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Ausgabe:

Mai/2008

Spalte:

576–578

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Mahlmann, Matthias, u. Hubert Rottleuthner [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Ein neuer Kampf der Religionen? Staat, Recht und religiöse Toleranz.

Verlag:

Berlin: Duncker & Humblot 2006. 300 S. 8° = Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte, 39. Kart. EUR 78,00. ISBN 978-3-428-12095-6.

Rezensent:

Jochen Bohn

Um es vorwegzunehmen: Wer dieses Buch in der Erwartung liest, eine Antwort auf die gegenwärtig zweifellos bewegende Titelfrage zu finden, dem wird eine gewisse Enttäuschung nicht erspart bleiben. Ein drohender Kampf der Religionen ist – wenn überhaupt – lediglich untergründig Gegenstand der hier versammelten Texte. Erhellende Orientierungen zu Herkunft, Gegenwart und Zukunft religiös motivierter Konfrontation sucht der Leser vergeblich. Was er stattdessen findet, sind ganz unterschiedliche Bemühungen, »religiöse Toleranz« zu begründen und theoretisch wie praktisch abzusichern. Die Frage, »wie religiöser und weltanschaulicher Pluralismus insgesamt zivilisiert rechtlich, politisch, sozial und kulturell bewahrt« werden könne, müsse »prinzipienorientiert« be­antwortet werden. Dabei sei es wichtig, »historische, soziologische, philosophische, theologische, politologische und rechtswissenschaftliche Perspektiven« zusammenzuführen – so der Verlagstext.
Die zwölf Beiträge des Buches gehen auf eine Universitätsvorlesungsreihe an der Freien Universität Berlin zurück, die von den Herausgebern im Wintersemester 2004/05 organisiert wurde. Multi- und interdisziplinär ist der Zugang zur Problemstellung, wobei juristischen Versuchen der Wirklichkeitsdeutung und -gestaltung unübersehbar Vorrang gewährt wird. Zunächst untersucht Hu­bert Rottleuthner Art und Grad der bundesrepublikanischen Säkularität. Dabei lobt er die Fähigkeit des Christentums, sich der staatsbürgerlichen Moral der Menschenrechte anzupassen, kritisiert aber zugleich die staatliche Privilegierung christlicher und jüdischer Religionsgemeinschaften. Unter Berufung auf Jellinek blickt Reimer Hansen zurück in das konfessionelle Zeitalter und wagt die Behauptung, er könne die »Geburt der modernen Glaubensfreiheit und der sie notwendigerweise komplementierenden Toleranz aus dem Geist der Reformation« (73) nachweisen. Matthias Mahlmann sucht nach traditionellen Argumenten für und nach systematischen Begründungen von Toleranz. Dabei will er, vor allem im Anschluss an Kant, eine (rechts-)philosophische Grundlegung religiöser Duldsamkeit leisten.
In einem nächsten Anlauf werden die Perspektiven der drei großen monotheistischen Weltreligionen eröffnet. Gerhard Kruip verweist­ in einer wohltuend systematischen, wenn auch überraschungsfreien Argumentation auf den »wesentlichen dogmatischen Lernfortschritt« (118), dem die katholische Theologie sich seit dem Zweiten Vatikanum in ihrem Umgang mit dem Recht auf Religionsfreiheit verpflichtet weiß. Andreas Nachama präsentiert eine Art Quellensammlung, aus der sich die Haltung des jüdisch Glaubenden gegenüber dem Fremden erschließen soll. Als informativ erweist sich der Beitrag von Gudrun Krämer. Ihr gelingt eine gute Zusammenschau der verwirrenden theologischen und historischen Vielschichtigkeit denkbarer Haltungen des Islam gegen­über anderen religiösen Traditionen. Anlass zur Sorge scheint vor diesem Hintergrund insbesondere dort gegeben, wo in muslimisch dominierten Gesellschaften religiöse Vorbehalte in Rechtsordnungen und Verfassungen festgeschrieben werden.
Der zweite Teil des Buches ist weitgehend den Juristen, ihren Prüfschemata und Fallbeispielen vorbehalten. Philip Kunig vergleicht die rechtliche Bestimmung des Verhältnisses von Staat und Religion in Deutschland und Europa. Dabei macht er auf die in der rechtswissenschaftlichen Literatur zu beobachtende Verdrängung der Rede vom »Staatskirchenrecht« durch die Rede vom »Religionsverfassungsrecht« aufmerksam (165). Ute Mager identifiziert das mit dem Recht auf Religionsfreiheit gegebene Streitpotential und sucht nach juristisch vertretbaren Auflösungen. Religionsfreiheit, Diskriminierungsverbot und Toleranzgebot werden von Beate Rudolf in ein Verhältnis wechselseitiger Bedingtheit gesetzt. Und schließlich geben Maleiha Malik, John Mikhail und Patrick Weil einen kurzen Einblick in die gegenwärtigen Besonderheiten der politischen und rechtlichen Praxis in Großbritannien, den USA und in Frankreich.
Theologische Kritik provoziert vor allem der Beitrag von Reimer Hansen. Hier werden die verwendeten Quellentexte doch reichlich naiv und zumeist ohne angemessene theologische Reflexion aneinandergereiht. Vor allem Luthers Unterscheidung der Reiche und Regimente muss dabei eine allzu schlichte Hermeneutik ertragen. Gerade in ihr, so Hansen, zeige sich das »genuin Neuzeitliche« und die »Modernität« (60) reformatorischen Denkens. Die neuzeitliche Glaubensfreiheit sei selbstverständlich aus dem Geist der Zwei-Reiche-Lehre geboren. Es könne vom »Ursprung bis zur Frucht« vom »im Grunde Gleichartigen«, vom »über die Distanz einer Entwicklung von mehr als zwei Jahrhunderten im wesentlichen Gleichgebliebenen« (52) geredet werden. Die innerhalb der Reformation-Neuzeit-Debatte vorgebrachten guten Gründe für weniger forsche Deutungen schiebt Hansen nahezu ungeprüft beiseite. Dass schon Ernst Troeltsch auf die »wider Willen hervorgebrachten Wirkungen« der Reformation aufmerksam macht, wird übersehen. Dass in der Bestimmung des Verhältnisses von Reformation und Neuzeit eher zurückhaltend von einem »Januskopf der Abwendung und Zugewandtheit zugleich« (Martin Heckel) gesprochen werden muss, wird verdrängt. Und dass Hans Blumenberg vor allem in der radikalen Abkehr von reformatorischem Glauben und Denken die neue Epoche einherziehen sieht, wird noch nicht einmal erwähnt. Wer sich systematisch derart desinteressiert zeigt, dem muss schließlich auch jede Sensibilität für die theologisch durchaus bedenkenswerte Möglichkeit fehlen, gerade in der Vergottlosung des neuzeitlichen Menschen und in seiner Selbstreduzierung auf das ihm Verfügbare den eigentlichen reformatorisch-christlichen Impuls wahrzunehmen.
Aus rechtsphilosophischer Perspektive ähnlich problematisch erscheint das Bemühen Matthias Mahlmanns, von Kant ausgehend eine wie auch immer geartete Verbindung zwischen religiöser Toleranz und staatlichem Recht herzustellen. Wird religiöse Toleranz verstanden als Bereitschaft von Personen, ein ihnen ärgerliches oder gar widerwärtiges religiöses Verhalten anderer Personen zu erdulden, sie also an diesem Verhalten nicht zu hindern, so muss mit Kant nachdrücklich daran erinnert werden, dass Menschen gar kein Recht haben, in Sachen der Religion irgendeinen Zwang auszuüben. Die Freiheit der Religion zu achten, ist der Mensch durch das Recht der Menschheit verpflichtet. Niemand kann somit ohne Widerspruch von sich sagen, er dulde ein bestimmtes religiöses Verhalten, er verzichte also darauf, das Recht der Menschheit zu verletzen. Wer die Achtung des Rechtes der Menschheit zu einem Akt der Duldung macht, der missachtet gerade in diesem Akt die Menschheit selbst. Denn das Recht der Menschheit ist beschädigt, sobald Menschen anderen Menschen zu verstehen geben, sie wollten es erdulden, wenn diese von ihrem Recht Gebrauch machten. Kant empfiehlt daher, im Sinne des Rechts auf Freiheit den »hochmütigen Namen der Toleranz« ab-zulehnen und ihn nur noch dort zu gebrauchen, wo Menschen etwas im eigentlichen Sinne erdulden, wo sie also das, was sie erdulden, nicht von Rechts wegen hinzunehmen und zu achten verpflichtet sind. Die damit bei Kant vollzogene Distanzierung des Rechts vom Begriff der Toleranz ist Mahlmann offenbar völlig entgangen.
Alles in allem: Was Hubert Rottleuthner und Matthias Mahlmann hier herausgeben, ist in inhaltlicher und systematischer Hinsicht weitgehend unauffällig, in Teilen sogar höchst fragwürdig. Geboten wird kaum Prinzipienorientierung, vielmehr Perspektivenvielfalt ›von der Stange‹. Besonders ärgerlich ist, dass offenbar die Bereitschaft gefehlt hat, diese Vielfalt angemessen vorzubereiten oder gar auswertend zusammenzuführen. Systematisierende Einführungs- und Schlussbeiträge fehlen. Nicht einmal ein Register wurde für nötig gehalten. Wer also – leider muss es so deutlich gesagt werden – nach einem Beispiel misslingender und fruchtloser Interdisziplinarität sucht, der wird hier fündig.