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Ausgabe:

Mai/2008

Spalte:

545–547

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Langthaler, Rudolf, u. Herta Nagl-Docekal [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Glauben und Wissen. Ein Symposium mit Jürgen Habermas.

Verlag:

Wien: Oldenbourg; Berlin: Akademie Verlag 2007. 424 S. 8° = Wiener Reihe, 13. Kart. EUR 39,80. ISBN 978-3-7029-0549-1 (Oldenbourg); 978-3-05-004291-6 (Akademie Verlag).

Rezensent:

Wolfgang Baum

Mit den epochalen Ereignissen am 11. September 2001 und der viel beachteten Rede von Jürgen Habermas anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels nur wenige Wochen später wurde die Diskussion um das Verhältnis von Religion und säkularer Gesellschaft neu aufgerollt. So steht der von Rudolf Langthaler und Herta Nagl-Docekal herausgegebene Sammelband »Glauben und Wissen. Ein Symposium mit Jürgen Habermas« inmitten einer grundsätzlichen Debatte, die um eine neue Verhältnisbestimmung von Theologie und Philosophie, näherhin »um die Frage nach der Möglichkeit und Notwendigkeit einer ›rettenden Übersetzung religiöser Sinnpotentiale‹ angesichts knapp gewordener ›Sinnresourcen‹« (7) bemüht ist. Die Herausgeber stellen sich dieser Aufgabe in vier Abschnitten und einer abschließenden »Replik« (366–414) des Protagonisten Habermas selbst.
Im ersten Abschnitt werden unter der Überschrift »Relektüren der Religionsphilosophie Kants« die unverkennbaren philosophischen Wurzeln von Habermas diskutiert. Christian Danz reflektiert in diesem Sinne das Habermassche Religionsverständnis, das sich »in den Bahnen der Kantischen Religionsbegründung im Kontext der praktischen Vernunft bewegt« (13). Dies betrifft vor allem die autonome Begründungsstruktur von Moral, die allenfalls religiös motiviert, aber nicht legitimiert werden kann. Rudolf Langthalers ausführlicher, leider etwas auf Kosten der Lesbarkeit sehr nahe am Originaltext von Kant operierender Beitrag zur »Interpretation und Kritik der kantischen Religionsphilosophie« bei Habermas greift das ungeklärte Verhältnis der Zweckbestimmung moralischer Handlungen einerseits und einer sich davon als unbeschadet erweisenden Gottesidee andererseits auf, um den »Vernunftglauben« der Postulatenlehre vom »religiösen Glauben« zu differenzieren. Herta Nagl-Docekal geht im Folgenden der Frage nach, ob Kant überhaupt eine Religionskritik verfasst hat, die die Rezeption im Sinne einer »Übersetzung« im Habermasschen Sinne plausibel erscheinen lässt. Kant wird für sie in dieser Hinsicht überinterpretiert, seine »religionsphilosophischen Überlegungen [können] nicht mehr als modellhaft herangezogen werden« (119).
Mit dem Beitrag von Wilhelm Lütterfelds wird im zweiten Abschnitt zur »Aktualität nachkantischer Religionsbegriffe« (120) Stellung bezogen. Aus seiner Sicht erweist sich die Frage nach dem Wirklichkeitsgehalt der mo­ralischen Postulate im Kontext »kultureller Weltbilder« als höchst aktuell, da sie auch im »nichtmoralischen Handeln des Alltags« (126) Realitäten darstellen, die über bloße subjektive Motivationsgründe hinausreichen. Hans Julius Schneider appliziert die Sprachspieltheorie des späten Wittgenstein auf das von Habermas diskutierte Übersetzungsproblem propositionaler bzw. argumentativ zugänglicher Gehalte religiöser Sprechakte. Mit dem Beitrag von Ludwig Nagl wird der Horizont der bis dahin binnenphilosophisch ausgerichteten Debatte theologisch erweitert, indem mit Hegel, Schleiermacher und Kierkegaard »drei der ›wirkungsmächtigsten Figuren‹ in diesem Argumentationsgefüge« (186) und ihre Rezeption im amerikanischen Pragmatismus erörtert werden. Eine erste Brücke zur politischen Theologie bei Johann B. Metz schlägt Klaus Müller, der die vermeintliche Grenze zwischen »Athen und Jerusalem« neu aufbricht. Gerade in der deutschsprachigen Denktradition steht Habermas, wie die Paulskirchenrede deutlich zeigt, für den Schritt von der »Koexistenz« zur »Kooperation«, etwa in Fragen der Menschenwürde und der neuen Herausforderungen der Bio­ethik. Auf Grund der Fragilität diskurstheoretischer Grenzziehungen erweist sich daher für Walter Raberger Habermas als wichtiger Gesprächspartner der Gegenwartstheologie, und zwar in klarer Abgrenzung der jeweiligen Sinnpotentiale und ihrer Geltungskriterien. Nach Raberger ergibt sich für Habermas die Notwendigkeit, in einer säkularisierten Gesellschaft »relevante Beiträge aus der religiösen in eine öffentlich zugängliche Sprache zu übersetzen« (249). Eine derartige »Perspektivenkorrektur« ermöglicht »präzisere und weiterführende Kommunikationsprozesse« (251) und damit eine neue Zuordnung von »Weltwissen und religiöser Überlieferung« (254). Diese »dialogische Offenheit« setzt allerdings für Magnus Striet eine Theologie voraus, »die unter den Bedingungen einer plural gewordenen Moderne am Projekt einer christlichen Ausdeutung von Geschichte als Offenbarung des einen Gottes festhalten will« (265). Dem theologischen Standpunkt geht so stets das Apriori göttlicher Selbstoffenbarung voraus, das philosophisch nicht einholbar ist, wobei gesellschaftliche und kulturelle Prozesse »nach dem Prinzip des etsi deus non daretur ablaufen müssen« (271). Hier zeigen sich die »Grenzen der Übersetzbarkeit« religiöser Potentiale in einem säkularisierten Diskurs; die Gefahr naturalistischer Nihilität erkennt auch Habermas, allerdings eröffnet sein Denken die grundsätzliche Möglichkeit eines »Commonsense in ethischen Fragestellungen« (276 f.). Einen Ausweg aus dem von Striet skizzierten Dilemma der Übersetzbarkeit schlägt im Anschluss Johann Reikerstorfer vor, indem er auf Parallelen zwischen Habermas und Johann B. Metz verweist. Beide skizzieren eine postsäkulare Gesellschaft, die, besonders in der erinnernden Vergegenwärtigung von Geschichte, um ihre eigene Begrenztheit weiß und hierin eine »Transzendenz ins Diesseits« (288) eröffnet. Mit der Denkform einer anamnetischen Kultur wird eine mögliche Topographie von Religion und Kultur formuliert, die den vierten Abschnitt mit dem Titel: »Religion in einer ›postsäkularen Gesellschaft‹« einleitet. Eine postsäkulare Gesellschaft, die vor der Aufgabe ihrer eigenen Selbstlegitimation zu scheitern droht, bedarf der Religion, die ihrerseits gesellschaftstheoretischen Anforderungen entsprechen muss. Reinhold Esterbauer erkennt hier die spezifische Herausforderung einer »Über­setzung« religiös semantischer, vor allem offenbarungstheologischer Felder in die Praxis postsäkularer Diskursorte. Der Beitrag von Thomas M. Schmidt verdeutlicht diese Übersetzungsleistung im Rückgriff auf Weber und Durkheim. Religiöse Denkformen lösen sich im Modus ihrer Übersetzung von ehemals traditionellen Symbolhandlungen und werden im Sinne von Habermas »zugleich sublimiert und veralltäglicht« (325). Der »Transzendenz ins Diesseits« entspricht die »Transzendenz von innen« als einer »pragmatisch rekonstruierte[n] Idealisierungsleistung einer notwendigen Überschreitung lokaler Bedeutungskontexte« (328). Abschließend und mit überraschender Schärfe setzt sich Maeve Cooke von den bisherigen Wortmeldungen ab und plädiert für die Abschaffung des säkularisierten Staates insgesamt, da sich religiöse Inhalte nicht in säkularisierten Kontexten formulieren lassen. Vielmehr fordert Cooke eine »anti-autoritäre Ausrichtung« (360) des Staates, der nicht von vornherein zu entscheiden beansprucht, in welche Richtung die Übersetzung verlaufen soll.
Der besondere Wert dieses Sammelbandes besteht darin, dass am Ende Habermas selbst die Möglichkeit erhält, auf die vorherigen Beiträge in einer ausführlichen Replik (366–414) zu reagieren. Der Leser gewinnt damit einerseits einen abschließenden Gesamteindruck über eine aktuelle, theologisch-philosophische Sach­diskussion. Andererseits bieten sämtliche Autoren aus unterschiedlichen Perspektiven einen kritischen – stellenweise mitunter etwas sehr voraussetzungsreichen – Einblick in das weit verzweigte Denken eines der bedeutsamsten deutschsprachigen Philosophen.