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Ausgabe:

Mai/2008

Spalte:

531–533

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Ritter, Adolf Martin

Titel/Untertitel:

»Kirche und Staat« im Denken des frühen Christentums. Texte und Kommentare zum Thema Religion und Politik in der Antike.

Verlag:

Bern u. a.: Lang 2005. XL, 282 S. gr.8° = Traditio Christiana, 13. Geb. EUR 72,40. ISBN 3-906770-69-9.

Rezensent:

Jörg Ulrich

In der Reihe Traditio Christiana (TC) erscheinen seit 1969 zweisprachige Textsammlungen zu Themen der frühen Kirchen- und Theologiegeschichte, die sich für die Benutzung im Seminarbetrieb anbieten. Der 13. Band der Reihe widmet sich dem Thema »›Kirche und Staat‹ im Denken des frühen Christentums«. Als Bearbeiter konnte mit dem Heidelberger Emeritus Adolf Martin Ritter ein international renommierter Verfasser gewonnen werden. Die von ihm präsentierte, eingeleitete, übersetzte und kommentierte Sammlung verdankt sich einer in jahrzehntelanger Forschungsarbeit und ebenso lang währender Unterrichtserfahrung gewon­nenen Quellenkenntnis. Durch diese wird eine angemessene Aus­wahl­ von signifikanten Texten aus der Fülle des gesamten überlieferten Materials überhaupt erst möglich.
Die Einleitung ordnet die Sammlung in den Zusammenhang der thematisch einschlägigen Vorgängerunternehmungen (vor allem H. Rahner, Kirche und Staat im frühen Christentum, München 1961 = Neuauflage des Bandes »Abendländische Kirchenfreiheit«, Einsiedeln 1943) und der inhaltlichen Ausrichtung der Reihe TC ein. Während Rahners Sammlung (vor dem Hintergrund der Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus verständlich) vor allem das Thema Freiheit der Kirche betonte, ist die R.sche Sammlung in ihrer Auswahl vielperspektivischer. Und während in TC bis vor einigen Jahren vor allem theologiegeschichtliche Themen im engeren Sinne quellenorientiert aufgearbeitet wurden, legt R. nun ein genuin kirchengeschichtliches Bändchen vor, freilich ohne die theologischen Implikationen des Themas dabei zu vernachlässigen. Anders als bei den bisherigen Bänden von TC ist diesmal auch dem Bereich der Voraussetzungen für die dokumentierte(n) christliche(n) Position(en) verstärkt Rechnung getragen worden.
Die Einleitung problematisiert die für die (spät)antike Zeit anachronistische Wortwahl (vor allem zum Begriff »Staat« siehe XII f. u. ö.), behält sie aber bei, da die Semantik der zeitgenössischen Quellen, in heutigen Kontexten benutzt, mindestens ebenso viele Probleme aufwerfen würde. Der Vorschlag, »Religion und Politik« als Komplementärbegriffe zu benutzen (XIV), impliziert faktisch eine Ausweitung des Themas, die sich in der getroffenen Textauswahl angemessen widerspiegelt. Behutsam wird auf die (für historische Themen aus methodischen Gründen stets problematische) »Aktualität« der Sammlung hingewiesen: Zumindest für die anhaltenden Diskussionen in und mit den Kirchen der byzantinisch-orthodoxen Tradition, die dem Herausgeber der Sammlung stets ein besonderes Anliegen gewesen sind, ist der Rekurs auf die Kirchenvätertraditionen auch beim Thema »Religion und Politik« unerlässlich (XXII f.), nicht zuletzt im Sinne der Legitimierung gegenwärtiger theologischer Selbstfestlegungen.
Die Textsammlung selbst ist in sechs Bereiche unterteilt: Neben den Voraussetzungen, unter denen Texte von Platon und Aristoteles, dem Alten Testament und wichtigen Denkern des Frühjudentums sowie von Cicero und Plutarch aufgeführt sind, findet sich ein längerer Abschnitt von insgesamt immerhin 18 Texten, die den Bereich des »Gebets für die Obrigkeit« thematisieren. So sehr zuzugestehen ist, dass die Fürbitte für die Autoritäten und höchsten Repräsentanten auch des Christen verfolgenden Imperium Romanum (nicht zuletzt unter dem Aspekt ihrer eschatologischen Errettung) stets eine Rolle im Beten der frühen Christen gespielt hat, ist man (trotz des berechtigten Hinweises auf den verdienstvollen Aufsatz von U. Wickert in der Festschrift für C. Andresen, 1979) überrascht, dass diesem Bereich unter dem Oberthema »Kirche und Staat« ein derart hoher Stellenwert eingeräumt wird. Entsprechend knapp ist dann das dritte Kapitel »Kirche und Kaiser von Tertullian bis zu Johannes Chrysostomus« geraten, das nur sieben Texte umfasst; hätte man hier nicht – gerade vor dem Hintergrund der naheliegenden Frage, ob und inwiefern die Konstantinische Wende nicht unter Umständen erhebliche Veränderungen im Denken des frühen Christentums verursacht hat – signifikante Quellen, etwa einen Text des ersten christlichen Kaisers selbst oder Zeugnisse erster Konflikte prominenter christlicher Bischöfe mit den christlichen Kaisern des 4. Jh.s erwarten dürfen? Die Auswahl in der dritten Rubrik, so gelungen sie als solche ist, leidet unter einer Ungleichgewichtung sowohl gegenüber dem zweiten Kapitel als auch und vor allem gegenüber dem vierten, in welchem nun Augus­tins »Gottesstaat« in 23 (!) Auszügen eingehend dokumentiert wird. Es steht außer Frage, dass Augustins Opus vor allem unter dem Gesichtspunkt seiner immensen Wirkungsgeschichte (die vielleicht hie und da dazu verführt, die zeitgenössische Repräsentativität des Textes etwas zu überschätzen) als prominenter westlicher Beitrag zum Thema in einer solchen Quellensammlung nicht fehlen darf. Freilich erscheint das Gewicht, mit dem er hier zum Tragen kommt, durchaus überproportioniert. Die letzten zwei Rubriken der Sammlung werfen einen Blick auf die viel zu selten bedachte weitere Entwicklung sowohl im Westen (Gelasius) als auch im Osten (Justinian, Agapetos und Photius); insbesondere der Fürstenspiegel und die Eisagoge sind mit Recht ausführlich in die Sammlung aufgenommen, zumal diese Texte gerade den (westlichen) Studierenden erfahrungsgemäß wenig bekannt sind; TC 13 leistet hier eine gewisse Abhilfe.
Manchmal erschließt sich zumindest dem Rezensenten nicht ganz der Grund für die gewählte Reihenfolge der Texte innerhalb ihrer Rubriken. Dies ist aber ein geringfügiges Manko gegenüber dem Umstand, dass die Kommentierungen in ihrer erforderlichen Knappheit sehr präzise sind. Sie leisten genau das, was eine Kommentierung leisten sollte, indem sie die Quellen, auch an deren dunkleren Stellen, zum Sprechen bringen, anstatt sie durch Darlegung eigener wissenschaftlicher Meinungen zu überlagern. Da, wo Hinweise auf wissenschaftliche Kontroversen angebracht waren, ist die Bewertung zugleich pointiert und differenziert.
Die Übersetzungen sind von durchweg sehr guter Qualität. Wo sie sich an vorliegende Arbeiten anlehnen, sind die Abweichungen durchgängig als Verbesserungen anzusehen. Das macht den Band für die Benutzung im Seminarbetrieb unserer Tage besonders empfehlenswert. An den Stellen, an denen man gegenüber der Auswahl von R. andere Wege einzuschlagen für sinnvoll hält, kann man anders akzentuierte Sammlungen wie etwa die von P. Guyot/ R. Klein, Das frühe Christentum bis zum Ende der Verfolgungen, 2 Bde., TzF 60.62, Darmstadt 1993/1994, von V. Keil, Quellensammlung zur Religionspolitik Konstantins des Großen, TzF 54, Darmstadt 1989, die nach wie vor nicht von der Hand zu weisende Ausgabe von H. Rahner (w. o.) oder, wenn man an kirchengeschichtlichen Längsschnitten interessiert ist, U. Duchrow/K. Hoffmann, Die Vorstellung von den zwei Reichen und Regimenten bis Luther, TKTG 17, Gütersloh 1972, komplementär benutzen.