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Ausgabe:

Mai/2008

Spalte:

539–541

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Krarup, Martin

Titel/Untertitel:

Ordination in Wittenberg. Die Einsetzung in das kirchliche Amt in Kursachsen zur Zeit der Reformation.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2007. XIV, 354 S. gr.8° = Beiträge zur historischen Theologie, 141. Lw. EUR 89,00. ISBN 978-3-16-149256-3.

Rezensent:

Martin Brecht

»Die Geschichte der Ordination im Kontext der Wittenberger Reformation ist kein Niederschlag zielgerichteter Planung«, beginnt die abschließende Zusammenfassung dieser bei Dorothea Wendebourg, Berlin, angefertigten Dissertation (307). Das klingt ernüchternd und zugleich herausfordernd. Zudem verlief bereits die neuere Erforschung des Themas kontrovers, weil sie in die dogmatische Auseinandersetzung über das kirchliche Amt Ende des 19. Jh.s hineingeriet. Die Herleitung aus dem Priestertum aller Glaubenden (Höfling) und aus göttlicher Einsetzung (Stahl) standen sich gegenüber. Der einleitende Forschungsbericht führt die wissenschaftliche, bis heute offene Diskussion anschaulich vor. Ein Blick weiter zurück in die lutherische Orthodoxie hätte bereits die damalige Spannung zwischen Ordination und Investitur erkennen lassen. Angesichts der Forschungslage hat sich der Vf. dafür entschieden, das Thema nochmals umfassend historisch-genetisch im Rahmen der Wittenberger Theologie Luthers, Melanchthons, Bu­genhagens und Jonas’ anzugehen. Dass diese Personengruppe zu­sammenfassend gelegentlich einfach als »die Reformatoren« be­zeichnet wird, ist anachronistisch. Zutreffend wird der Zusam­menhang mit dem kursächsischen landesherrlichen Kir­chen­regiment und seiner Praxis wahrgenommen. Dass sich von Wittenberg nicht die ganze Entwicklung der Ordinationspraxis im Lu­thertum erfassen lässt, muss man sich freilich als weiteres Indiz für die Offenheit der Entwicklung bewusst halten. Wichtig ist, was in der Untersuchung (17) als Ordination verstanden wird, nämlich die rituelle Einführung in ein kirchliches Amt mit Schriftlesung, Gebet und Handauflegung. Die Berufung wird davon unterschieden, aber sonst bleibt eine gewisse Allgemeinheit mit Verzicht auf Aussagen über die Dauer der Ordination oder die Qualifikation des Ordinators gewahrt.
Durchgehend stabile Formen darf man nicht erwarten. Schon der Umstand, dass erst 1535 eine Liturgie der Ordination fixiert worden ist, lässt etwas von der Komplexität des Vorgangs ahnen. Ihm innerhalb des festgelegten Rahmens in den Quellen bis in die Verästelungen in scharfsinnigen Interpretationen nachgegangen zu sein, ist das vorrangige Verdienst der vorgelegten Untersuchung. Eingesetzt wird mit Luthers Kritik an der Priesterweihe vom Priestertum aller Gläubigen her in den programmatischen Schriften seit Ende 1519. Zutreffend wird betont, dass das Priestertum aller Gläubigen nicht gegen die göttliche Einsetzung des Amtes ausgespielt werden darf. Interessant ist der Hinweis, dass Luther in der Auseinandersetzung mit Heinrich VIII. 1522 auf die Bedeutung von Gebet und Handauflegung bei der Amtseinsetzung aufmerksam geworden ist. Immer wieder wurde Luther von 1521 an in einzelne Besetzungsverfahren hineingezogen, die freilich alle für sich besonders gelagert waren. Das Programm der Berufung der Amtsträger durch die Gemeinde formulierte 1523 die Schrift an die Leisniger. Den Böhmen schlug Luther im gleichen Jahr für die Einsetzung von Priestern die Wahl eines übergeordneten Amtsträgers und erstmals ein Verfahren für eine Ordination vor. Nachdem Bugenhagen vom Wittenberger Rat gegen das eigentlich zuständige Allerheiligenstift zum Pfarrer gewählt worden war, forcierte Luther ohne weitere Rücksichten dessen Einsetzung in das Amt. Schon 1522 warf er dagegen Karlstadt Amtsführung ohne Berufung vor. Gegen dessen Berufung durch die Orlamünder führte Luther 1524 die Rechte des Landesherrn ins Feld, eine, wie gezeigt wird, zwar verständliche, aber problematische und folgenreiche Modifikation des Priestertums aller Gläubigen.
Es wird dann den sich von 1524 an entwickelnden Überlegungen über einen Ordinationsritus nachgegangen. 1525 wurde Georg Rö­rer zum Diakonus in Wittenberg durch Handauflegung von Luther, Bugenhagen, Melanchthon, dem Bürgermeister und dem Richter im Beisein der Gemeinde ordiniert. Es war die erste Ordination, der gelegentlich weitere folgten. Die kirchlichen Amtsträger und die Vertreter der Gemeinde waren somit involviert, in welcher Rolle Melanchthon beteiligt war, kann man nur raten. Der Vf. ist in derartigen Fällen häufig zu Hypothesen geneigt, auf die besser verzich­tet worden wäre, weil bei aller Wahrscheinlichkeit auch andere Möglichkeiten bestehen und mit der Anwendung von Deutungsmustern bei dieser Materie Vorsicht geboten ist. Im Zusam­menhang mit den Visitationen kam die Notwendigkeit einer (mög­licherweise zentralisierten) Lehrprüfung in den Blick.
Ein Grund für die sich hinziehende Einführung der Ordination war die Rücksicht auf die Bischöfe und ihr Jurisdiktionsrecht. Dies war einer der Verhandlungsgegenstände auf dem Reichstag in Augsburg 1530. Nach dem Scheitern der Verhandlungen dachte Luther an die Einführung einer evangelischen Ordination. Die theoretischen Überlegungen dazu stellte er in Von der Winkelmesse und Pfaffenweihe (1533) an. Mit der in Wittenberg zentralisierten Ordination wird diese zur Übertragung eines allgemeinen, nicht nur lokalisierten Verkündigungsamtes.
Einen eigenen Beitrag zur Ordnung der Ordination steuerte Bugenhagen bei, indem in den von ihm konzipierten Kirchenordnungen seit 1529 die Amtseinführung in eine bestimmte Gemeinde im Gottesdienst unter Gebet und Handauflegung der vorhandenen Amtsträger erfolgen sollte. Für Pommern wurde 1535 eine vorausgehende Lehrprüfung, eine Bestätigung durch die Kir­chenleitung und eine Mitwirkung von Gemeindevertretern bei der Handauflegung vorgesehen. In Dänemark sollten 1537 die Ordinationen zentral am Bischofssitz stattfinden.
1535 wurde durch den Kurfürsten die zentralisierte Ordination in Wittenberg nach vorausgegangenem Examen und landesherrlicher Konfirmation der (bereits auf eine Stelle berufenen) Kandidaten an­geordnet und von da an auch entsprechend verfahren. Ekklesiologisch war dies ein erstaunlicher Vorgang, bei dem die Wittenberger Theologen trotz Bedenken Bugenhagens aber mitmachten. Eine völlig geschlossene theologische Konzeption war aber in diesem Falle nicht leitend. Praktisch legte sich das Verfahren wegen der Wahrnehmung des Examens (zur Abwehr von Irrlehre) durch die Universität nahe. Nicht alle Eventualitäten waren damit sofort geregelt. Einen angeblichen Pfarrermangel als Anlass für die neue Ordnung bezweifelt der Vf. Aber da gibt es auch widersprechende Indizien. Die Kombination der kurfürstlichen Konfirmation mit der Ordination wurde sichtlich nicht konsequent umgesetzt. Die Wittenberger Ordination galt zunächst für Anstellungen in Kursachsen. 1537 kam dann innerhalb des Schmalkaldischen Bundes der Plan einer gesamtevangelischen Ordination auf. Damals wurde die Wittenberger Ordination auch für Bewerber außerhalb Kursachsens geöffnet, was der zentralen Stellung Wittenbergs zugute kommen musste. Die landesherrliche Konfirmation wurde deshalb von der Ordination getrennt. Bezeichnenderweise ist das von Luther formulierte Ordinationsformular nicht in einer sicher fixierten Gestalt überliefert. Die Handauflegung wurde von mehreren Amtsträgern, nicht aber von Repräsentanten der Gemeinde vollzogen. Die Ordination wurde mit einem entsprechenden Zeugnis dokumentiert, das der Kandidat an seinem Tätigkeitsort vorweisen konnte. Es wird eruiert, was über das meist von Melanchthon durchgeführte Examen sowie über die Ordinanden bekannt ist. Ordinator war in der Regel Bugenhagen als Pfarrer, für den Luther einspringen konnte. Erstaunlicherweise fungierten selbst die Diakone gelegentlich als Vertreter und immer wieder war Melanchthon beteiligt.
Die Entwicklung der Ordination in Wittenberg erweist sich in der Demonstration der Untersuchung eher als singulärer denn als exemplarischer und klar theologisch geleiteter Vorgang, der häufig auf punktuelle Herausforderungen zu reagieren hatte. Angesichts der abzusehenden künftigen Diversifizierungen des kirchlichen Amts bringt der Vf. Verständnis für die Pragmatik in den Anfängen auf.