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Ausgabe:

Oktober/1997

Spalte:

918–920

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Popkes, Wiard

Titel/Untertitel:

Paränese und Neues Testament.

Verlag:

Stuttgart: Kath. Bibelwerk 1996. 208 S. 8° = Stuttgarter Bibelstudien, 168. Kart. DM 59,­. ISBN 3-460-04681-3.

Rezensent:

Friedrich W. Horn

Dieses Buch des seit Jahren an Fragen neutestamentlicher Ethik arbeitenden Hamburger Neutestamentlers stellt in der umsichtigen Darlegung des Textbefundes, in der Zusammenstellung und der Verarbeitung der Sekundärliteratur sowie in der Einordnung paränetischer Aussagen und ihrer literarischer Formen in einen theologischen Rahmen nicht nur einen guten Überblick, sondern auch in der thetischen Zuspitzung einen wirklichen Gesprächsbeitrag dar. Die vier Kapitel des Buchs tragen folgende Überschriften: 1. Die Geschichte der Verwendung des Wortes Paränese. 2. Der neutestamentliche Befund. 3. Traditionsbildung und Gestaltungselemente in der frühchristlichen Paränese. 4. Der theologische Charakter der frühchristlichen Paränese. Das Buch wird abgeschlossen durch ein umfangreiches Literaturverzeichnis (192-208).

Obwohl die Abschnitte 3 und 4 mit dem Wort "frühchristliche Paränese" andeuten, die außerkanonische frühchristliche Literatur, etwa die Apostolischen Väter oder die Apostelakten, im Blick zu haben, beschränkt sich die Darstellung recht ausschließlich auf den neutestamentlichen Befund. Das Literaturverzeichnis wiederum hätte als eine Auswahl angezeigt sein müssen. Der fortlaufende Text benennt und verarbeitet in den Anmerkungen erheblich mehr an Literatur, enthält leider auch einige wesentliche Defizite (es fehlen z. B.: G. Strecker, Strukturen einer neutestamentlichen Ethik, ZThK 1978; ders., Ziele und Ergebnisse einer neutestamentlichen Ethik, NTS 1978; als ältere Titel auch die Artikel "Sittlichkeit des Urchristentums" von E. Stauffer und W .G. Kümmel in der 2. und 3. Aufl. der RGG u. a.). Störend sind etliche Druckfehler. Karl-Wilhelm Niebuhr erhält insgesamt drei verschiedene Vornamen (40: K.-W.; 131: Fr.-W.; 150 A. 125: H.-W.) .

Es sind zunächst die einzelnen Teile zu referieren, bevor abschließend eine kritische Würdigung der sich in allen Teilen des Werks durchziehenden Hauptthese erfolgt.

P. setzt in Teil 1 mit dem lexikalischen Befund in der antiken Literatur zu paraineo ein. Das Wortfeld zeigt, daß Paränese vorwiegend im Bewährten bestärken will, während Protreptik auf die Aneignung von Neuem zielt (24). Paränese ergeht vorwiegend in Krisen-, Entscheidungs- und Übergangssituationen (26), ist aber kein Begriff einer hierauf bezogenen Literaturgattung. Die forschungsgeschichtlichen Ausführungen zur Verwendung des Begriffs Paränese greifen einerseits vehement die Sicht von M. Dibelius an (in Kürze: Die urchristliche Paränese besteht im wesentlichen aus jüdischem und hellenistischem Stoff, allein das Kerygma ist eine originale, christliche Bildung). Andererseits aber wird die, auch von Dibelius vorgetragene und sich daran anschließende These einer in eben diesem Stoff bestehenden urchristlichen, taufkatechetischen Paränesetradition modifiziert aufgenommen (62.77.109) und mit dem Verweis auf die rites de passage (A. von Gennep und V. Turner) in Beziehung gesetzt (42.80.83.118.176.180 u. ö.), um nun zentral und vielfach von Konversionsparänese, Neophytenparänese, Taufparänese, Paränese der Lebenswende, Überwindungs- und Siegesparänese zu sprechen.

Teil 2 zeichnet den neutestamentlichen Befund für Jesus und die einzelnen Schriften nicht in abgegrenzten Textabschnitten nach, sondern befragt das gesamte NT auf seine paränetische Intention. Somit wehrt P. eine wirksam gewordene Trennung von Theologie und Ethik zwar ab, vernachlässigt aber doch die Analyse und den prägenden religionsgeschichtlichen Hintergrund derjenigen Textteile, die zumeist der materialen Ethik zugewiesen werden.

Teil 3 hält fest, daß die Traditionsbildung in der neutestamentlichen Paränese auf die Jesustradition und auf jüdische und hellenistische Vorgaben zurückgreift. Zuvor war bereits mehrfach auf die jüdische Neophyten-Unterweisungstradition (49) verwiesen worden.

Allerdings wendet sich P. vehement gegen die These einer Adaption ursprünglich fremder Stoffe und ihrer sekundären Verchristlichung, um zu sagen: "Die Adaption solcher Stoffe konnte vielmehr erst dadurch erfolgen, daß eine deutliche Vorstellung von der Eigenart christlicher Existenz vorhanden war" (165). So werden übernommene Konventionen entscheidend verändert, etwa auch in der Motivationsanalyse (175). Das Proprium frühchristlicher Paränese findet P. "am ehesten in Ansatz, Zielsetzung und Selbstverständnis des frühchristlichen Gruppenprozesses" (166). Hatte Dibelius das Gemeinsame mit der vorchristlichen Überlieferung betont, so P. jetzt eher das Trennende bzw. die "Eigendynamik" (165), wie sie in dem neuen, mit der Konversion gesetzten Rahmen zu finden ist.

Teil 4 beschreibt den theologischen Charakter der frühchristlichen Paränese, die prinzipiell von einer Situationsethik geschieden ist (181). Als Konversionsparänese ist sie nie von dem theologischen Rahmen zu dispensieren, "der wesentliche Impuls der P.[aränese] kommt von innen, nicht von außen" (181). P. steuert auf eine praxis pietatis (129) zu, auf "geistliche Noblesse, verbunden mit Contenance" (191), dividiert nicht Indikativ und Imperativ auseinander, sondern bezieht Rechtfertigung und Heiligung aufeinander (172).

Die Urzelle der frühchristlichen Paränese ist nach P. die Einweisung der Neophyten in der Taufparänese (150). "Christliche Paränese ist in Ansatz, Wesen und Ausgestaltung Tauf-Paränese, Neophyten-Einweisung" (124). Zwar benennt P. kritische Vorbehalte gegenüber A. Seebergs Versuch, einen dogmatischen Katechismus der Urchristenheit rekonstruieren zu wollen, spürt aber doch seinerseits in einem additiven Verfahren dem "Weg einer inhaltlichen Beschreibung der zentralen Motive, die an die Konversion anschließen und den weiteren Weg beleuchten" (140), nach. Die formkritische Arbeit tritt hierbei notwendig in den Hintergrund, wie auch die folgende These zeigt: "In der frühchristlichen Neophyten-Unterweisung dürfte der Inhalt die Formgebung bestimmt haben, nicht umgekehrt" (151).

Dieser Ansatz wird strapaziert, wenn der 1Joh als postkonversionale Mahnrede, "weil traditionsgeschichtlich am ehesten aufweisbar" (120), verstanden wird. Demgegenüber ist einschränkend zu vermerken: P. reklamiert Neophytenparänese bereits für die früheste Zeit des Christentums, nicht aber, wie in der Forschung zumeist dargelegt, für die Zeit der Apostolischen Väter und der an sie anschließenden Zeit (133.138.165 u.ö.). Es sind jedoch die direkten, positiven Hinweise auf Neophytenparänese im Neuen Testament, einen "sich entwickelnden Lehrbetrieb" (132), ausgesprochen gering (vgl. zur Sache zuletzt den Exkurs bei H. Löhr, Umkehr und Sünde im Hebräerbrief, 1994, 181-187). Hier bedürfte es auch weiterer Hinweise zur Abstützung der These im institutionellen Handeln der frühen Kirche. Dieses Defizit ist nicht dadurch zu entkräften, daß die Sache der Neophytenparänese bereits der vorliterarischen Überlieferung zugewiesen wird. Auch spricht die Widersprüchlichkeit paränetischer Aussagen im Neuen Testament gegen eine deutlich ausgeprägte, frühe urchristliche Neophytenparänese.

Hier müssen kritische Rückfragen bleiben. Sie schmälern nicht den Wert des Buches, das in allen vier Teilen die Forschung befruchtet und dem theologischen Kontext frühchristlicher Paränese umsichtig nachspürt.