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Ausgabe:

Oktober/1997

Spalte:

927–930

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Dassmann, E., Thraede, K. u. J. Engemann [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Jahrbuch für Antike und Christentum. Jg. 38, 1995.

Verlag:

Münster: Aschendorff 1995. 209 S. u. 6 Taf. m. Abb. 4°. Lw. DM 95,­. ISBN 3-402-08549-6.

Rezensent:

Wolfram Kinzig

Rechtzeitig zu seinem Doppeljubiläum (vgl. dazu C. Markschies in ThLZ 121 [1996], 1067-1075) hat das Franz Joseph Dölger-Institut an der Universität Bonn einen neuen Band seines "Jahrbuchs für Antike und Christentum" vorgelegt. Wie von dieser Zeitschrift gewohnt, enthält er wieder gewichtige Forschungsbeiträge aus allen Disziplinen, die sich der Erforschung der christlichen Antike verschrieben haben.

Der Bonner Althistoriker Klaus Rosen bietet eine neue Hypothese für die Datierung der Geburt Jesu im Lukasevangelium (2,1-20; "Jesu Geburtsdatum, der Census des Quirinius und eine jüdische Steuererklärung aus dem Jahr 127 n.C.", 5-15). Rosen zieht hierzu die auf Papyrus erhaltene Steuererklärung der Jüdin Babatha aus Rabbath aus dem Jahre 127 n.C. heran. Zwischen dieser Urkunde und Lk 2,1-5 sieht er sechs strukturelle und inhaltliche Gemeinsamkeiten. Lukas (besser wohl: Ps.-Lukas), so Rosen, legte demnach "das ihm vertraute Formular dem Bericht über den Census des Quirinius und über die Folgen zugrunde", "die die Steuererhebung für ein aus Bethlehem stammendes Paar hatte" (11). Der Evangelist habe auf dieses Formular der Steuererklärung deshalb zurückgegriffen, weil es ihm ermöglichte, die Umstände der Geburt des Galiläers Jesus im judäischen Bethlehem zu rekonstruieren. Ihm lag eine Tradition vor, derzufolge Jesu Eltern "in Bethlehem und Umgebung über ererbtes Grundeigentum verfügten" (12). Diese Nachricht verknüpfte er mit dem Census des Jahres 6 n.C.

Probleme bleiben: Der angebliche Grundbesitz von Joseph und Maria läßt sich nur dann erschließen, wenn man die strukturellen Übereinstimmungen zwischen Babatha-Urkunde und Lk 2 als evident voraussetzt. Sie sind jedoch keineswegs zwingend, auch wenn Ps.-Lukas natürlich die Census-Praxis als solche bekannt ist. (Die Nachricht Hegesipps über Landbesitz der Familie Jesu in Eus., h.e. 3,20 bezieht sich auf Enkel von Jesu Bruder Judas und weist obendrein, wie R. selbst [13 f.] eingesteht, zahlreiche legendarische Züge auf.) Vielmehr überliefert Mt 13,55, daß Jesu Vater tekton, also Zimmermann und nicht Bauer gewesen sei.

Auf die Möglichkeit, daß die Geburtsgeschichte deshalb mit Bethlehem verknüpft wurde, weil die David-Dynastie dort beheimatet war, an die sich messianische Hoffnungen knüpften, geht Rosen nur am Rande ein. Die Tatsache, daß "Censusreisen in die HeimatstadtŠ nicht ungewöhnlich waren" (6), ist kein Gegenbeweis, da sie ja auch umgekehrt benutzt worden sein könnte, um eine Reise der Eltern Jesu nach Bethlehem sekundär zu konstruieren. Auch wäre noch zu fragen, ob Rosens Annahme, Ps.-Lukas sei mit den Formularen für eine Steuererklärung in Judäa vertraut gewesen, nicht schon dadurch hinfällig wird, daß das Evangelium möglicherweise gar nicht dort abgefaßt worden ist (sondern vielleicht in Rom). Ebenso ist die offenbar auf S. 11 vorausgesetzte Datierung von Lk in der Regierungszeit Vespasians umstritten. Unabhängig davon muß einstweilen offenbleiben, ob derartige Urkunden zwischen der Zeit der Abfassung von Lk und der der Babatha-Urkunde nicht doch den veränderten Erfordernissen angepaßt wurden (gegen 9: "Die Form von Babathas Steuerklärung dürfte sich in den Provinzen der Kaiserzeit weitgehend gleichgeblieben sein" ­ für Ägypten gilt dies schon nicht! [vgl. ebenda]).

Ohne Zweifel den gewichtigsten Beitrag dieses Bandes bilden Clemens Scholtens Ausführungen über "Die alexandrinische Katechetenschule" (16-37). Der Vf. plädiert nach eingehender Analyse aller in Frage kommenden Quellen dafür, diese Bezeichnung für die Lehranstalt der ägyptischen Metropole aufzugeben. Es handele sich nicht um eine Einrichtung zur Vorbereitung der Taufbewerber, sondern um "die theologische Hochschule der dortigen Kirche". Im Zentrum des Lehrplans habe "das im Laufe der Zeit nach festen Regeln organisierte Schriftstudium unter Zuhilfenahme der propaideutischen Wissenschaften des Quadriviums und der Philosophie" gestanden. Damit müsse die Vorstellung, die Kirche der ersten Jahrhunderte habe keine eigenen Schulformen ausgebildet, aufgegeben werden: "Die Kirche erkennt, daß ein Eindringen in die Bildungswelt der Zeit und ihre Umgestaltung damals eine Auseinandersetzung auf Hochschulebene bedeutet, weil hier und nicht beim Elementar- und Grammatiklehrer der eigentliche Wissenserwerb und Argumentationsaustausch stattfindet" (37).

Diese These hat weitreichende Implikationen und bedarf der kritischen Rückfrage wie der intensiven Diskussion. Hier nur so viel: Man wird Scholtens gelehrten Ausführungen völlig darin zustimmen, daß das alexandrinische tes katecheeos bibaskaleion (so bezeichnet bei Eus., h.e. 6,3,3; 6,26), dessen Leitung u. a. Origenes innehatte, keineswegs ­ wie die Mehrzahl der Forscher annimmt ­ eine "Katechetenschule" (präziser: "Katechumenenschule", denn es geht um Ausbildung von Katechumenen, nicht von Katecheten, vgl. 35) gewesen ist. Die Frage ist, ob die alternative Beschreibung dieser Unternehmung durch Sch. den Sachverhalt präziser trifft und ob sich die gezogenen Schlußfolgerungen und Verallgemeinerungen halten lassen. Ob man von "der Kirche" im 2. und 3. Jh. im Kollektivsingular sprechen sollte, die etwas "erkannt" habe, scheint mir angesichts der institutionellen Varietäten noch gegen Ende des fraglichen Zeitraums sehr zweifelhaft. Hier wird ein konzertiertes Vorgehen der "Großkirche" suggeriert, das es so sicher nicht gegeben hat.

Zu überlegen wäre, ob Eusebs Bemerkung, Origenes sei von Bischof Demetrios mit dem theologischen Unterricht "beauftragt" worden (h. e. 6,3,8) nicht Verhältnisse des 4. Jh.s in eine frühere Zeit zurückprojiziert. Mindestens bleibt unklar, was denn "Beauftragung" hier eigentlich meint. Nach Scholten handelte es sich bei der Schule um eine "Lehreinrichtung der alexandrinischen, bischöflich geleiteten Kirche in Absetzung von Schulen aller möglicher, vor allem häretischer Couleur" (meine Hervorhebung). Stand dem alexandrinischen Bischof also das Ernennungsrecht zu? (Vgl. dagegen aber Eus., h.e. 6,26, wonach Origenes bei seinem Weggang von Alexandrien nach Cäsarea Heraklas mit der Leitung der Hochschule beauftragt!) Oder liegt hier eine Art von missio canonica vor? Wäre dies in der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts vorstellbar?

Weiter: Wie verträgt sich die Hypothese der kirchlichen Anerkennung und Beauftragung mit der Tatsache, daß Pantainos, Clemens und Origenes freie Lehrer bleiben? Scholten sieht dieses Problem selbst, weiß aber dazu auch nicht mehr zu sagen, als daß es wohl so gewesen sein müsse (35). Außerdem: Origenes wurde ja, wie Scholten selbst zu Recht betont (20 f.), von der alexandrinischen Kirche finanziell nicht unterstützt! Schließlich handelte es sich nicht ­ oder mindestens nicht in erster Linie ­ um eine Universität zur theologischen Ausbildung des Klerus ­ wie der Ausdruck "theologische Hochschule" nahelegen könnte. Zutreffender die Beschreibung auf S. 31: "Schule der christlichen Unterweisung"oder "christliche Schule", d. h. im Unterschied zu den "weltlichen" Unterrichtsstätten, aber auch den bibaskaleia heterodoxer christlicher Gruppen, eine "höhere" Schule mit einem besonderen Schwerpunkt in christlicher Schriftauslegung (aus der dann auch spätere Kirchenführer hervorgingen, vgl. 31 f.).

Daß Demetrios sich daran gestoßen habe, daß Origenes in Alexandrien im "eucharistischen Gottesdienst" (im Unterschied zu seinen exegetischen Vorträgen in der mittwochs und freitags abgehaltenen Gemeindeversammlung, vgl. Socr. h.e. 5,22,45 f., so 29) Vorträge gehalten habe, ersehe ich aus Eus., h.e. 6,19,17 f. nicht. Dort geht es um Schriftauslegungen (so Euseb in 6,19,16; Alexander von Jerusalem und Theoktistos von Cäsarea sprechen allgemeiner von homilein bzw. prosomilein) des Origenes in Cäsarea "in Gegenwart von Bischöfen" paronton episkolon); d. h. doch wohl nicht mehr, als daß in Alexandrien dieses Prärogativ den Bischöfen zukam! Ein Laie durfte die Schrift hingegen ­ falls überhaupt ­ nur bei Abwesenheit des Bischofs in dessen Vertretung auslegen.

Einen Einblick in die Debatte, die in der spätantiken Historiographie um die Beurteilung des Lebenswerks Constantins des Großen zwischen Christen und Nichtchristen geführt wurde, gibt Bruno Bleckmann ("Constantin und die Donaubarbaren. Ideologische Auseinandersetzungen um die Sieghaftigkeit Constantins", 38-66). Bleckmann spricht ­ in Aufnahme eines Terminus von S. Calderone ­ von einem "anticonstantinismo", der bereits zu Ende des 4. Jh.s in der paganen Geschichtsschreibung zu konstatieren sei.

Als zentraler Beleg hierfür dient ihm der bei Zosimos (2,31,3) überlieferte und wohl auf dessen Hauptquelle Eunap zurückgehende Bericht über die Niederlage des Kaisers gegen die Taifalen. Aus quellenkritischen Gründen vermutet Bleckmann die Vorlage für den Bericht des Zosimos bzw. dessen Gewährsmann Eunap "in einem lateinischen Geschichtswerk senatorischer Tradition, möglicherweise der in den 80er Jahren des IV. Jahrhunderts verfaßten Annalen des Nicomachus Flavianus" (60).

Jean Doignon untersucht in einer weiteren Studie zu Hilarius von Poitiers die Bedeutung der Begriffe moderor/moderatio und tempero/temperatio im Werk dieses Kirchenvaters («Le goût de l’équilibre dans la culture morale, exégétique et théologique d’Hilaire de Poitiers», 67-74). Eine ausführliche Analyse dieser Wortfelder in der philosophisch-theologischen Tradition und in den Schriften des Bischofs selbst führt Doignon zu der These, daß die Idee des Gleichgewichts und des Maßes/der Mäßigung zu den Grundkonstanten seiner Geisteswelt gehörte, die seine Theologie und Ethik in verschiedenen Zusammenhängen maßgeblich geprägt hat.

Barbara Feichtinger widmet dem Trostbrief, den Hieronymus Ende 384 in Rom an seine asketische Freundin Paula wegen des Todes von deren Tochter Blesilla richtete, eine literarische Untersuchung ("Konsolationstopik und ’Sitz im Leben’. Hieronymus’ ep.39 adPaulam de obitu Blesillae im Spannungsfeld christlicher Genusadaption und Lesermanipulation", 75-96). Durch eine raffinierte Argumentation gelinge es Hieronymus, "Paula die alleinige Schuld an der prekären, die askese- und mönchsfreundlichen Kreise in Rom diskriminierenden Stimmung und die Verantwortung für die bedrohte Zukunft der Askesebewegung selbst zuzuschieben" und so seine eigene Haut zu retten (88).

Rotraut Wisskirchen weist in einer Miszelle ("Das monastische Verbot der Feldarbeit und ihre rechtliche Gestaltung bei Benedikt von Nursia", 91-96) darauf hin, daß das grundsätzliche Verbot der Feldarbeit in der Benediktsregel (48,7) vor dem rechtlichen Hintergrund der locatio conductio bzw. des precarium zu sehen ist, wobei "die Pächter bzw. LandleiherŠ schollengebunden und Sklaven gleichgestellt" sind (95). Durch die Benediktsregel sei es den Klöstern ermöglicht worden, "Unfreie zu beschäftigen, ja durch die Arbeitsbedingungen ihre Unfreiheit zu prolongieren" (96).

In die Höhen gnostischer Engelsspekulationen führt Joachim Friedrich Quack ("Dekane und Gliedervergottung. Altägyptische Traditionen im Apokryphon Johannis", 97-122). Er untersucht eine im Apokryphon Johannis (AJ) überlieferte umfangreiche Liste von Engeln und Dämonen, die bei der Erschaffung der Glieder und der Eigenschaften des Menschen eine Rolle spielen (NHC II 15,29/19,10; NHC IV 24,22/29,18). Eine eingehende Analyse dieser Passagen ergibt, "daß manche alten, ursprünglich ägyptischen Vorstellungen und Namen auftauchen, als direkte Vorlage des gnostischen Textes aber astrologische Traktate vermutet werden können" (ebd.). Damit grenzt sich Quack von M. Tardieu ab, der hierfür griechische Wurzeln angenommen und eine orientalische Beeinflussung bestritten hatte.

Drei archäologische Beiträge beschließen den Band:

Die ikonographische Entwicklung der Darstellung der Auferweckung des Lazarus ist Thema von Fred C. Albertson ("An Isaic Model for the Raising of Lazarus in Early Christian Art", 123-132 und Tafeln 1 f.). Markus Sommer beschäftigt sich mit einer erotischen Darstellung auf einem ­ mittlerweile durch Kriegseinwirkungen verschollenen ­ Suppenlöffel (ligula) aus einem Grabfund in Folklingen im französischen Département Moselle ("Die erotische Fischszene auf einem Löffel aus Folklingen 4. Jahrhundert n.C.", 133-139). Paul Corby Finney schließlich untersucht die Frage, warum auf zahlreichen spätantiken Amuletten und Siegeln relativ häufig die Geschichte von der Opferung Isaaks (Gen 22,1-19) dargestellt ist ("Abraham and Isaac Iconography on Late-Antique Amulets and Seals: The Western Evidence", 140-166 und Tafeln 3-6).

Finney zufolge sei Abraham die dominierende Figur der Szene. Nun spielte Abraham nicht nur in exegetischen Traditionen und in liturgischen Kontexten eine große Rolle, sondern wurde auch im paganen Bereich als Wundertäter und Astrologe verehrt. Sein Name erscheint häufig auf Zauberpapyri; ihm wurde daher offensichtlich eine besondere magische Macht zugeschrieben. Die Opferungsszene sei deshalb gewählt worden, weil "es keine spätantike ikonographische Tradition gab, die Abraham allein darstellte" und weil "um die Mitte des vierten Jahrhunderts die Opferungsszene die bewährte und echte (tried and true) ikonographische Entsprechung zu Gen 22 geworden war" (163). Gegen diese These erheben sich mir folgende Bedenken: Wenn tatsächlich Isaak in der Darstellung nur von sekundärer Bedeutung ist, dann fallen die vom Vf. angeführten exegetischen Parallelen aus der rabbinischen wie der christlichen Literatur weitgehend aus, da sie ja, wie der Vf. (157-159) selbst zeigt, gerade auf der Typologie Isaak-Israel bzw. Isaak-Christus basieren und den Akt der Rettung in den Vordergrund stellen, also nicht allein auf Abraham abheben. Schon ein Blick in das LCI zeigt, daß bereits seit dem 4. Jh. auch die Begegnung Abrahams mit den drei Engeln/Männern in Gen 18 ikonographisch belegt ist (Bd. I, 21). Also warum Gen 22? Doch wohl deshalb, weil die Geschichte von der Opferung Isaaks besonders geeignet war, die Bewahrung des Menschen durch Gott in den Widrigkeiten der Welt zu symbolisieren ­ die Inschrift des Siegelrings Nr. II/7 in der Liste des Vf.s ("Servanda vivas") belegt diesen Wunsch um gutes Gedeihen ausdrücklich.

Nachzutragen bleibt, daß Finney in zwei Appendices zwei Amulette mit guten Gründen als moderne Fälschungen entlarvt.