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Ausgabe:

Mai/2008

Spalte:

543–570

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Delgado, Mariano, u. Guido Vergauwen [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Glaube und Vernunft – Theologie und Philosophie. Aspekte ihrer Wechselwirkung in Geschichte und Gegenwart.

Verlag:

Fribourg: Academic Press 2003. 247 S. gr.8° = Ökumenische Beihefte, 44. Geb. EUR 32,00. ISBN 3-7278-1455-1.

Rezensent:

Miriam Rose

Glaube und Vernunft – seit der Regensburger Vorlesung des amtierenden Papstes und Jürgen Habermas’ Rede zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2001 sind sie wieder öffentliches Thema; dabei ist die einschlägige Enzyklika des vorherigen Papstes mit dem Titel »Fides et Ratio« von 1998 in den Hintergrund getreten. Dieser engagierten Enzyklika widmete die theologische Fakultät Freiburg (Schweiz) 1999/2000 eine Ringvorlesung, deren perspektivenreiche Beiträge der vorliegende Sammelband dokumentiert.
Die von Guido Vergauwen präzise vorgestellte Enzyklika dringt darauf, »dass Glaube und Philosophie die tiefe Einheit wiedererlangen sollen, die sie dazu befähigt, unter gegenseitiger Achtung der Autonomie des anderen ihrem eigenen Wesen treu zu sein. Der parresia (Freimütigkeit) des Glaubens muß die Kühnheit der Vernunft entsprechen« (48).
Unter Vernunft und Glauben verstehen die nun folgenden Beiträge jeweils etwas so Verschiedenes, dass ertragreich nur ist, nach den drängenden Anliegen zu fragen, wie sie sich besonders prägnant in den konfessionsspezifischen Schlussbeiträgen des Bandes artikulieren.
Am dramatischsten drückt es der orthodoxe Theologe Vladimir Ivanov aus: Wie kann christlich orientiertes Denken in einer »hyper­technisch orientierten Zivilisation« (236) überleben? Ge­wichtige Anregungen dazu hätten die großen Vertreter der russischen Religionsphilosophie geleistet, deren Rezeption ein Desiderat darstelle.
Hansjürgen Verweyen als katholischer Theologe zielt darauf, durch die Vernunft den Glauben vom Aberglauben zu unterscheiden und einen rational überzeugenden Glauben zu vertreten. In der Gegenwart konstatiert er allerdings eine »unbedingte Abneigung gegenüber allem Unbedingten« (180). Diese erweist er als in sich selbst widersprüchlich, auch wenn sie als je kulturspezifische Verarbeitung geschichtlicher Erfahrungen verstehbar sei. Dagegen vertritt er eine transzendentalphilosophisch orientierte Theologie, die sich auf Fichte stützt, aber hermeneutische und sprachphilosophische Erkenntnisse integriert. Nur so hält er es für möglich, dass ein ernst zu nehmender Offenbarungsglaube überlebe (188). Für Ingolf U. Dalferth bedeutet eine solche Konzeption aus evangelischer Perspektive, der Vernunft zu viel und dem Glauben zu wenig zuzutrauen. Stattdessen sieht Dalferth Glaube und Unglaube als diejenige Grundunterscheidung an, welcher auch jeder Vernunftvollzug unterliege. Vernunft sei stets »situierte Vernunft« (192), also Vernunft des Glaubens oder des Unglaubens. Philosophie als die »kritische Erkundung des Möglichen« (193) wäre dann die »kritische Begleiterin« (193) der Theologie.
Der Sammelband folgt im ersten historisch orientierten Teil der Enzyklika hinsichtlich der prominent genannten Gestalten. Dabei wird aber vieles von anderen Perspektiven her erschlossen. Es entsteht so eine Art Gegenlesung, ein überraschender Dialog mit den Positionen der Enzyklika. Ein Beispiel: Der in der Enzyklika als Höhepunkt der Synthese von Glaube und Vernunft genannte Thomas von Aquin tritt nicht etwa in einem eigenen Beitrag auf, sondern­ durch den Fokus auf die Streitigkeiten an der Pariser Uni­ver­sität im 13. Jh. samt der bischöflichen Verurteilungen thomasischer Sätze im Jahre 1277. Dieser erhellende Text von Fran­cois- Xavier Putallaz wird ergänzt durch Volker Leppins informative Darstellung der spätmittelalterlichen moderni. Eine ebenfalls erfrischende Gegenlesung bietet für das Judentum Ernst Ludwig Ehrlich. Als Quintessenz kann der von ihm zitierte Satz Hermann Cohens gelten: »Dieser anstößige Unterschied zwischen Glauben und Wissen hat keinen Raum im jüdischen Bewußtsein.« (243)
Die einzelnen geschichtlichen Fallstudien legen folgende Schlussfolgerungen nahe:
1. Ein Konflikt kann gerade das Gelingen anzeigen. So beschreibt Peter Neuner Glaubenserfahrung und Vernunft im Modernismus, anhand der Denker Maurice Blondel, Friedrich von Hügel und George­ Tyrrell. Im Kontext des Modernismus als katholischer Re­formbestrebung, die sich »durch eine Konzentration auf das Subjekt« (163) auszeichnet, entwickelte Friedrich von Hügel eine Religions­theorie, derzufolge das mystisch-subjektive Element, das lehrmä­ßige und das institutionelle in Spannung zueinander treten müssen, um so die lebenskräftige Ganzheit des Glaubens zu befördern. Damit vertritt er ein »Konzept von Reibung, Spannung und Konflikt« (172) als Bedingung stabiler Harmonie von Glaube und Vernunft.
2. Produktive Harmonie-Bestimmungen scheinen an unvermuteten Orten auf. Ada Neschke legt dar, dass bei Marsilius Ficinus die Vernunft mit Argumenten in platonischer Tradition das letzte Ziel des Menschen als Gott identifizieren kann, wodurch die Vernunft­erkenntnis den Glauben als Ausrichtung auf Gott zu begründen vermag. Ist hier die Harmonie von der Vernunft her gedacht, so bei anderen ganz vom Glauben her: So versteht Johannes vom Kreuz laut Mariano Delgado das Verhältnis von Verstandesgebrauch und mystischer Erfahrung des Glaubens als das von Leuchter und Leuchte. Einzig Delgados nicht anders als zynisch wirkender Schluss-Satz mit dem Wunsch nach noch gesteigerter geschichtlicher Dunkelheit im Vergleich zum 20. Jh., um des Wertes der biblischen Gotteserfahrung inne zu werden, hätte dringend aufklärendes Leuchterlicht gebraucht.
3. Die Geschichte von Glaube und Vernunft ist zugleich eine Ge­schichte des Schuldigwerdens der Kirchen. Sie ist daher auch als Macht- und Institutionengeschichte zu schreiben. Exemplarisch führt dies Francesco Berettas inhaltsreicher Beitrag zu »Katholische Kirche und moderne Naturwissenschaft von Galilei bis Darwin« vor.
4. Die Problemkonstellation hat sich im Laufe der Neuzeit deutlich verschoben. Annemarie Pieper analysiert pointiert die Positionen Descartes, Spinozas und Kants daraufhin, welche Funktion der Gottesgedanke darin einnimmt. Wie sich die Ausgangsbedingungen von Religionskritik seit den Zeiten dieser Denker bis heute verändert haben, stellt Heinrich M. Schmidinger dar. Philibert Secretans Vergleich von Pascal und Wittgenstein rundet das Bild ab.
Implizit konvergieren viele Beiträge in einem: Die Theologie leidet daran, dass die Auseinandersetzungen, die sie gerne hätte, von der Philosophie kaum (noch) geführt werden; umso mehr ist die geistig-wache Offenheit gefragt, die Auseinandersetzungen dort zu bestreiten, wo sie wirklich auftauchen. Eine geschichtsbesonnene und selbstaufgeklärte Theologie hat dann viel zu sagen. Dazu ermutigt dieser vorzügliche Band.