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Ausgabe:

Oktober/1997

Spalte:

883–886

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Geva, Hillel [Ed.]

Titel/Untertitel:

Ancient Jerusalem Revealed.

Verlag:

Jerusalem: Israel Exploration Society 1994. XVI, 336 S. m. zahlr. Abb., 10 Farbtaf. 4°. Geb. $ 40.­ ISBN 965-221-021-8.

Rezensent:

Hermann Michael Niemann

Der mit zahlreichen und informativen Abbildungen und Plänen, kurzem Glossar sowie Index erfreulich ausgestattete Band enthält 39 Beiträge israelischer Autoren zu archäologischen Unternehmungen und Funden in Jerusalem. Der zeitliche Rahmen der Funde reicht (abgesehen von geringfügigen keramischen Siedlungsspuren des Neo-Chalkolithikums auf dem Südosthügel) von baulichen Resten der Frühbronzezeit (3. Jt. v. Chr.) bis in osmanische Zeit. Freilich liegt das Schwergewicht des Bandes auf der Zeit des 1. und 2. Tempels. Die Beiträge waren bereits in der (hebräischen) Zeitschrift Qadmoniot erschienen, sind allerdings von den Autoren erweitert und auf den neuesten Stand gebracht worden. Der vorliegende Band schließt an einen Vorgänger an (Jerusalem Revealed, hrsg. Y. Yadin, Jerusalem 1976), der erstmals ein summary israelischer Archäologie in Jerusalem gezogen hatte.

H. Geva eröffnet den Band mit einem Überblicksartikel (1-28), der kundig und ausgewogen nach Kulturperioden (Bronzezeit bis Mittelalter) gegliedert skizziert, was seit Redaktionsschluß des Vorgängerbandes in Jerusalem an Grabungen und Funden besondere Hervorhebung verdient. Er steuert auch eine "List of the Major Archaeological Activities in Jerusalem, 1967-1992" bei, die in Stichworten und auf einer Karte Daten und Fakten zusammenfaßt (325-330).

Weltweit besondere Aufmerksamkeit haben zu Recht die von Yigal Shiloh (1987 verstorben) geleiteten Ausgrabungen auf dem Gebiet der südlich vom Tempelplatz gelegenen sogenannten "Davidstadt" gefunden. Jane M. Cahill und David Tarler berichten (31-45) über die zahlreichen, höchst interessanten Ergebnisse der Grabungen Shilohs zwischen 1978 und 1985, die Fachleuten bereits aus Aufsätzen und Monographien bekannt sind. Beide Autoren kommen freilich an wichtigen Stellen zu Auffassungen, die von denen des verstorbenen Grabungsleiters abweichen.

Dies betrifft vor allem den Übergang von der Spätbronze- zur Eisenzeit. Aus dieser Phase fand sich am Ostabhang der Davidstadt eine massive, gestufte "Steinstruktur", bestehend aus einer "substructure" (Kern) und einer darüberliegenden "superstructure" (Mantel). Y. Shiloh datierte beide Teile als unabhängige Komponenten in die Spätbronzezeit II (ca. 13. Jh. v. Chr.) bzw. in die Eisenzeit II (ca. 10. Jh. v. Chr.). Erstere sei Unterbau, um die verfügbare Hügelfläche auzuweiten; der im 10. Jh. darübergelegte Steinmantel als dachziegelartiger Überzug sei stabilisierend zugefügt worden. Die Substruktur datierte er nach der in ihr gefundenen Keramik (des 13. Jh.s v. Chr.), den darüberliegenden Mantel dagegen aufgrund von Keramik (des 10. Jh. v. Chr.) aus dem über dem Mantel gelegenen Erdreich. Dies ist methodisch fragwürdig. Eine Probebohrung 1983 ergab innerhalb des Mantels (der "superstructure") Keramik, die identisch ist mit derjenigen in der Substruktur. Daher weisen Cahill und Tarler mit Recht auf die Möglichkeit hin, daß Sub- und Superstruktur gleichzeitig sind und aus dem 13. (oder 12. Jh.) v. Chr. stammen. Dies ist deshalb bemerkenswert, weil die sonst ins 10. Jh. datierte "superstructure" als Beleg für davidische Bautätigkeit aufgefaßt worden war (was dem Rez. zufolge ohnehin keineswegs sicher ist, denn ein keramischer oder architektonischer Beleg irgendwann aus dem 10. Jh. v. Chr. beweist ja keineswegs zweifelsfrei speziell davidische Urheberschaft!), wofür es sonst bisher keine Hinweise gibt.

Haben Cahill und Tarler Recht, fehlt weiter ein Beweis für David und/ oder Salomo und deren beginnende (imperiale?) Bautätigkeit in Jerusalem. Abgesehen von diesem umstrittenen Punkt verweisen z. Zt. in den Grabungsarealen B, D1, E1 und G nur fragmentarische Baureste, bescheidene Keramikfunde in Erdfüllungen z. B. über der gestuften Steinstruktur sowie zwei Keramik-Kelche und ein Bruchstück eines Kultständers auf Siedlungstätigkeiten im 10. Jh. v. Chr. All dies kann nach Meinung des Rez. nicht zweifelsfrei speziell auf David und/oder Salomo zurückgeführt werden. Zu weiteren, für die späteren Phasen der Königszeit hochinteressanten Funden und Details des 9.-6. Jh.s v. Chr. in der sogenannten "Davidstadt" muß auf das Buch selbst verwiesen werden.

Y. Shiloh informiert über die Neuuntersuchung einer bereits 1867 von Charles Warren entdeckten Tunnelanlage mit einem Zugang zur Gihonquelle ("Warren’s Shaft"), die im Zusammenhang mit dem Bericht über Davids Ein- oder eher Übernahme der Stadt Jerusalem nach 2Sam 5,6 ff. eine Rolle gespielt haben kann (46-54). Y. Shoham stellt eine Gruppe von Siegelabdrücken (Bullae) aus einem Gebäude der Grabung Y. Shilohs in der Davidstadt vor (Areal G, Stratum 10, 2. Hälfte 7. ­ Anfang 6. Jh. v. Chr.), die 53 Personennamen enthält (55-61). Ein Siegelabdruck erwähnt Gemarja Ben Schafan (Jeremia 36,9 ff.). Ein weiteres Siegel, das T. Schneider bespricht (62 f.), trägt den Namen Asarjahu Ben Hilkijahu (1Chr 5,39-41; 9,10 f.; Esra 7,1). E. Mazar berichtet über die Aufdeckung von Teilen vermutlich königlicher Gebäude auf dem sogenannten Ophel zwischen heutigem Tempelberg und der "Davidstadt" einschließlich eines Tores ("Wassertor"?) (64-72), M. Ben-Dov über eine sehr fragmentarische Stein-Inschrift vom Ophel, die sich vielleicht auf eine rituelle Vorschrift für Tempelpriester bezieht (73-75). D. Chen, S. Margalit und B. Pixner beschreiben aufgedeckte Befestigungsreste aus dem 8./7. Jh. v. Chr. und späteren Phasen unter dem Essenertor (76-82). Daß Jerusalem sich seit dem Ende des 8. Jh.s v. Chr. stark ausdehnte, war durch Funde in der Zitadelle, im "Armenischen Garten" auf dem (christlichen) Berg Zion und im Muristan bekannt; M. Broshi hat Hinweise jetzt auch in der Grabeskirche gefunden (82-84).

Mit denjenigen in der Davidstadt an Bedeutung vergleichbar ist der Fundplatz Ketef Hinnom nicht weit von der Südwestecke der Altstadt. Dort kamen althebräische Inschriften, Gräber mit reichen Funden sowie eine frühchristliche Kirche und Reste bis in osmanische Zeit ans Licht, über die G. Barkay berichtet (85-106).

Am bedeutendsten waren sieben Grabhöhlen wohlhabender Jerusalemer Familien aus der späten judäischen Königszeit (7. bis frühes 6. Jh. v. Chr.), darunter Grabhöhle 24 mit einem nicht ausgeraubten Repositorium für die Ablage der Knochen früherer Begrabener mit über tausend Grabbeigaben. Unter den (Edel-)Metall-, Knochen-, Elfenbein-, Glas- und Steinobjekten von hohem kulturgeschichtlichem Wert ragen zwei ­ inzwischen berühmte ­ Silberröllchen hervor mit dem von Num 6,24-26 bekannten Segen in unserem Text sehr ähnlichen Fassungen. Dieser Fund aus dem 7. Jh. v. Chr. bildet den ältesten bisher bekannten Bibeltext, viel älter als die Qumrantexte.

Über Gräber westlich des (christlichen) Zionberges im Mamillagebiet und nörlich des Damaskustors berichten A. Kloner, D. Davis, R. Reich, G. Barkay und A. Mazar (107-127). N. Avigad (128-137) stellt einen den Silberröllchen von Ketef Hinnom an Bedeutung vielleicht vergleichbaren Fund vor: einen 43 mm hohen elfenbeinernen Granatapfel mit der Inschrift "Heilige Weihegabe für die Priester des (im) Hause(s) Jahwes", Mitte des 8. Jh.s v. Chr. Wohl auf einem Stab wie ein Zepter wirkend bleibt seine Funktion (im Kult? des Jerusalemer Tempels?) ungeklärt. Seine Herkunft ist unbekannt; er wurde im Jerusalemer Antikenhandel entdeckt. Avigad und Barkay besprechen Siegelabdrücke wahrscheinlich desselben Siegels eines (Jerusalemer?) "Stadt-Obersten" (1Kön 22,26; 23,8; 2Chr 34,8), das als Amtssiegel ohne Eigennamen eine typische Amtsübergabeszene abbildet (138-140. 141-144).

Der zweite Buchteil über die Periode des 2. Tempels wird eröffnet mit einem Bericht von M. Broshi und S. Gibson über eisenzeitliche und spätere Funde an der westlichen und südlichen Altstadtmauer (147-155). H. Geva faßt die Grabungen der Jahre 1976-1980 in der Zitadelle (156-167), R. Sivan und G. Solar diejenigen ebendort von 1980-1988 zusammen (168-176). Nachdem bereits Ch. Warren 1867-1870 nördlich der "Klagemauer" im Bereich des Wilsonbogens Untersuchungen anstellte und mit kleinen Tiefgrabungen bis zum Mauerfuß der Westmauer zu gelangen trachtete, wurde nach dem Sechstagekrieg vom Wilsonbogen in Richtung Norden an der Westmauer entlang ein teilweise sehr enger unterirdischer Tunnel bis zur Nordwestecke des Tempelareals und zum Struthionsteich vorangetrieben, was D. Bahat (177-190) beschreibt. Hier bleiben viele Fragen offen, auch die nach einem wissenschaftlichen Abschlußbericht und dem Verhältnis von Aufwand und Ergebnis.

L. Y. Rah.mani eröffnet mit einem sehr interessanten, allgemein-grundsätzlichen Aufsatz zu "Ossuaries and Ossilegium (Bone-Gathering) in the Late Second Temple Period" (191-205) eine Reihe von Artikeln über konkrete Grabfunde.

Er behandelt Beerdigungsbräuche im Zusammenhang ihrer sozialen und religiösen Hintergründe. In exilisch-frühnachexilischer Zeit sieht er ­ wenn überhaupt ­ eine Vorstellung von "Auferstehung" allenfalls allegorisch für das Volksganze statt für den Einzelnen gegeben, während individuell-physische Auferstehungsvorstellung kaum vor Daniel 12,2 (vgl. 2Makk 7,9 ff.) im hasmonäischen 2. Jh. v. Chr. (bei frommen Hasidim im Unterschied zu Sadduzäern) erkennbar sei. Dementsprechend geht die Sorge für Verstorbene über das bisher übliche Versammeln (der Leiber bzw. Knochen) zu den Vätern (im Grab) allmählich hinaus. Meyers nahm an, daß, nachdem früher die Gebeine bei neuen Beerdigungen einfach weggeräumt wurden, das Sammeln der Knochen in Gebeinkästen einfach eine Weiterentwicklung darstellte. Dem widerspricht Rahmani mit Hinweis auf die seit den frühen Hasidim gepflegte Anschauung physisch-individueller Auferstehung, begleitet durch pharisäisch-eschatologische Ideen der Zeit. Der einzelne sorgte demzufolge sorgfältiger für die Voraussetzung seines Auferstehens durch Bereitstellung eines Gebeinkastens. Fromme ließen das (sündige) Fleisch 12 Monate in einem Grab sühnen, damit die ("geläuterten") Gebeine mit der Hoffnung auf Auferstehung dann, in einem Ossuarium gesammelt, erneut begraben werden konnten. Die Verteilung der gefundenen Ossuarien in einem Gürtel zwischen ca. 200 m bis ca. 3 km außerhalb der Stadtmauern Jerusalems deutet die Ausdehnung der damaligen Wohnstadt an. Rahmani widmet sich den ornamentierten Ossuarien (einer Minderheit, aber immerhin ca. 1500 etwa zwischen dem 1. vorchristlichen und der Mitte des 3. nachchristlichen Jh.s). Bei ca. 15% ist die Ausschmückung unvollendet (Zeit-, Finanzprobleme?).

Die Motivik wird durch naturalistische oder stilisierte Pflanzen, geometrische und Architekturelemente beherrscht. Daß die Motive Hoffnungssymbole auf künftiges Leben seien, lehnt Rahmani gegen eine herrschende Meinung ab und hält sie für rein dekorativ. Seit dem 3. nachchristlichen Jh. gewann die Anschauung an Boden, daß die Bewahrung der Gebeine für physisch-individuelle Auferstehung nicht relevant sei; damit verloren Ossuarium/Ossilegium an Bedeutung. Konkrete Fundbeschreibungen von Grabanlagen im Kidrontal, in Nord-Talpiyot (südl. der Altstadt), auf dem Scopusberg sowie Berichte über Sarkophage im Bereich des H.aram sowie über motivisch zusammengehörige Ossuargruppen (mit Architekturmotiven sowie solchen mit einer Menora) schließen sich an (206-243).

Aufmerksamkeit verdient der Beitrag von Y. Magen (244-256). Er beschreibt Jerusalem als Zentrum einer speziellen Steinindustrie. Es handelt sich um Gefäße und Gegenstände, die aus weißer und bituminöser Kreide hergestellt wurden.

Der Vf. gibt einen interessanten Einblick in die Herstellungstechnologie (mit Produktions- und Werkzeug-/Drehmaschinenskizzen) und das Repertoire der Steingegenstände. Die Entstehung dieser genuin jüdischen Geräte und Gegenstände hängt mit der Beobachtung jüdischer Reinheitsvorschriften zusammen. Da (Gegenstände aus) Stein und Erde nicht rituell unrein werden, besitzen Steingefäße im Unterschied zu Keramikgefäßen große Bedeutung z. B. am Sabbat, wo Steingefäße reines Wasser bereithalten (vgl. z. B. Joh 2,6), während Wasser in Keramikgefäßen, leicht unrein geworden und die Unreinheit auf das Gefäß übertragend, nicht mehr zu Reinigung Verwendung finden konnte. Das erklärt ihre extensive Benutzung im Tempel und bei allen Frommen. Die "Stein-Industrie" tauchte in der 2. Hälfte des 1. Jh.s v. Chr. auf und verschwand nach 70 n. Chr.

N. Avigad behandelt zwei Siegelabdrücke des bedeutenden Hasmonäers Alexander Jannaeus: Einer stellt ihn als König, der andere als Hohenpriester vor (257-259). J. Patrich bietet eine Rekonstruktion des 2. Tempels, angelehnt an den Mischnatraktat Middot, deren neue Akzente vor allem in der Struktur des Stufenzugangs und goldener Weinranken über dem Portal und den Eingangssäulen bestehen (260-271). D. Barag schließt den 2. Buchteil mit Bar-Kochba-Münzen, die den Schaubrottisch und die Tempelfassade zeigen (272-276) sowie einer Notiz über die berühmte Menora-Darstellung, eingeritzt in eine Wand im Jüdischen Viertel Jerusalems (277-278).

Den dritten Buchteil zu "Späteren Perioden" beginnt M. Magen mit einem Report über die Arbeiten von 1979-1984 am Damaskustor, die vor allem dem hadrianischen Torkomplex (und seinen Nachfolgebauten) galten, dessen östlicher Seitendurchgang dem heutigen Besucher sogleich auffällt (281-286). V. Tzaferis u. a. beschreiben (287-292) die Suche nach der von Josephus erwähnten sogenannten 3. (nördlichen) Stadtmauer, die anscheinend nicht parallel zur heutigen suleimanischen Altstadtmauer, sondern ca. 400-500 m nördlich verlief. Dort scheinen in byzantinisch-früharabischer Zeit mehrere Klöster (incl. Hospize und Friedhöfe) gelegen zu haben, deren Bewohner im Zusammenhang mit der unsicher gewordenen Lage in der judäischen Wüste nach dem persischen Einfall 614 und der arabischen Eroberung 638 n. Chr. hierher umgezogen waren. D. Amit und S. R. Wolff berichten von einem armenischen Kloster unmittelbar südlich der 3. Mauer (293-298), A. M. Maeir referiert über begonnene Grabungen im Mamilla-Bereich mit Funden von der späthellenistischen bis zur osmanischen Zeit (299-305) und A. Kloner (306-310) über ein mit Vogel- und Pflanzenornamenten wunderschön ausgemaltes Höhlengrab auf dem Ölberg (3./4. Jh. n. Chr.). Über eine Analyse der architektonischen Gegebenheiten an der Südmauer der Altstadt vom (türkischen) Misttor über den kreuzfahrerzeitlichen Festungsturm "Tanner’s Postern", Reste der Nea-Kirche und den Sulfur-Turm berichtet M. Ben-Dov (311-320), bevor M. Rosen-Ayalon (321-324) mit der Beschreibung eines schönen mamlukischen Wasserbeckens in der Madrasa Al-Tankizziyya aus dem 14. Jh. n. Chr. den Band beschließt.

Das äußerlich und inhaltlich ansprechende Buch ist gut geeignet, genau das zu erreichen, was es erreichen soll: breite Kreise von Interessierten sachkundig darüber zu informieren, was israelische Archäologen und Institutionen in Jerusalem in den letzten 25 Jahren Beachtenswertes geleistet haben.