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Ausgabe:

Mai/2008

Spalte:

574–576

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Löffler, René

Titel/Untertitel:

Ungestraft aus der Kirche austreten? Der staatliche Kirchenaustritt in kanonischer Sicht.

Verlag:

Würzburg: Echter 2007. 429 S. gr.8° = Forschungen zur Kirchenrechtswissenschaft, 38. Kart. EUR 42,00. ISBN 978-3-429-02888-6.

Rezensent:

Klaus Lüdicke

Die Meinungsverschiedenheit ist schon alt, und dass sie zum Konflikt zwischen Organen der obersten Ebenen in der katholischen Kirche führen würde, war nicht zu erwarten. Die Kontroverse be­zog sich auf die kirchenrechtlichen Konsequenzen des beim Staat erklärten Kirchenaustritts, seit die deutschen Bischöfe in einer »Er­klärung zum kirchlichen Finanzwesen« 1969 gesagt hatten, dass die Sakramente in der katholischen Kirche nicht mehr empfangen könne, wer (aus welchen Gründen auch immer) aus der Kirche ausgetreten sei und seinen Schritt nicht rückgängig gemacht habe. Die Bischöfe hatten sich damals nicht auf das kirchliche Strafrecht be­rufen, sondern einfach eine Konsequenz des Kirchenaustritts behauptet. Joseph Listl (unter anderen) hat diese Konsequenz da­durch zu untermauern versucht, dass er bei jedem Ausgetretenen die Straftat der Apostasie, der Häresie oder des Schismas als gegeben unterstellte. Zur Widerlegung meiner Auffassung, dass Kirchenaustritt und kirchliche Straftat verschiedenen Kriteriologien folgten, hat er einen eigenen Artikel in die 2. Auflage des Handbuchs des katholischen Kirchenrechts (Regensburg 1999) eingefügt.
Die aktuelle Kontroverse hat eine Ursache auf ganz anderem Feld, nämlich dem kirchlichen Eherecht. In drei Normen hat der Codex Iuris Canonici Katholiken von deren Beachtung freigestellt, die »actu formali ab Ecclesia catholica defecerint«, die durch förmlichen Akt von der katholischen Kirche abgefallen sind. Die inhaltliche Füllung dieser Klausel bereitet seitdem weltweit Schwierigkeiten, wurde aber in Deutschland durch die Bischöfe und die kirchlichen Verwaltungen mit Hilfe des Kirchenaustritts vorgenommen. Anfragen an den Heiligen Stuhl haben zu einer Präzisierung geführt, die – ich stelle nur auf den neuralgischen Punkt ab – klarstellt, dass die Mitteilung an die staatliche Autorität, nicht mehr als Kirchenglied geführt werden zu wollen, keinen actus formalis im Sinne des Gesetzes darstelle. Und darüber hinausgehend sagt die Antwort des Heiligen Stuhles, dass eine solche Mitteilung nicht eo ipso den Tatbestand der Häresie, der Apostasie oder des Schismas ausfülle. Durch die sog. Medien wurde eine Konsequenz gezogen: Man könne nun ohne kirchliche Sanktionen die Kirchensteuer sparen, indem man austritt. Damit hatte die zuvor nur eherechtlich interessante Frage Sprengkraft erhalten.
Was tut L.? Er referiert die Geschichte des Kirchenaustrittsrechts mit seinen jeweiligen gesellschaftlichen und kirchenpolitischen Hintergründen von Ansätzen im Woellnerschen Religionsedikt von 1788 bis zur Gegenwart, nachdem er einleitend viele Daten zum soziologischen Befund und zu den Motiven für Kirchenaustritte, korreliert mit Veränderungen in der Steuergesetzgebung, vorgelegt hat. Diese Geschichte kennt zunächst nur das Recht zum Konfessionswechsel und erst seit 1873 ein Recht zum Austritt aus den mit Korporationsrechten ausgestatteten Religionsgemeinschaften. Im nächsten Abschnitt erörtert L. den Kirchenaustritt aus staatskirchenrechtlicher Sicht, beginnend mit den Gliedschaftsfragen, wobei die Sichtweise der Kirchen mit den Möglichkeiten des Staates konfrontiert wird, sich diese zu eigen zu machen: Dabei wird ein klarer Unterschied zwischen der Mitgliedschafts-Begründung und der Beendigung der Mitgliedschaft erkennbar, die zumindest von der katholischen Kirche als nicht möglich betrachtet wird. Im Ergebnis wird deutlich, dass der Staat die Regeln für die Begründung der Mitgliedschaft in den Kirchen anerkennen und anwenden kann, sich aber für die Beendigung, was die staatliche Sphäre angeht, eigene Maßstäbe wählen muss. Detailliert wird das Kirchenaustrittsrecht nach den staatlichen Normen beschrieben und es wird die Konsequenz gezogen, dass es zwei Dimensionen der Mitgliedschaft gibt, trotz der Betonung seitens der katholischen Kirche, die Zugehörigkeit könne nur eine einheitliche sein. Den Austritt in staatlicher Dimension nennt L. mit Hartmut Zapp »Körperschaftsaustritt«, um ihn von den innerkirchlichen Kriterien der Mitgliedschaft zu unterscheiden.
Im Abschnitt III geht es um die Würdigung des Körperschaftsaustritts aus kirchenrechtlicher Sicht. Und da sind viele Dimensi­onen zu behandeln, die kurz mit meinen Worten aufgelistet werden sollen: die uneinheitliche Praxis im Umgang mit dem Austritt; der sehr divergente Umgang der Kanonisten mit dem Verständnis des Austritts – die Überschrift des Abschnitts III.2 passt nicht ganz–; Austritt als Verstoß gegen die Gemeinschaftspflicht nach can. 209; Austritt und actus formalis defectus ab Ecclesia; Austritt als Straftatbestand; Austritt und kanonischer Sündenbegriff (sakramentsrechtlicher Ausschluss); Austritt als Verstoß gegen die finanzielle Unterstützungspflicht; Austritt und kirchliches Disziplinarrecht; Festhalten der Bischöfe an der »bewährten Praxis«.
In allen Punkten kommt L. zu klaren Ergebnissen: Der Körperschaftsaustritt kann mit einer Straftat einhergehen, kann mit Apostasie, Häresie oder Schisma zusammengehen, kann eine Verweigerung des Gehorsams sein, kann mit einer schweren Sünde verbunden sein, aber – er ist es nicht eo ipso. Und, was letztlich aus­schlaggebend ist, er kann auch nicht rechtmäßig als Straftat oder schwere Sünde vermutet, präsumiert werden. Vermutet werden könne, was L. auf S. 329 durch Kursivdruck hervorhebt, dass der Austretende gegen seine Pflicht zur Unterstützung der Kirche in der von den Bischöfen festgelegten Form verstoße (cann. 222 § 1 und 1262 CIC mit den entsprechenden Partikularnormen). Das aber ist ein sanktionsloser Verstoß – mangels entsprechenden Normen. Das alles wird von L. in seiner »Ergebnissicherung« prägnant und erschöpfend zusammengefasst. Ungestraft aus der Kirche austreten? Ja, wenn man, wie L., die Regeln der kanonistischen Wissenschaft und der rechtmäßigen Praxis beachtet.
Bleibt die Frage der unwillkommenen Konsequenzen. Die Praxis der deutschen Bischöfe war, sieht man vom Trierer und Kölner Partikular-Strafrecht ab, schon immer rechtswidrig, wie L. aufzeigt. Was hat den Päpstlichen Interpretationsrat bewogen, einen Text zu veröffentlichen und von einem deutschen Papst billigen zu lassen, der dem deutschen (und österreichischen) Kirchensteuer­system gravierende Probleme bringt? Der Rat hatte die sog. Defektionsklauseln gestrichen sehen wollen, sich damit aber weder bei Papst Johannes Paul II. noch bei Papst Benedikt XVI. durchgesetzt. Meiner Meinung nach wird mit den veröffentlichten Anforderungen an den actus formalis dasselbe Ergebnis erreicht, durch Anforderungen, denen nahezu niemals Genüge getan werden wird. Die Kirchensteuer-Debatte, die Diskussion um die Valenz des Kirchenaustritts ist sozusagen »Kollateralschaden«.
Ein paar Bemerkungen zur Kritik dieses im Übrigen tadellos ar­gumentierenden, breit wissenschaftlich abgestützten, umfassend problembewussten Buches: In der Folge der sehr leserfreundlichen thematischen Weiterleitung von einem Abschnitt zum anderen, die L. vornimmt, verschwindet die Begründung dafür, ab Kapitel III vom Körperschaftsaustritt zu sprechen, in einem solchen Überleitungstext (165, vor Anm. 814). Man sucht sie, wenn man das Buch nicht Zeile für Zeile liest, vergeblich. L. schreibt ein präzises, fachlich geprägtes Deutsch, und die wenigen Druckfehler gehören wohl zum Unvermeidlichen. Sinnentstellend ist, dass auf S. 99 in dem Satz, der Anm. 488 folgt, ein »nicht« zu viel oder zu wenig ist. Dass auf S. 119, Anm. 586, der österreichische Ausdruck für Rekonziliation mit »Revision« bezeichnet wird, wird auf S. 166 in Anm. 816 unausdrücklich bereinigt: Es war »Reversion« gemeint. Um noch beim Deutschen zu bleiben: Es stört die Spar-Formel von der »Entledigung bürgerlicher Pflichten«, die allerorten verwendet wird. Im Umgang mit lateinischen Ausdrücken hat L. keine glück­liche Hand: »actum inter alios factum« (257 in einer Überschrift) wird zu »actus inter alius actum« (252 und 297), »actus inter alios actum« (329) und »actus inter alios factum« (365). Da wüsste man doch gerne die Quelle für diesen Wirrwarr samt und sonders falscher Formeln! Der Umgang mit lateinischen Begriffen aus Canones des CIC ist nicht sehr geschickt. Beispiel: »Dies ergibt sich ... aus can. 843 § 1 CIC, in dem der Gesetzgeber dem ›ministri sacri‹ als Subjekt die ... Kriterien ... in die Hand gibt« (295). So genau muss man mit Gesetzeszitaten nicht sein, dass im deutschen Satzbau daraus ein Monstrum wird.
Gemessen an der Leistung und am Wert dieser Arbeit, die genau zum richtigen Zeitpunkt erscheint und der die späte Einarbeitung aktuellster Dokumente kaum anzumerken ist, sind diese Anmerkungen marginal. Es wird abzuwarten sein, wie in der Beantwortung von Beschwerden gegen die Praxis der Bischöfe durch Rom mit der Spannung zwischen Kirchensteuersystem und Kirchenrecht umgegangen werden wird.