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Ausgabe:

Mai/2008

Spalte:

528–530

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Marjanen, Antti, u. Petri Luomanen [Eds.]

Titel/Untertitel:

A Companion to Second-Century Christian »Heretics«.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2005. XIII, 385 S. gr.8° = Supplements to Vigiliae Christianae, 76. Geb. EUR 118,00. ISBN 90-04-14464-1.

Rezensent:

Christoph Markschies

Auf Initiative der ebenso anregenden wie produktiven Bibelwissenschaftler der Universität von Helsinki entstand als Gemeinschaftsarbeit von zwölf Wissenschaftlern ein Handbuch der wichtigsten Bewegungen und Personen, die im 2. Jh. nicht Teil der sich formierenden Mehrheitskirche waren oder wurden; man kann durchaus von einer finnisch-amerikanischen Kooperation sprechen, die den Band prägt. Die Einleitung der Herausgeber verzichtet auf eine ausführliche Darstellung der entsprechenden Diskurse über Orthodoxie und Häresie, wie sie nun seit vielen Jahren geführt werden, und begründet nur knapp die Auswahl (IX–XIII). Damit fehlt dem Handbuch auch eine wünschenswerte Übersicht über die Quellen, aus denen man Kenntnis von christlichen Bewegungen des 2. Jh.s hat, und ihre nicht unerhebliche Problematik – man muss sich ja nur einmal klarmachen, dass ein Autor wie Epiphanius von Salamis offenkundig allein aus Gründen einer bestimmten Architektur, die er für sein antihäretisches »Arzneikästlein« vorsieht, aus einzelnen Personen häretische Schulen konstruiert hat und offenkundig ganze Gruppen erfunden hat. Leider haben die Herausgeber auch nicht auf eine einheitliche Struktur der Beiträge gedrungen, so dass der Handbuchcharakter in einigen Passagen verloren geht und man eher eine Aufsatzsammlung in den Händen hält.
Bei näherer Betrachtung der Beiträge zeigt sich, dass meist der For­schungsstand sehr übersichtlich zusammengefasst wird (in einigen Artikeln freilich auch nur der, der von den jeweiligen Autoren für maßgeblich gehalten wird). Fortschreibung dieses Forschungsstandes oder weiterführende Reflexionen über die weitgehende Pluralisierung des gegenwärtigen Bildes der sog. »Häretiker« finden sich nur selten. Gelegentlich hat man sogar Mühe, die Plura­lität der Meinungen in den Übersichten überhaupt wiederzufinden. Der Band wird eröffnet mit einem Beitrag von Birger A. Pearson über Basilides (1–31), der knapp über die Quellen und die Forschungslage orientiert, um dann im Wesentlichen anhand von Bentley Layton (The Gnostic Scriptures, 1987, 417–444) die authentischen Fragmente mit dem Bericht des Irenaeus über Basilides zu harmonisieren und ihn so als klassischen Gnostiker zu porträtieren. Warum Pearson die gänzlich andere Rekonstruktion der Lehre des Basilides durch Winrich Löhr (Basilides und seine Schule, WUNT 83, 1996) nicht akzeptiert, wie er immer wieder schreibt, erfährt man leider nicht. Im Anschluss informiert Michael A. Williams über Sethianismus (32–63); leider gibt er keine Übersicht über die Quellen, sondern paraphrasiert zunächst einen sethianischen Mythos (nämlich den des sog. Ägypterevangeliums aus Nag Hammadi) und ergänzt diese Paraphrase dann durch Vergleiche mit verwandten Texten aus Nag Hammadi. Unter der Überschrift »Reconstructing the Social History of Sethianism?« werden danach die Thesen­ der einschlägigen Monographie von John D. Turner nach­gereicht (J. D. Turner, Sethian Gnosticism and the Platonic Tradition, BCNH.E 6, 2001), so dass ein etwas konfuses Bild entsteht. Ismo Dunderberg beginnt seine Darstellung der »School of Valentinus« (64–99) mit äußerst kritischen Bemerkungen zum Quellenwert des großen Systemreferates bei Irenaeus von Lyon, das er (mit Recht) für eine interessegeleitete Konstruktion hält, um es dann doch in groben Zügen nachzuerzählen. Welche Funktion der valentinianische Mythos jenseits der Polemik der Kirchenväter und seiner bunten Erzählung in den Nag Hammadi-Texten (71 f.) wohl für Menschen des 2. Jh.s gehabt haben könnte, wird nicht gefragt. Dagegen ist der Abschnitt über den römischen Lehrer Valentinus, auf den sich offenbar die von ihren Gegnern als »Valentinianer« bezeichneten Theologen beriefen (72–76), nicht nur sehr umsichtig formuliert, sondern enthält eine Reihe spannender Beobachtungen von Dunderberg, die die Diskussion lohnen. Der Beitrag von Heikki Räisänen über Markion (100–124) orientiert präzise über den Stand, den das einschlägige Mainzer Symposium des Jahres 2001 (Marcion und seine kirchengeschichtliche Wirkung, hrsg. v. G. May u. K. Greschat, TU 150, Berlin 2002) repräsentierte, freilich ohne die dort von Barbara Aland aufgeworfene ketzerische Frage zu erwähnen, ob die landläufige Vorstellung, Marcion habe »zwei Götter« gelehrt, nicht eine häresiologische Fiktion sei. Be­mer­kens­wer­terweise wird erst die Theologie Markions geschildert und dann über seine Bibelausgabe informiert – sind aber so der Theologe und der Philologe Markion in ein rechtes Verhältnis gesetzt? Antti Marjanen informiert ebenfalls präzise über die Quellenlage und die Frühgeschichte des Montanismus (185–212); gegenüber neueren Untersuchungen, die erneut reklamieren, die Ortslagen Pepuza und Tymion identifiziert zu haben, bleibt er mit Recht skeptisch (191). Matti Myllykoski analysiert in seinem Beitrag über Kerinth (213–246) sehr gründlich das einschlägige Referat bei Irenaeus und zeigt, dass es nicht zur Rekonstruktion der originalen Lehre herangezogen werden darf (236). Seine ebenso scharfe wie einsichtige Quellenkritik überleben nur diejenigen Nachrichten, die Kerinth eine experimentelle, frühe Unterscheidungschristologie und einen radikalen Chiliasmus zuweisen (ähnlich schon der Rezensent: Kerinth: Wer war er und was lehrte er? JbAC 41, 1998, 48–76). Die restlichen Artikel des Bandes seien nur noch erwähnt: William L. Petersen über Tatian (125–158), Nicola Denzey über Bardaisanes (159–184), Sakari Häkkinen über die Ebioniten (247–278), Petri Luomanen über die Nazarener (279–314), F. Stanley Jones über das Judenchristentum der Pseudo-Clementinen (315–334) sowie Gerard P. Luttik-huizen über die Elchesaiten und ihr Buch (335–364). Zwei Register (Autoren und Sachen) schließen den Band ab, leider fehlt ein Stellenregister.