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Ausgabe:

Mai/2008

Spalte:

570–572

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Knieling, Reiner

Titel/Untertitel:

Konkurrenz in der Kirche. Praktisch-theologische Untersuchungen zu einem Tabu.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2006. 367 S. m. Abb. 8°. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-7887-2172-5.

Rezensent:

Uta Pohl-Patalong

Mit dem Thema »Konkurrenz in der Kirche« widmet sich die an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal angenommene Habilitationsschrift einer Realität mit hoher Relevanz für die kirchliche Praxis und geringer Beachtung in der Praktischen Theologie. Dass diese Lücke nun nicht unbedingt geschlossen, aber durchaus gefüllt wird, ist umso verdienstvoller, als die Thematik im Zuge der gegenwärtigen strukturellen Veränderungen in der Kirche spürbarer wird und an Brisanz gewinnt.
Die Studie untersucht das Thema Konkurrenz in der Kirche – fokussiert auf Pfarrerinnen und Pfarrer – mit unterschiedlichen Zu­gängen. Neben vier Interviews zieht sie theologische, soziologische und psychologische Theorieentwürfe heran, ist aber in der Analyse und den entworfenen Konsequenzen deutlich im Blick auf die kirchliche Praxis verfasst, zu deren Verbesserung sie beitragen möchte (vgl. 65). Sie plädiert nachdrücklich dafür, Konkurrenz realistisch wahrzunehmen, anzunehmen, offen auszutragen und konstruktiv zu gestalten. Als wesentlich für ihre konstruktive Ge­staltung arbeitet sie heraus, dass die Konkurrenz auf einer Grundlage gegenseitiger Achtung und Anerkennung beruht, nicht den gesamten zwischenmenschlichen Umgang bestimmt und offen ausgetragen wird. Neben diesen individuellen Kompetenzen, die durch Seelsorge und Supervision zu fördern sind, sind strukturelle Faktoren kirchlicher Rahmenbedingungen für das Gelingen von Konkurrenz entscheidend. Grundlage dafür ist nach K. die Entwick­lung einer »Differenzkultur« (285 ff.), die unterschiedliche Menschen in ihren unterschiedlichen Gaben und Aufgaben würdigt und fördert.
Im ersten analytisch orientierten Teil A setzt die Studie ein mit vier qualitativen Interviews, die K. mit Pfarrerinnen und Pfarrern zu ihrem Erleben von Konkurrenz und ihren Deutungen geführt hat. Diese Interviews dienen zunächst dazu, dass »die kirchliche Wirklichkeit ... exemplarisch beschrieben werden« (21) kann. Faktisch ist ihre Funktion jedoch sehr viel umfassender, insofern K. durch die gesamte Studie hindurch immer wieder auf sie zurück­greift und zentrale Erkenntnisse mit ihnen begründet. Im Blick darauf erscheint mir ihre methodische Fundierung nicht ganz hinreichend: Nur kurz werden die Grundsätze qualitativer Sozialforschung skizziert, vor allem aber erfolgt ihre Auswertung eher knapp und benennt eher Beobachtungen, als dass Hypothesen aufgestellt, verifiziert oder falsifiziert, verändert und weitergeführt werden.
Den Interviews folgen theoretische Klärungen zum Begriff der Konkurrenz. Die individuellen und gesellschaftlichen Dimensionen des Phänomens Konkurrenz werden im Rückgriff auf die Überlegungen von Georg Simmel, ergänzt durch die Arbeiten von Wolfgang Grunwald, Stephan A. Jansen und Jörg Fengler, beleuchtet. Da Konkurrenz als komplexes und gleichzeitig unscharfes Phänomen schwer zu fassen ist, liegt ein Schwerpunkt in der Abgrenzung zu anderen Begriffen wie Rivalität, Misstrauen oder Ehrgeiz.
An die Begriffsbestimmungen und -abgrenzungen schließt sich ein Blick auf die pastoraltheologische Literatur zum Thema an. Die Entwürfe von Manfred Josuttis, Isolde Karle, Michael Klessmann, Brigitte Enzner-Probst, Bernhard Petry und Ernst Lange werden dargestellt und im Blick auf ihre Behandlung von Konkurrenz kritisiert, anschließend Grundzüge der Gemeindepädagogik sowie der gegenwärtigen Strukturdebatte im Blick auf die Konkurrenzthematik benannt. Die Auswertungen bleiben allerdings sowohl quantitativ als auch qualitativ recht skizzenhaft. Hier wäre eine Konzentration auf weniger Entwürfe mit einer fundierten Auswertung im Blick auf die Thematik vermutlich ertragreicher gewesen, vor allem aber vermisse ich einen Bezug der pastoraltheologischen Überlegungen zu den Interviews und den soziologischen Überlegungen. So bleiben die Perspektiven doch relativ unverbunden nebeneinander stehen.
Das Gleiche gilt für die im engeren Sinne theologischen Kapitel mit normativem Anspruch (Teil B), die »biblische Spurensuche« und die »systematisch-theologischen Reflexionen«. Aus dem Alten und dem Neuen Testament werden exemplarisch Geschichten und Konstellationen paraphrasiert und auf die Konkurrenzthematik hin befragt. Diese sind durchaus sinnvoll ausgewählt und beinhalten interessantes Potential, sie werden aber – abgesehen davon, dass die Bibel Konkurrenz akzeptiert und zu ihrer konstruktiven Gestaltung motiviert – leider wenig für die fundierte Bearbeitung des Phänomens genutzt. Der methodische Hinweis auf den bibliodramatischen Zugang als besondere Chance für eine »verstehende Aneignung« erscheint mir sehr plausibel, mir ist aber nicht klar geworden, was er für die Darstellung im Rahmen der Studie aus­trägt. Die systematisch-theologische Besinnung greift auf Karl Barth, Dorothee Sölle und Helmut Thielicke zurück. Sie lässt Konkurrenz als einerseits zur Schöpfung gehörig erkennen und verweist andererseits erneut auf die Notwendigkeit ihrer konstruktiven Gestaltung. Ist dies eher eine theologische Bestätigung schon vorher gewonnener Erkenntnisse, so scheint mir die rechtfertigungstheologische Fundierung der Akzeptanz und Förderung von Differenz sowie die Unterscheidung zwischen ungerechten, zu überwindenden und gerechten, zu akzeptierenden Unterschieden erhellend.
Teil C ist dann den Konsequenzen aus den Analysen und den theologischen Orientierungen für die kirchliche Praxis gewidmet. Er setzt jedoch noch einmal ein mit einem neuen Impuls aus der Sozialpsychologie zu einem sinnvollen Umgang mit Konkurrenz und beinhaltet weitere Bezüge zu verwandten Phänomenen wie Erfolg und Scheitern, Neid und Eifersucht etc., die meinem Eindruck nach im ersten Teil einen sinnvolleren Ort gefunden hätten. Die eigentlichen Konsequenzen benennen Richtiges und Wichtiges (wie die Bedeutung von Supervision und ihre strukturelle und finanzielle Förderung, die Notwendigkeit von Arbeitsplatzbeschreibungen und die Förderung von Differenz), bleiben aber nicht selten auf der Ebene dessen, was auch in kirchlichen Strukturpapieren gegenwärtig gefordert wird. Dies scheint mir nicht zuletzt methodisch darin begründet, dass immer wieder Aussagen aus den Interviews als direkte Erkenntnisquelle herangezogen werden, ohne durch eine tiefgehende Auswertung und/oder den Bezug zu den Theorieperspektiven geschärft worden zu sein. Besonderheiten einer »typisch kirchlichen« Kultur werden benannt, ohne dass diese wissenschaftlich fundiert begründet und differenziert werden (vgl. z. B. 96.239 f.245.254 u. ö.). Dabei werden durchaus innovative und anregende Impulse formuliert, deren weiterführende Verarbeitung sehr ertragreich gewesen wäre. Mehrfach werden tiefergehende wissenschaftlich fundierte Untersuchungen zu bestimmten Aspekten postuliert, die ihren Ort gut im Rahmen dieser Studie hätten finden können (vgl. z. B. 253.255.261). Neben diesen wäre es pastoraltheologisch spannend gewesen, die Veränderungen, die die Überlegungen für das Pfarrer- und Pfarrerinnenbild bedeuten, zu reflektieren und dies wiederum auf die Frage der Konkurrenz zu beziehen. Auch die Gender-Thematik wird kurz angesprochen, aber wenig weiterführend bearbeitet. Mir scheint damit insgesamt ein wenig das Bemühen darum, der Komplexität des Phänomens gerecht zu werden, zu Lasten einer gründlichen Verarbeitung der interessanten Impulse zu gehen.
Fazit: Die Studie trägt in jedem Fall zur Etablierung eines zentralen Themas in der Praktischen Theologie bei, formuliert Er­kenntnisse, die bei der weiteren Wahrnehmung des Themas unhintergehbar sein dürften, und enthält anregende Impulse. Ein stringenterer Bezug der einzelnen Teile aufeinander und eine stärkere Konzentration auf weniger Aspekte mit mehr »Tiefenbohrung« hätten der Arbeit jedoch gut getan.