Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/2008

Spalte:

558–560

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Beckmann, Jens

Titel/Untertitel:

Wohin steuert die Kirche? Die evangelischen Landeskirchen zwischen Ekklesiologie und Ökonomie.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2007. 480 S. gr.8°. Kart. EUR 34,00. ISBN 978-3-17-019857-9.

Rezensent:

Friedrich Heckmann

Die 2007 erschienene Dissertation von Jens Beckmann stellt die Kirchenreformbemühungen der evangelischen Landeskirchen seit 1990 in den Mittelpunkt ihres wissenschaftlichen Interesses. B. will die kirchlichen Reformbemühungen theologisch und ökonomisch reflektieren, um zu theoretischen Perspektiven für eine Kirchenreform zu kommen. Die Dissertation wurde im Sommer 2006 von der Philosophischen Fakultät der TU Dresden angenommen. B. ist – zum Zeitpunkt des Erscheinens seiner Dissertation – Mitarbeiter am Institut für Evangelische Theologie bei Christoph Schwarke, der die Arbeit auch betreut hat.
Bereits in der Einleitung der Arbeit wird deutlich, dass B.s Un­tersuchung auf die kirchenreformatorischen Bemühungen der Landeskirchen und auf das Spezifikum dieser Bemühungen, den öko­­nomischen Veränderungsdruck, zielt. Aus diesem Grund möch­te B. einen Beitrag für das Verständnis ökonomischen Denkens in der Theologie leisten und versucht, das Handeln der Kirche mit einem der Theologie fremden Begriffsinstrumentarium, dem der Ökonomie, zu beschreiben (17.18). B. geht sein »Unternehmen« in sieben ungleich umfangreichen und auch ungleichgewichtigen Kapiteln an und beginnt mit einem Rückblick auf die Notwendigkeit immerwährender Kirchenreform im reformatorischen Verständnis. Das erste Kapitel sucht im kirchen- und theologiegeschichtlichen Schnell­durchgang durch die Jahrhunderte ekklesiologische Vergewisserung und kirchenreformerische Bemühung zu referieren. Dabei unterscheidet B. Kirchenreform als Korrektur – bei veränderten geschichtlichen Bedingungen – und Kirchenreform als Reformation – als tiefer Einschnitt in das kirchliche Selbstverständnis. Das zweite Kapitel geht auf 14 Seiten auf Forschungslage und Methodik ein. Dabei greift B. auf zwei systematische und zwei praktische Dissertationen bzw. Habilitationen zurück und be­nennt als These seiner Arbeit, dass die gegenwärtige Reformdiskussion sich auf die kirchenreformerische Debatte von der Mitte des 19. bis zur Mitte des 20. Jh.s zurückführen lasse (62). Ist schon die Literatur zur Beschreibung der Forschungslage relativ schmal geraten, so bleibt die Beschreibung des methodischen Vorgehens in wenigen Ansätzen stecken. B. möchte die kirchlichen Äußerungen phänomenologisch auswerten und die Inhalte nicht auf ihren Wahrheitsgehalt, sondern auf die Wirklichkeitswahrnehmung hin in einem Dreischritt von Situationsbeschreibung, Reformvorschlägen, Kritik der Vorschläge diskutieren, um Konfliktfelder herauszuarbeiten, die ihrerseits theologisch und ökonomisch reflektiert werden.
Dass die methodische Reflexion doch etwas zu kurz ansetzt, zeigt sich bereits im dritten Kapitel, dem mit über 120 Seiten um­fangreichsten Kapitel dieser Arbeit, in dem B. die gegenwärtige Situation der Landeskirchen beschreibt. Grundlage ist eine Sammlung kirchenamtlicher Äußerungen, von Synodal- und Tätigkeitsberichten und anderen Situationsbeschreibungen der Landeskirchen oder von Funktionsträgern. Aus dieser Sammlung kirchlicher Äußerungen aus den Jahren 2001 und 2003 kommt B. zu einer Beschreibung gesellschaftlicher Faktoren der kirchlichen Krisen (3.1), der kircheninternen Faktoren (3.2), von zwei theologischen Festlegungen zu Wesen und Aufgabe von Kirche (3.3) und der Realitätswahrnehmung der Religions- und Kirchensoziologie (3.4). Aus dieser Beschreibung zieht B. den Schluss (3.5), dass die Kirchen ihre Situation eher pessimistisch einschätzen: Gesellschaftlicher Wandel wird als Bedrohung kirchlicher Existenz erlebt. Die fünf Punkte seines Fazits sind interessant, aber durch den Leser in ihrer Konsistenz nicht nachvollziehbar, da B. in seinem Methodenteil nicht angegeben hat, wie er die umfangreiche Dokumentensammlung zu lesen gedenkt, nach welchen Kriterien er auswählt und was aus den Beschreibungen für ihn welche theologische und ökonomische Relevanz hat und warum. Deutlich ist mir geworden, dass es sich bei der nicht empirisch erhobenen Auswahl hauptsächlich um Berichte (landes-)kirchenamtlicher Funktionsträger handelt. Da lässt sich trefflich streiten, ob das nicht sehr legitimationsbedürftige Aussagen sind, wenn es um die Situation protestantischer Kirchen und deren Lebensäußerungen geht. In 3.4 reflektiert B. durchaus, dass soziologisch nur eine Annährung an den Bereich religiösen Lebens möglich ist. Wenn kirchenamtliche Funktionsträger kirchensoziologische Erhebungen zur Kenntnis nehmen, dann muss es auf Grund der spezifischen Interessen und Ausblendungen zu einer weiteren Reduktion der Wahrnehmung kirchlicher Wirklichkeit kommen. Mit Recht weist B. abschließend darauf hin, dass die kirchlichen Selbstdeutungsmuster maßgeblich von Hauptamtlichen bestimmt werden (195). Aber was bedeutet das für die vorliegende Arbeit? Gerade das dritte Kapitel stellt ja den materialen Teil der Untersuchung dar! Dass sich das vierte Kapitel dann mit Kirchenreform unter Sparzwang beschäftigt, liegt zwar auf der Hand, führt aber zu einer weiteren Reduktion von Möglichkeit und Wirklichkeit. Veränderungen der Organisation Kirche können so nur unter Einfluss von Managementtheorie und Qualitätsmanagement, von Leitbild und Leitung, von Finanzwirtschaft und Organisationsentwicklung weitergedacht werden. Theologische Tradition und ekklesiologische Reflexion sind für B. lediglich Folie für die wachsende Bedeutung betriebswirtschaftlichen Denkens in den Landeskirchen. Vielleicht sollte er auf Grund seines Materials differenzieren und Kirchen nicht mit ihren Kirchenämtern verwechseln. Andere theologische Äußerungen, nicht aus Kirchenämtern kommend, behandelt B. im fünften Kapitel. Er reduziert diese anderen kirchlichen Äußerungen auf zwei Texte (Hammer Erklärung und Evangelium hören). Dem Leser vermittelt er den Eindruck zweier nebensächlicher Äußerungen, deren Be­deutung neben den Situationsbeschreibungen der Kirchenorganisationen quantitativ und qualitativ unerheblich scheint, wiewohl jene auch von etablierten Theologen getragen werden. Die vermeintliche Ökonomisierung in der Kirche vermag B. auf Grund der Auswahl seiner Quellen nicht ernsthaft zu diskutieren.
Er kann das auch nicht, denn unter den »theoretischen Perspektiven einer Kirchenreform« möchte er eine betriebswirtschaftliche Perspektive stark machen. Unter dem Begriff des Corporate Citizen­ship hat das bürgerschaftliche Engagement von Wirtschaftsunternehmen eine lange US-amerikanische Tradition. Diesen An­satz will B. für das Unternehmen Kirche fruchtbar machen. Um das zu leis­ten, muss er einen Vorrang der ethischen Perspektive vor der dogmatischen postulieren – den er nicht begründet – und eine »Ethik der Kirche« einfordern, die den pragmatisch orientierten Entscheidungen von Kirchenleitungen Vorschub leistet; der Rest ist eine Frage des richtigen Umgangs mit Vermittlungs- und Kommunikationsprobleme(n) in der Umsetzung von Reformvorschlägen (390). Kirchliches – oder besser kirchenamtliches? – Handeln ist vor einer dogmatischen Überlastung zu schützen; schließlich hat Kirche noch andere gesellschaftlich relevante Aufgaben wahrzunehmen, die nicht zu ihrer Kern­aufgabe, der Evangeliumsverkündigung, zählen (394). Das ab­schließende siebente Kapitel – als Auswertung betitelt – leistet dies gerade nicht, weil B. versäumt hat, die erkenntnisleitende Fragestellung seiner Untersuchung deutlich in den ersten Kapiteln herauszuarbeiten. Mit Hilfe dieser Fragestellung hätte B. das umfangreiche Material bearbeiten, Unterscheidungskriterien erarbeiten und Er­gebnisse auf seine einleitende Frage, welche Reflexionsleistungen auf die kirchliche Situation Ökonomie zu erbringen in der Lage sei und welches Lösungspotential sie bereithalte, erhalten können. So aber bleibt B. weitgehend in der Deskription stecken und der Leser wundert sich nach der Lektüre: Was war eigentlich die Frage?