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Ausgabe:

Oktober/1997

Spalte:

931 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Hamm, Berndt

Titel/Untertitel:

Bürgertum und Glaube. Konturen der städtischen Reformation.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1996. 256 S. 8° = Sammlung Vandenhoeck. Kart. DM 38,­. ISBN 3-525-01614-X.

Rezensent:

Johannes Schilling

Das vom Vf. selbst als "Büchlein" bezeichnete Werk empfinde ich als eine besonders erfreuliche Erscheinung unter der jüngsten Literatur zur Reformationsgeschichtsforschung. Zwar ist das Studium des Zusammenhangs zwischen städtischer Gesellschaft und Religion nicht so vernachlässigt, wie das Vorwort zunächst glauben machen will. Aber daß die "intensive Synthese", zu der es zwischen Bürgertum und Glaube, zumal in der frühen Reformationszeit, in Deutschland kam, nun in einer vorzüglichen und lesbaren Darstellung vorliegt, verdient Aufmerksamkeit. Wichtig erscheint mir dabei der Verweis auf die Vielgestaltigkeit städtischer Reformationen und die Erwartung an die Leistungsfähigkeit eines integrativen Interpretationsansatzes, den der Autor verfolgt. Daß er mit Nürnberg in die Mitte des Reiches zielt und mit Lazarus Spengler und Hans Sachs zwei für ihre Gruppen prominente Vertreter der Reformation präsentieren kann, kommt dem Buch zugute ­ auch wenn, wie H. richtig bemerkt, Nürnberg, Spengler und Sachs nicht typisch sind. Gleichwohl ist das "Büchlein" mehr als ein Buch über Nürnberg.

Das Heiko A. Oberman zum 65. Geburtstag gewidmete Buch umfaßt drei unterschiedlich umfangreiche Kapitel. Im "1. Kapitel: Spätmittelalterliche Stadt und städtische Reformation ­ eine Orientierung" bietet H. eine konzise Einführung in die Dimensionen der Stadt und des städtischen Lebens ­ angesichts der guten vorliegenden Bücher etwa von Isenmann und Boockmann für mein Verständnis gelegentlich zu ausführlich. Als zentral betrachte ich die Abschnitte 1.13 ("Normative Zentrierung von Religion und Gesellschaft") und 1.19 ("Städtische Theologie"), sachlich die Frage, wie das Verhältnis von Glaube und Liebe zueinander gedacht und in den Lebenszusammenhang der Stadt hinein gedeutet und realisiert wird. Wie leistungsfähig die Begrifflichkeit ist, die H. geprägt hat und auch in diesem Buch verwendet, insbesondere die Begriffe der normativen Zentrierung und der Verdichtung, wird sich erweisen ­ allemal hilfreich ist ihr bewußter und die Diskussion eröffnender Gebrauch.

Das 2. Kapitel "Ein Ratsschreiber als Theologe: bürgerliche Religion und christlicher Glaube bei Lazarus Spengler (1479-1534)" (141-178) ist aus einem Vortrag anläßlich des 90. Geburtstags von Erika Dinkler-von Schubert 1994 hervorgegangen. Es handelt von der Religiosität des Nürnberger Ratsschreibers. Aufgrund zahlreicher eigener Vorstudien sowie der Arbeit an der von H. besorgten Edition von Spenglers Schriften liegt hier ein Beitrag vor, der sich durch besonders geglückte Formulierungen auszeichnet, etwa, Spengler sei "der Theologe unter den Politikern der Reformation"(153) gewesen, oder: "Er ist Eiferer und doch Taktiker" (157). Der Gewinn, den man aus dieser Studie ziehen kann, ist die mögliche Erkenntis eines ­ so gewiß nur an einem Individuum zu studierenden ­ Zusammenhangs von "Religion" und Gesellschaft, die Kenntnis von "civil bzw. civic religion" (157) und "die Überschreitungs- und Durchdringungsfähigkeit von Theologie quer zu bestimmten Rollenfixierungen" (167), die auch jenseits der Reformationsgeschichte Geltung beanspruchen kann und gilt.

Das 3. Kapitel "Ein Handwerker als Theologe: soziale und friedliche Reformation bei Hans Sachs (1494-1576)" (179-231) geht auf einen Festvortrag aus dem Jahr 1994 zurück. H. stellt den Laien Sachs als einen selbständigen, kritischen "Wortführer" der frühen Reformation in Nürnberg dar. Sachs habe insbesondere die Rechtfertigungslehre Luthers produktiv weitergeführt, und die sozialkritische Umsetzung der reformatorischen Botschaft sei für ihn ebenso ein "Lebensthema" wie die friedliche Reformation aus irenischem Geist, durch die er einen eigenständigen Platz innerhalb des lutherischen Spektrums einnimmt. Bei der Spitzenformulierung "sola caritate" (217 Anm. 89) ist gewiß zu beachten, daß diese auf der Basis der (anderen) reformatorischen sola-Formulierungen zu verstehen ist.

Das ansprechend gestaltete, durch ein ebenso umfangreiches wie sinnvoll zusammengestelltes Literaturverzeichnis ergänzte Buch wird durch 11 Abbildungen bereichert, die nicht (nur) illustrativen, sondern, zumal durch die erläuternden Bildlegenden, erschließenden Charakter haben. Es vermittelt reiche Kenntnisse, eine Fülle von Einsichten und nimmt den Leser durch seine Besonnenheit ein, durch das Erwägen von Alternativen nicht weniger als durch seine profunde Gelehrsamkeit, die es allererst ermöglicht, ein solches "Büchlein" zu schreiben.