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Ausgabe:

Oktober/1997

Spalte:

898 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Sedlmeier, Franz

Titel/Untertitel:

Jerusalem –­ Jahwes Bau. Untersuchungen zu Komposition und Theologie von Psalm 147.

Verlag:

Würzburg: Echter 1996. 395 S. gr.8° = Forschung zur Bibel, 79. Kart. DM 48,­. ISBN 3-429-01792-0.

Rezensent:

Erhard S. Gerstenberger

Der Autor dieser Mainzer Habilitationsschrift (Betreuer R. Mosis) steckt sich ein doppeltes Ziel: Er möchte einen Psalm monographisch bearbeiten und ein theologisch (auch geschichtlich und politisch) brisantes Thema erörtern. Ob die beiden Projekte so reibungslos neben- und miteinander zu bewältigen sind?

S. geht seine Aufgaben in sechs übersichtlichen Kapiteln an. Sie sind überwiegend textorientiert, doch kommt das systematische Interesse des Vf.s überall zum Zuge. Zunächst erfolgt eine gründliche Bestandsaufnahme des Psalmentextes, schulmäßig, in Text- und Literarkritik, Gattungsbestimmung und Strukturuntersuchung (17-44). Danach ist Ps 147 ein sorgfältig komponierter "Doppelhymnus" (39), dessen ursprünglicher Teil (V. 1-11) durch einen "eigens dafür geschaffenen zweiten Hymnus" (29) ergänzt worden ist. Weil V. 2a formal und sachlich "aus dem Rahmen fällt" (32), widmet S. ihm exklusiv das 2. Kapitel: "Jahwe ­ der Bauherr Jerusalems" (45-80).

Darin wird minutiös (morphologisch, syntaktisch; lexikalisch) nachgewiesen, daß bonäh ausnahmsweise Substantiv, nicht Partizip ist und eine theologisch singuläre Aussage macht: "Jahwe ist der Bauherr Jerusalems". Dieses theologoumenon ist darum so schwergewichtig, daß der ganze übrige Psalm von ihm geprägt ist bzw. diesen einen Satz auslegt. ­ Spätestens hier fragt sich der Leser oder die Leserin verdutzt, ob wir es bei Psalm 147 mit einem dogmatischen Lehrtext zu tun haben oder einem liturgischen Lobgesang? Kann ein einzelner Satz im alttestamentlichen Psalter eine solche theologische Sauerteigwirkung haben, wie wir sie aus streng scholastisch strukturierten Dogmatiken kennen? Für S. ist die Frage entschieden, er beruft sich durch die ganze Arbeit hindurch auf die so festgestellte Konstellation (64; 75-78; 139 f.; 204; 205; 238f.; 259; 276 f.; 347 f. usw.). Alle Aussagen des Psalms sollen "Explikation" oder "Entfaltung" des einen Satzes Ps 147,2a sein! Mir bleiben erhebliche Zweifel.

Aber die übrigen Kapitel können ja die These festigen. Das (umfangreichste!) dritte Kapitel (81-175) ist der Bautätigkeit Jahwes im Alten Testament schlechthin gewidmet; es geht um die Untersuchung des Verbs bnh und seiner Synonyme in bezug auf Jahwe. Propheten und Psalter beweisen ­ so S. ­, daß "die Wurzel bnh in ein verzweigtes Netz von Theologien und theologischen Aussagen eingebunden [sic!] ist" (171). Das Stichwort "bauen" kann sich nämlich mit mehreren anderen Heilsaktivitäten Jahwes ("Wiederaufbau nach dem Exil", "Erbauung des Gottesvolkes", "Rettung, Heilung und Erneuerung der Gemeinde", "Vorbereitung der Erscheinung von Jahwes Herrlichkeit" usw.) verbinden und die ganze Palette göttlichen Handelns berühren. So wird Ps 147,2a zum Zentrum der alttestamentlichen Theologie schlechthin (vgl. zu Ps 127,1: "Nur wenn er der Erbauer seines Heiligtums ist, also seine schützende Gegenwart schenkt, hat das Gottesvolk eine Mitte, eine Zukunft", 175).

Nach dem großen Gang durch Propheten und Psalter folgen drei weitere Kapitel detaillierter, aber thematisch geordneter Textexegese unter den einschlägigen Überschriften "Der Bauherr Jerusalems ­ Anwalt der Armen (VV. 2 f. 6.10 f.)" (= Kap. IV); "Der Bauherr Jerusalems ­ König des Weltalls (VV. 4 f. 8f.)" (= Kap. V); "Der Bauherr Jerusalems und die Gabe des Wortes (VV. 12-20)" (= Kap. VI). Mit großer Akribie und nimmermüdem Fleiß untersucht der Vf. relevante Aussagen, Wortfelder, theologische Intentionen und kommt (außer der immer wiederholten Hauptthese) zu vorsichtig-umsichtigen Schlußfolgerungen etwa in bezug auf "Armentheologie", "Identität der Frevler" (= z. T. innere, z. T. äußere Bedränger; die wirtschaftliche und soziale Situation bleibt am Rande), "Gemeinde Jahwes in der Kraft ihrer Ohnmacht" (Ps 147,10 f.: Ablehnung menschlicher Selbstmächtigkeit; warum deuten die "Schenkel des Mannes" nur auf "kriegerische Potenz" [228]?); Jahwe als "Weltenlenker" und "Lebensspender". Alles in allem: Eine beachtliche, umfangreiche Kleinarbeit zu einem einzigen Psalmtext, der durch drei hebräische Wörter zum Mittelpunkt der Theologie wird.

Aus meiner Sicht der Dinge (vgl. meine: Psalms, FOTL XIV,1, Grand Rapids 1988) fehlt der so solide textgebundenen Arbeit einmal der altorientalische Hintergrund (Götter, vor allem Könige als Tempelerbauer), der aber wahrscheinlich von einem Verfasser in einer Lebenszeit nicht erarbeitet werden kann, sondern durch Experten zugeliefert werden muß. Was der Alttestamentler oder die Alttestamentlerin jedoch leisten könnte, wäre m. E. eine gründliche Besinnung auf Gebrauch, Funktion, kurz: den Sitz im Leben des verhandelten Textes.

Die Psalmen sind in irgendeiner Weise gruppen- oder gemeindebezogen. Sie sind keine Schreibtisch- oder Schulprodukte. Ihre Verwendung in liturgischen Prozessen verschiedenster Art hat sie entstehen und überliefert werden lassen. Das würde bedeuten: Die lehrhafte, sinngebende Dominanz eines dreiwörtigen Satzes in einem zu rezitierenden (und nicht akademisch zu analysierenden) Textblock von mehr als 20 Zeilen ist schlecht einsichtig zu machen.