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Ausgabe:

Oktober/1997

Spalte:

913–915

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kiraz, George Anton

Titel/Untertitel:

Comparative Edition of the Syriac Gospels. Aligning the Sinaiticus, Curetonianus, Peshîttâ and Harklean Versions. I: Matthew. LXXXV, 454 S. syr.; II: Mark. IV, 257 S. syr.; III: Luke. V, 514 S. syr.; IV: John. 376 S. syr.

Verlag:

Leiden: Brill 1996. gr.8° = New Testament Tools and Studies, 21. Geb. hfl 820.­. ISBN 90-04-10419-4.

Rezensent:

Harald Suermann

G. A. Kiraz legt in seinem vierbändigen Werk ein Werkzeug für vergleichende Studien zu syrischen Übersetzungen der vier Evangelien vor. Band 1 enthält neben der vergleichenden Edition des Matthäusevangeliums ein Vorwort und eine Einleitung, in der das Projekt, die verwendeten Texte und die Methode dargestellt werden, sowie eine Einleitung von A. Juckel zu Text und Überlieferung der Harklensis samt Auflistung der Marginalien zu den vier Evangelien. Dem syrischen Text ist noch ein Schreiben des syrisch-orthodoxen Patriarchen von Antiochien und dem gesamten Osten an Kiraz vorangestellt sowie eine gekürzte syrischsprachige Einleitung zum Gesamtwerk (der syrische Text trägt eine eigene Seitenzählung von "hinten" nach "vorne"). Die Bände 2-4 enthalten jeweils das Markus-, das Lukas- und das Johannesevangelium.

Die Evangelien sind mehrmals in die syrische Sprache übersetzt und die Übersetzungen öfters revidiert worden. Sechs syrische Versionen sind bekannt: Das Diatessaron, Vetus Syra (altsyrische Übersetzung), Peschitta, Philoxeniana, Harklensis und die palästinensich-syrische Übersetzung.

Drei Übersetzungen sind in der vergleichenden Edition nicht berücksichtigt: 1. Tatians Evangelienharmonie, das Diatessaron, ist verloren; nur längere Zitate sind in einem Kommentar von Ephraem dem Syrer erhalten, die aber für die Aufnahme in den Vergleich nicht ausreichen. 2. Die vom Chorepiskopos Polykarp im Auftrag des monophysitischen Bischofs Philoxenus von Mabbug durchgeführte Übersetzung (507/8) ist ebenso verloren. Einen überzeugenden Versuch, den Text zu rekonstruieren, gibt es nicht. 3. Die palästinensisch-syrische Version gehört einer anderen Tradition an, ihre Sprache ist ein aramäischer Dialekt mit syrischer Schrift und nicht das klassische Syrisch.

Die anderen drei Texte verwendet K. in seiner vergleichenden Ausgabe. Der Text der Vetus Syra ist in zwei (nicht vollständigen) Handschriften überliefert, dem Curetonianus und dem Sinaiticus, wobei der Curetonianus eventuell eine Rezension des Sinaiticus darstellt. Der Text der Peschitta ist aus der kritischen Edition von Pusey/Gwilliam übernommen. Der Text der Harklensis, einer Revision der Philoxeniana durch Thomas von Harkel im Jahre 616, war bisher nicht in einer zufriedenstellenden Form ediert. Die Ausgabe der Harklensis von White, im 18. Jh. erstellt, bietet eine im 12./13. Jh. revidierte Fassung. Sie wurde für den Vergleich nicht herangezogen. Da der ursprüngliche Text der Harklensis erst noch rekonstruiert werden muß, hat A. Juckel für die vergleichende Ausgabe das älteste überlieferte Manuskript ediert, wobei er drei weitere Manuskripte für die Rekonstruktion der Lücken und unlesbaren Stellen herangezogen hat. Kiraz berücksichtigt keine Väterzitate, auch verweist er in dem Werk nicht auf die eventuell zugrundeliegenden griechischen Texte.

Die Wiedergabe der vier Evangelienübersetzungen erfolgt versweise und zwar so, daß die vier Texte jeweils untereinander stehen (Sinaiticus, Curetonianus, Peschitta, Harklensis). Bei der Gegenüberstellung der Versionen werden nach Möglichkeit die übereinstimmenden Wörter untereinandergesetzt, wenn eine Entsprechung fehlt, steht ein "X". Wenn die Wörter nicht übereinstimmen, werden die Wörter nach semantischen Gesichtspunkten zugeordnet. Die semantische Zuordnung wird auch durchgeführt, wenn dasselbe syrische Wort unterschiedliche griechische Wörter wiedergibt. Durch diese vergleichende Wiedergabe der syrischen Evangelientexte ist es möglich, auf einem Blick Gleichheit und Unterschied der verschiedenen Übersetzungen zu erkennen. Es läßt sich dabei leicht feststellen, wo Wörter ausgetauscht oder zusammengefaßt, eingefügt wurden oder entfallen. Problematischer ist diese Gegenüberstellung, wenn die Wortstellung invertiert ist. Dies wird optisch nicht gekennzeichnet, sondern so behandelt, als würden jeweils zwei Wörter keine Entsprechung haben.

Aufgrund der Anordnung lassen sich schnell die Entsprechungen und die Verwandtschaftsgrade der syrischen Übersetzungen erkennen. Um aber die tatsächliche Entwicklung der syrischen Übersetzungen der Evangelien von einer freieren und am Inhalt orientierten zu einer wörtlichen, die Strukturen der griechischen Sprache imitierenden Übersetzung zu erkennen, ist es hilfreich, ja notwendig, den griechischen Text der Evangelien mit seinen verschiedenen Überlieferungen hinzuzuziehen. Die am stärksten am griechischen Wortlaut orientierte Übersetzung ist die Harklensis. Juckel stellt dies gut in seiner Einleitung zum Text dar. Er zeigt auch, daß durch den Vergleich des syrischen Textes mit den griechischen Evangelienüberlieferungen sogar die griechische Vorlage für die Übersetzung festgestellt werden kann. Für eine umfassende Geschichte der syrischen Übersetzungen müßten aber auch die Bibelzitate bei den kirchlichen Schriftstellern sowie verschiedene Revisionen der einzelnen Übersetzungen hinzugezogen werden. Erst hierdurch könnte die Tendenz von einer inhaltlich orientierten zu einer am Wortlaut orientierten Übersetzung und Revision dargestellt und die eventuellen theologischen Implikationen und Vorgaben einer Übersetzung oder Revision herausgearbeitet werden. Voraussetzung für die Einarbeitung der Väterzitate und der Revisionen ist aber ihre kritische Edition, die noch nicht in einem ausreichenden Maße geleistet ist. Deshalb war es richtig, sich auf die vier Texte zu beschränken.

Die vergleichende Edition von K. ist ein gutes und sehr nützliches Werkzeug, um die Geschichte der syrischen Evangelienübersetzungen tiefer zu erforschen. Die Zusammenstellung der vier Texte erleichtert die Arbeit sehr. Besonders hilfreich ist es, daß für die Wiedergabe der Harklensis das älteste Manuskript ediert wurde, dessen Text wohl nur wenig vom ursprünglichen Text abweicht. Es bleibt noch anzumerken, daß das Werk mit Hilfe eines speziell für die syrische Textverarbeitung entwickelten Programms erstellt wurde. K. hat schon mit "A Computer-Generated Concordance to the Syriac New Testament" gezeigt, daß die Datenverarbeitung sinnvoll als Hilfsmittel für die Erforschung syrischer Texte eingesetzt werden kann.