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Ausgabe:

Oktober/1997

Spalte:

894–896

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Ben Zvi, Ehud

Titel/Untertitel:

A Historical-Critical Study of the Book of Obadiah.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1996. X, 305 S. gr. 8° = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 242. Lw. DM 158,­. ISBN 3-11-015225-8.

Rezensent:

Josef Wehrle

Bereits 1991 veröffentlichte Ehud Ben Zvi seine Dissertation "A Historical-Critical Study of the Book of Zephaniah" in der Reihe BZAW, Bd. 198. Von demselben Autor erschien 1996 die vorliegende Studie zu Obadja, wiederum in der Reihe der BZAW als Bd. 242. Sie trägt denselben Titel, nur der Prophetenname wurde substituiert. Die "Introduction" (1-9) umreißt die wichtigsten Ziele der Monographie: Es geht um die Darstellung der Zusammenhänge zwischen dem Obadjatext und den historischen Ereignissen, die ihm möglicherweise zugrunde liegen. Angestrebt wird ferner die Rekonstruktion der Botschaft, die an die Adresse der historischen Gemeinde(n) gerichtet ist.

Die Untersuchung konzentriert sich, ähnlich wie in Zef, auf die "small literary subunits of the text" (8). Sie sind gekennzeichnet durch formkritische Kriterien (eröffnende, abschließende Worte, Gattungs- und Sprecherwechsel). Jede "sub-unit" wird beschrieben im Hinblick auf ihren spezifischen Lexemgebrauch. Hinzu kommen die Textkritik und die komparative Analyse von häufig auftretenden Lexemen und Ausdrücken innerhalb von Obd und in der übrigen Hebräischen Bibel bzw. im AT (HB/OT). Ein weiterer Untersuchungsschritt "concerns the messages that the first community/ies of readers likely abstracted through their reading (and re-reading) of the ad-dressed sub-unit" (8).

Für die Abgrenzung der "sub-units" übernimmt Ben Zvi den bekanntesten Lösungsvorschlag: Obd 1; 2-4; 5-7; 8-11; 12-15; 16-18; 19-21. In dieser Reihenfolge werden nun die einzelnen "sub-units" Vers für Vers analysiert. Obd 1 (10-45) enthält einen Titel, eine prophetische Botenformel und die Erinnerung an eine Audition. Der Titel hazon ’BDYH unterstreicht, daß das Buch Prophetie ist, und daß das Lesen dieses Buches dem Empfangen von Prophetie als Botschaft Jahwes gleichkommt (38). Diese Sicht unterstützt das zweite Element der Einleitung, die Botenformel. Sie erklärt das gesamte Buch als Jahwewort. Den Namen Obadja mögen (re)readers mit dem gleichnamigen Beamten Joschafats identifiziert haben, im Obadjatext selbst gibt es keinen Anhaltspunkt dafür. Von der Perspektive der "post-monarchic-communities", innerhalb derer und für die das Buch geschrieben wurde, hatte sich nach Ben Zvi schon vieles erfüllt. Die Botenformel sollte die Aufmerksamkeit der "community of (re)readers" auf Edom und die Völker lenken. Obdaja selbst repräsentiert Israel, mit dem sich auch die (re)readers des Buches identifizieren sollten. Die 1. Person pl. in Obd 1c wird damit gerechtfertigt, daß es sich um einen "report about a re-collection of an audition" handelt und nicht um einen "prophetic ’audition report’" (31). Obd 1c und d sind äquivalente Sätze, der Bote wird somit als Jahwebote verstanden.

Kritische Anfragen ergeben sich bezüglich der Textanalyse. Warum wird die Strukturierung des Textes auf der Satzebene unterlassen, obwohl sie für die Argumentation vorausgesetzt wird? Weshalb hat der Autor nicht W. Richters BHt (ATSAT 33.10), die ihm offentsichtlch bekannt ist (s. u.), für den gesamten Obadjatext benutzt? Die Polyfunktionalität von Obd 1 kann durch die Bestimmung der Kommunikationsebenen, durch textphorische, syntaktische, semantische und stilistische Untersuchungen (so ausführlich in Wehrle 1987) am Text plausibel und überprüfbar demonstriert werden. Hier hätte sich der Autor durch die Einbeziehung der entsprechenden Literatur besser absichern können. Auch ein "historical-critical study" kann auf sprachliche Analysen auf sämtlichen Ebenen nicht verzichten, wenn ihre Ergebnisse überprüfbar bleiben sollen. Dies trifft auch auf die Konnotation der vielzitierten (re)readers zu.

Ähnliches kann man auch bei Obd 2-4 (46-71) feststellen. Daß nicht nur hier, sondern im gesamten Text sogenannte "key-words" Textkohärenz und Assoziationen herstellen, hat bereits Wehrle 1987 (43-61; 210 ff) auf der syntaktisch/semantischen Ebene eingehend analysiert. Interessanterweise übernimmt Ben Zvi für Obd 4 die Satzeinteilung der BHt, weil es die wahrscheinlichste sei, aber nicht die einzige (62,Anm. 80). Zu diesem schwierigen Vers vermißt man wieder wichtige Sekundärliteratur: W. Richter, Untersuchungen zur Valenz althebräischer Verben, 1986 (ATSAT 25); E. Jenni, Die hebräischen Präpositionen Bd. 2: Die Präposition Kaph. 1994; der Art. SîM in ThWAT VII, 761-781. Auffallend ist, daß THAT und ThWAT kaum benutzt werden (vgl. schon die Anfrage Gerstenbergers in seiner Rezension zu Zefanja in ThLZ 118, 1993, 26). Die Vielschichtigkeit der Metapher und ihre Funktion werden nur partiell erfaßt. Nach Ben Zvi liegt ein historischer Hintergrund in Obd 2-4 nicht vor. Es werden vielmehr "imperial common topoi" benutzt, um Jahwe als Herrscher über Edom und alle Völker zu charakterisieren.

In Obd 5-7 (72-98) stellt sich zunächst die Frage: Wer spricht? Nach dem vorangegangenen Text dürfen nach Ben Zvi die (re)readers nur an Jahwe gedacht haben. Unter Berücksichtung der Hypersätze und der Textphorik hätte man diese Einsichten im Text selbst nachweisen können (vgl. Wehrle 1987, 16-61). Einen historischen Hintergrund erkennt Ben Zvi in Obd 5-7 nicht. Edoms berit ist jedoch vergleichbar mit der assyrischen kitru-Vorstellung, d. h. sie ist ein Bündnis von Sündern ohne göttliche Legitimation. Diese müssen bestraft werden (98). Die Einheit bereitet das im folgenden Text entfaltete Thema vor: Der Kampf Jahwes gegen Edom ergibt sich aus dem Konflikt zwischen Edom und Israel sowie Esau und Jakob.

Obd 7e dient als Überleitung zur nächsten Einheit. Zuvor wird in Kap. 5 "The Relationship between Obd 1-7 and Jer 49,7-22 and its Implications for the Study of Obd 1-7 (99-114)" behandelt. Ben Zvi nennt die bekannten Möglichkeiten: 1. Abhängigkeit Obd 1-7 von Jer 49,7-22; 2. Abhängigkeit Jer 49,7-22 von Obd 1-7; 3. Obd und Jer hatten eine gemeinsame Textquelle. In Auseinandersetzung ­ besonders mit Dicou 1994 ­ kommt Ben Zvi zu folgendem Ergebnis: Obd 1-7 und Jer 49,7-22 benutzen unabhängig voneinander eine schriftliche Quelle (so auch Wehrle 1987, 366). Wahrscheinlich gehörte dazu die Botenformel in Obd 1, jedoch nicht der Titel.

Die Einheit Obd 8-11 (115-138) setzt sich zusammen aus den drei Untereinheiten 8-9; 10; 11. Wiederum sind zahlreiche "cross-references" zu den vorhergehenden und nachfolgenden Texten feststellbar. Allerdings wird folgende Literatur nicht berücksichtigt: C. H. J. van der Merve, The Old Hebrew Particle, 1990 (ATSAT 34); W. Groß, die Pendenskonstruktion im Biblischen Hebräisch, 1987 (ATSAT 27). Der Text Obd 12-15 (139-176) wird ausführlich untersucht. Das pattern ’al... ki mag bei den Lesern die Vorstellung evozieren, daß ein Weisheitslehrer seine Schüler/Söhne ermahnt. In gleicher Weise nimmt Jahwe die Rolle des Weisheitslehrers gegenüber Edom ein. Edom ist Jakobs Bruder. Es beachtet nicht des Lehrers (= Gottes) Weisheit und besiegelte so sein Schicksal. Leider fehlt auch hier die Satzeinteilung. Den Terminus "Vetitiv" (Neg ’al + PKKF) scheint Ben Zvi nicht zu kennen. Auf Seite 147 wird von "isotopes" gesprochen, ohne näher zu definieren, was damit gemeint ist (vgl. die Ausführung bei Wehrle 1987, 274 ff).

Obd 16-18 (177-196) besteht nach Ben Zvi aus vier "micro-units" V. 16, 17, 18 (außer dem letzten Satz) und dem als "closure maker" fungierenden V. 18g. Sprecher ist Jahwe. Wieder werden keine Satzgrenzen markiert (179). Im Hinblick auf V.16 und dessen Interpretation ist jedoch eine syntaktische Analyse mit Satzeinteilung unabdingbare Voraussetzung.

Der schwierige Text Obd 19-21 (197-229) entwirft nach Ben Zvi eine zukünftige ideale Welt unter der sich offenbarenden Königsherrschaft Jahwes. V. 19 und V. 20 werden nach inhaltlichen Gesichtspunkten übersetzt: Die Bewohner im Negeb werden den Berg Esaus, diejenigen der Schefela das gesamte Gebiet der Philister beerben. Beide Aussagen werden als Erfüllung von V. 17b gesehen (Ben Zvi schreibt stets V. 17, weil er ja keine differenzierte Satzeinteilung vornimmt). Die Bewohner der Schefela und die Benjaminiten werden die Kerngebiete des Nordreiches (Efraim, Manasse und Gilead) beerben. Diese beiden Erben waren verbunden mit dem Nordreich, später waren sie Teile des Königsreiches Juda und dann wichtige Gebiete der neubabylonischen/achämenidischen Provinz Juda/Yehuda (227). Die Söhne Israels in V. 20a meinen nicht die Exilierten des Nordreiches, sondern Israel als theologische Größe wie in vielen Texten der nachköniglichen Zeit. Weitere Einzelheiten sind bei Ben Zvi nachzulesen. Alle wichtigen Lösungsvorschläge werden ausführlich besprochen. Obd 19-21 wurde geschrieben innerhalb und für die postmonarchische, wahrscheinlich achämenidische Zeit. Die dominierende Rolle nimmt Jerusalem/Zion ein. Man hoffte auf die Rückkehr Israels innerhalb der Grenzen des davidischen Reiches, ohne jedoch die Herrschaft der davidischen Dynastie anzustreben. Eine historische Situation wird nicht reflektiert. Der Sprecher ist sowohl ein Insider (Israel im theologischen Sinn) als auch ein Outsider (er lebt außerhalb Jerusalems und Judas).

Das 10. Kap. (230-246) stellt die Frage: "Why was Edom Singled out in Obadiah?" Gibt es historische Hintergründe für den Edomhaß? Ben Zvi schließt sich der Position von Bartlett 1989 an: Es gibt keine historischen Indizien, die genügend Beweiskraft hätten, auch nicht dafür, daß Edom bei der Eroberung Jerusalems eine herausragende feindliche Rolle gespielt haben sollte. Deshalb muß der Obadjatext theologisch verstanden werden. Ausgehend vom weit verbreiteten Motiv der zwei feindlichen Brüder wird im Rückgriff auf Gen 25 ff geschildert, daß Jakob, nicht Esau, der wirkliche "Erstgeborene" ist, weil er nach göttlichem Willen dazu erwählt wurde. Esau/Edom und die Völker sind schlechte Brüder. Deshalb ergeht über sie das göttliche Gericht.

Abschließend werden im 11. Kap. "Summary of Research and Concluding Remarks" (247-267) noch einmal alle wichtigen Fragen und Lösungsvorschläge zum Obadjatext zusammengefügt und vertieft. Eine ausführliche Bibliographie (268-287, Druckfehler Wherle anstatt richtig Wehrle), ein Bibelstellenregister (288-305) und ein Verzeichnis der zitierten Autoren (leider unvollständig!) schließen sich an.

Die Studie von Ben Zvi ist ein wichtiger und weiterführender Beitrag zur Obadjaforschung. Allerdings scheint mir die Frage nach dem möglichen historischen Hintergrund einzelner Texteinheiten manchmal zu schnell ad acta gelegt worden zu sein. Deren theologische Überformung und Weiterreflektion mag durchaus auf geschichtlich erfaßbaren Daten beruhen (zumindest in Obd 11 ff.). Um die literarische Eigenart der Texte adäquater bestimmen zu können, sollte auch einer "Historical-Critical" Studie eine sprachwissenschaftlich orientierte Textanalyse zugrunde gelegt werden. Sie könnte die Sicht der (re)readers auf eine solide im Text verankerte Grundlage stellen und weitere Verstehensweisen eröffnen.