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Ausgabe:

Mai/2008

Spalte:

555–557

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Thiede, Werner

Titel/Untertitel:

Der gekreuzigte Sinn. Eine trinitarische Theodizee.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2007. 272 S. 8°. Kart. EUR 29,95. ISBN 978-3-579-08012-3.

Rezensent:

Martin Leiner

In der Fülle der in den vergangenen Jahren erschienenen Arbeiten zum Bösen und zur Theodizee zeichnet sich das Buch von Werner Thiede dadurch aus, dass es sehr engagiert den Standpunkt vertritt, Theologie habe die Aufgabe, eine Antwort auf die Theodizeefrage zu geben. Verfehlt sei die Behauptung, die christliche Theologie habe angesichts des Leidens zu verstummen. Eine solche Behauptung begegne entweder als auf Kants Theodizeekritik zurückgehende Ratlosigkeit (31, vgl. Anm. 58) oder als Folge der nach Auschwitz verhängten Denkverbote (59, vgl. 32). Verfehlt sei das Schweigen, weil es weder der Christusoffenbarung entspreche noch dem leidenden und fragenden Menschen helfe.
Gleichermaßen verfehlt sind nach Th. drei Typen von Antworten auf das Theodizeeproblem, die er als »zynisch« (53) bezeichnet: Dialektische Theodizeemodelle, für die Günter Keils Glaubenslehre mit seinem Gedanken einer Versöhnung des Alls mit seinem Leiden in die Liebe Christi angeführt wird, bezeichnet Th. als »vergoldende Umdeutung« (56). Heteronome Modelle, nach denen Gott durch das Leiden die Menschen für ihre Sünden straft oder sie durch Leiden erzieht, seien im Alten wie im Neuen Testament un­missverständlich kritisiert worden (58). Auch die im Anschluss an Paulus entwickelte Vorstellung, das moralische Versagen Adams und Evas sei Ursache des leidvollen Weltzustandes, lehnt Th. als heteronom und naturwissenschaftlich unhaltbar ab (131). Ebenfalls heteronom sei der Hinweis auf einen Deus absconditus, wie er im Hiobbuch (130), bei Luther (118, Anm. 19) und anderswo begegnet. Am häufigsten treten monistische Modelle auf, die das Böse und das Leid in den ewigen Prozess des göttlichen Lebens integrieren. Als Beispiele nennt Th. Tillich (56), aber auch den strikten Athe­ismus, den Th. als Materialismus ansieht (59), oder Nietzsches Spätphilosophie (77.82). Nietzsche, der nur den Gott, der gut und böse unterscheidet, »überwunden« habe, opfere seinen kritischen Geist dem Wunsch zu einem uneingeschränkten Ja zu Wirklichkeit (87). Insofern sei Nietzsche paradigmatisch für die monistischen Theodizeen, die Leid, Schmerz und Böses in Gott hineinnehmen und damit eklatante Differenzierungsverluste in Kauf nehmen­ müssen (58). Gemeinsam ist allen monistischen Theo­di­zeeversuchen, dass sie ein »Scheinganzes« (Theunissen) als bereits gegenwärtig zu­gänglich behaupten. Eine christliche Antwort auf die Theodizeefrage müsse die genannten Fehlformen vermeiden und konsequent von der trinitarischen Offenbarung Gottes ausgehen.
Aus diesem Grund bedenkt Th. nacheinander die drei Personen der Trinität in ihrem Beitrag zur Beantwortung der Theodizeefrage. Bei Gott dem Vater geht er zunächst vom Schöpfungsglauben aus, für den er auch unter den Bedingungen moderner Naturwissenschaft gute Gründe angibt. Da Gott die Liebe ist, schafft er die Welt als das Andere seiner selbst. Mit Leibnizens Prinzip der identitas indiscernibilium ist festzuhalten, dass dieses Andere nicht vollkommen sein kann. Sonst hätte Gott sich selbst bloß verdoppelt, was narzistisch wäre, dem Wesen der Liebe widerspräche und zudem auch logisch widersprüchlich ist (131 f.). Das malum metaphysicum, die Unvollkommenheit, muss also die Welt zunächst prägen. Aus dem malum metaphysicum folgen das malum naturale und das malum morale. Dämonen, Engel oder den Teufel zur Erklärung des Bösen heranzuziehen, sei überflüssig (128 f.). Böses und Leiden sind auch notwendig, um die volle Selbständigkeit und Freiheit der Welt Gott gegenüber zu denken. »An ihrer Andersheit leiden Gott und Welt, und zwar beide zutiefst. Der Nichtgöttlichkeit der Welt entspricht ihre Vergänglichkeit, die Hinfälligkeit und Sterblichkeit der Lebewesen sowie die moralische Verderbtheit der Menschen« (173).
Die Schaffung einer Welt bedeutet im Sinne Isaak Lurias die Selbstbegrenzung Gottes (135.212). Diese erlaubt es, Gottes Personsein so zu denken, dass man den Einwand Fichtes – Person sei immer durch ein Du begrenzt – vermeidet (117). Durch seine Selbstbegrenzung wird Gott der verantwortliche Vater der Welt. Gleichzeitig impliziert die Selbstbegrenzung Gottes, dass seine Allmacht nicht mit Allwirksamkeit identifiziert wird. Unter Bezug auf neuere exegetische Arbeiten von Günther Klein und Reinhard Feldmeier (126) sei Allmacht als die Macht dessen zu bestimmen, der seine Allmacht beschränkt und letztendlich erlösend durchsetzt (134). Ohne die eschatologische Perspektive einer »Transformation des Kosmos ins universale Gottesreich« (105) sei keine gelingende Theo­dizee möglich.
In Gott dem Sohn kommt Gottes erlösende Liebe zu den leidenden Menschen. »Der im ›Vater‹ seiende ›Sohn‹, ursprünglicher Selbstgedanke in Gott, muss sich als eigene Größe ausbilden, damit Gott sein eigenes Sein transzendieren und mit allen Konsequenzen hinüber-, hinuntertreten kann ins Dasein der Welt« (116). Um Gottes Liebe zu entsprechen, muss die Kenosis des Sohnes umfassend gedacht werden. Gott Vater oder die göttliche Natur in Christus darf nicht als leidensunfähig von der Inkarnation ausgenommen werden (171), der Logos muss seine Allmacht wirklich aufgeben und darf sie nicht bloß verbergen (157–189). Mit den Erlanger Kenotikern des 19. Jh.s sei über Luthers unvollendete Christologie hinauszugehen; auch die Menschheit wird zu Gott erhoben. Die Mensch­werdung sei bereits die Antwort auf das malum metaphysicum, Kreuz und Auferstehung zusammen antworten auf das malum na­turale und morale (170). Das Kreuz zeige Gottes gelebte Solidarität mit dem Leiden und Sterben des Menschen. In der Auferstehung wird die Erhöhung des Menschen zur Gemeinschaft mit Gott verwirklicht. Unter Rückbezug auf die Ausführungen zu Gott dem Vater hält Th. fest, dass sich durch die Rechtfertigung des Gottlosen auch der Einwand auflöst, Gott könne die Sünde nicht zurechnen, weil der Mensch von ihm unvollkommen geschaffen sei. Tatsächlich rechnet Gott ja die Sünde nicht zu (174, Anm. 11). Die Passionsgeschichte zeige auch nicht vorrangig des Menschen Sünde, sondern Gottes Liebe (174–176, gegen K. Barth).
Der letzte Abschnitt über Gott den Geist äußert sich zunächst kritisch zu philosophischen (Gnostizismus, Plotin, Hegel) und theo­sophischen Geistkonzeptionen. In ihnen komme wieder ein Mo­nismus zum Ausdruck, den eine Theologie der Liebe Gottes zu einem autonomen anderen seiner selbst überwinden müsse (197–214). Ein zweiter Abschnitt sucht die Idee der Weltseele im Rahmen einer kenotischen Pneumatologie neu plausibel zu machen (215–213). Im dritten Abschnitt geht Th. von Moltmanns Rede von der Kenosis des Geistes aus. Th. verknüpft sie mit seinen Ausführungen zur Weltseele (241), betont aber, dass monistische Tendenzen vermieden werden müssen, die auch bei Moltmann vorliegen (239, vgl. bereits 172 f.). Kenosis des Geistes heiße: Der Geist kommt in unsere leidvollen und sündigen Verhältnisse. In Anlehnung an Luthers Zwei-Regimenten-Lehre komme der Geist zur Rechten durch das Evangelium, zur Linken sei er in der Schöpfung wirksam. In einem abschließenden Kapitel setzt Th. sich von dieser Geistlehre aus mit dem Problem der menschlichen Freiheit auseinander. Freiheit gehöre zum Anderssein des Geschöpfes, dennoch erkläre sie nicht alles Böse und alles Leid in der Welt (246).
Das Buch ist für ein breiteres Publikum geschrieben und will nicht nur Wissenschaftler, sondern auch suchende und leidende Menschen in ihrem »Herzen« (11) durch überzeugende Argumente ansprechen. Außerdem will das Buch einen bestimmten Denkweg gegenüber zahlreichen Konkurrenzmodellen stark machen. Deshalb wird man Th. die zu pauschale Darstellung von einigen Ge­genpositionen und den stellenweise persuasiven Stil nachsehen. Wer dies tut, entdeckt ein Werk, das so manchen rein wissenschaftlich argumentierenden Werken der Gegenwart überlegen ist: Das Anliegen des Buches, Theodizee trinitarisch zu denken, ist für eine christliche Theologie geradezu unabweisbar. Es ist klar und überzeugend herausgearbeitet. Mit seinem Werk sollte Th. auch unter den zahlreichen Arbeiten der Gegenwart zur Theodizee aufmerksame und zustimmende Rezeption finden.