassen, sondern ausdrücklich in ihren Interpretationen berücksichtigt werden. I. gewinnt in seiner Darstellung die nötige Distanz, um auch die Grenzen und Spannungen im Werk Bubers benennen zu können, und D. bringt unbeschadet seiner distanzierten Skepsis ein durchaus weitreichendes Verständnis für die spezifischen Perspektiven des von Buber eingeschlagenen Weges auf, auch wenn ihnen seiner Einschätzung nach nur ein recht partieller Erfolg beschieden war. So treffen sich die beiden Interpreten mit ihren so weit auseinanderliegenden Voraussetzungen schließlich in einem differenzierten Urteil, das in seinen unterschiedlichen thematischen Ausrichtungen zur weiteren Ernüchterung und Versachlichung der Buberinterpretation beitragen wird. Es ist ein zusätzliches Verdienst der Arbeit von D., dem spannungsreichen Verhältnis zwischen Buber und Scholem nachgegangen zu sein und es auf diese Weise den allgemein umlaufenden meist psychologisierenden Mutmaßungen zu entnehmen.

Joachim Israel schlägt mit seiner 1989 als Gastprofessor an der Universität Kassel gehaltenen Vorlesung, die in dem vorliegenden Buch allgemein zugänglich gemacht wird, einen weiten Bogen. Es ist eine Art komprimierte Gesamtdarstellung, die in ihrem Verlauf mehr und mehr auf spezifische soziologische und psychologische Fragen des Autors zuläuft und von hier aus interessante neue Aspekte eröffnet. I. beschreibt zunächst die unterschiedlichen Einflüsse, die Buber geprägt haben, und wendet sich dann seinem Zionismus und den politischen Optionen nach seiner Emigration 1938 nach Jerusalem zu, wobei er ­ ähnlich wie Paul Mendes-Flohr ­ die Bedeutung von G. Landauer für Buber unterstreicht, aber auch auf den besonderen Einfluß von A. D. Gordon mit materialreichen Aspekten hinweist. I. zeigt auf, daß Buber mit deutlicher Prägung durch G. Simmel eine Art religiösen Sozialismus entworfen habe, den er in ein durchaus eigenwilliges emphatisches Konzept eines jüdischen Messianismus eingezeichnet habe, in dem sich deutliche Spuren von Bubers Wahrnehmung des Chassidismus ausmachen lassen.

Die anschließende Interpretation von Bubers Hauptwerk "Ich und Du" (1923) hebt einerseits den kritischen Beitrag zu der vor allem idealistisch geprägten Philosophie des 19. Jh.s hervor ­ dabei wird gleichsam am Rande immer wieder eine sich durch das ganze Buch ziehende sachliche Konfrontation mit Jürgen Habermas inszeniert ­ und andererseits die durchaus noch mystisch geprägte Religionsphilosophie. In seiner Abweisung der Bewußtseinsphilosophie des deutschen Idealismus, der Transzendentalphilosophie, einer empirisch-phänomenalistischen Zugangsweise, sowie des neuzeitlichen Atomismus und Individualismus deuten sich Bubers ontologische, erkenntnistheoretische und seine genetisch-psychologische Perspektive an, die er mit seiner Dialogphilosophie verfolgt habe. Ein kleiner, aber sachlich gewichtiger Exkurs über die Beziehung Bubers zur Hegelschen Wesenslogik und die daraus resultierenden Konsequenzen zur geistesgeschichtlichen Verortung Bubers sind äußerst erhellend ­ zeigt sich hier doch auch die in der Ablehnung überdauernde Verwandtschaft Bubers mit der Denktradition des 19. Jh.s, auf die ich selber im Blick auf Bubers Freiheitspathos hingewiesen habe. Besonders weiterführend sind schließlich I.s gesellschaftswissenschaftliche und psychologische (kritische Gegenüberstellung zum "symbolischen" Interaktionismus von G. H. Mead) Rekonstruktionen, mit denen er einerseits die aktuelle Relevanz, aber auch die Grenze des Beitrags von Buber zu zeigen versucht. Hier findet sich eine Fülle neuer Anregungen für die weitere ­ vor allem interdisziplinäre ­ Diskussion über das Werk Bubers.

Klaus Samuel Davidowicz konzentriert seine Untersuchung auf das sowohl freundschaftliche als auch deutlich spannungsgeladene Gegenüber von Buber und Scholem, die beide in ihrer unkonventionellen Art entscheidende Impulse für ihre Wahrnehmung des Judentums aus dem Chassidismus bezogen und dennoch grundsätzlich verschiedene Wege eingeschlagen haben, die sich zwar immer wieder gekreuzt haben, aber um dann auch wieder entschieden auseinanderzulaufen. Indem D. eine gut belegte Studie über die Hintergründe dieses spannungsreichen Verhältnisses vorlegt, weist er alle unhistorischen und kontextlosen Typologisierungen ab und gibt ihm ein solides sachliches Profil, hinter dem alle affektiven Bewertungen zurücktreten. Die gemeinsame Opposition gegen die "Wissenschaft des Judentums", die den Nachweis erbringen wollte, daß das Judentum "eine historische Erscheinung und Teil der allgemeinen Kultur ist" (5), suchten beide einen Weg außerhalb des "normativen" Judentums (9). Dabei arbeiten sich beide mit freilich recht unterschiedlichen Ergebnissen an dem Verständnis des ’Nationaljudentums’ und den zu bewahrenden Impulsen der Kabbala ab (21). Buber habe dabei "mit kräftigen Fäden aus dem Judentum und der allgemeinen Kultur einen ganz außerordentlichen, und natürlich höchst eigenwilligen, Flickteppich ­ ein neues jüdisches Denken" gewebt (36), der sich dadurch auszeichnet, daß er immer auch über das Judentum hinausweist und das Allgemeinmenschliche in den Blick nimmt (vgl. u. a. 119, 136). Das führte jedoch schließlich zu "einer einsamen Randposition im Judentum" (69), so sehr Buber auch außerhalb des Judentums wahrgenommen und geschätzt wurde. Buber neigte mit seiner dichterischen Sprache immer wieder zu ästhetisierenden Ersetzungen der Tradition, die er für die Gegenwart zu aktualisieren hoffte. Dabei "entmessianisierte" er den Chassidismus und reduzierte ihn auf eine Begegnung ­ "einen Dialog zwischen Gott, Mensch und Welt" (138).

Scholem verschrieb sich dagegen der philologischen und historischen Arbeit, d. h. er versuchte mit den Mitteln rationalistischer Wissenschaft die Bedeutung des Irrationalismus in der jüdischen Geschichte zu ergründen (72), was schließlich in der These gipfelt, daß die Mystik kein Randthema des Judentums sei, sondern ihre Wurzeln habe die Mystik bereits im rabbinischen Judentum (82). Scholem sah die emphatischen und impulsiven "Vergegenwärtigungen" des Judentums von Buber mit größter Skepsis. Eine Erneuerung des jüdischen Selbstverständnisses konnte er sich allein durch ein intensives Versenken in die jüdische Vergangenheit vorstellen (149). In seinen Augen ist Buber auch in seiner späteren dialogischen Phase ein Erlebnis-Mystiker geblieben. "Die Worte ändern sich ­ statt das ’Erlebnis’ hieß es später ’Begegnung’ ­ aber der darin beschriebene Zustand blieb gleich" (153). Was D. im Blick auf den unterschiedlichen Umgang mit dem Chassidismus bezieht, kann m. E. als Resultat für das unterschiedliche Verhältnis von Buber und Scholem zum Judentum überhaupt gesagt werden, auch wenn beide im Judentum freilich mehr als eine historische Bewegung sahen: "Buber und Scholem repräsentieren zwei Möglichkeiten, sich einer historischen Bewegung zu nähern. Nur schließt die eine die andere aus. Scholem trat stets als Verfechter der historisch-kritischen Philologie auf, die Buber eher geringschätzig betrachtete. Und umgekehrt sparte Scholem nicht mit Polemik, wenn es um Bubers religiös-existentialistische Vorgehensweise ging" (143).

Es ist interessant, daß Davidowicz und Israel die bleibende mystische Linie bei Buber so deutlich herausstellen (D. besonders aus der Perspektive von Scholem) ­ m. E. benennen sie damit ein wesentliches Element für die verbreitete Popularität von Buber und zugleich ein in der Sache durchaus unausgestandenes Problem, das bisher noch keineswegs als ausgelotet gelten kann.