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Ausgabe:

Mai/2008

Spalte:

521–523

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Feldmeier, Reinhard

Titel/Untertitel:

Der erste Brief des Petrus.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2005. XXXV, 172 S. gr.8° = Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament, 15/I. Geb. EUR 28,00. ISBN 3-374-02323-1.

Rezensent:

Lutz Doering

Nach einer vielbeachteten Monographie (Die Christen als Fremde, Tübingen 1992) und mehreren einschlägigen Aufsätzen legt R. Feldmeier nun einen Kommentar zum 1Petr vor. Wichtige Grundentscheidungen trifft er auf der Linie der genannten Monographie. So bestimmt er als Thema des 1Petr das Fremdsein der Christen in der Gesellschaft, wobei der Brief auf eine »schmale alttestamentlich-jüdische Tradition« zurückgreift und sie »zum Schlüsselbegriff für die gläubige Existenz in der Gesellschaft macht«. Zugleich stellt F. aber heraus, dass das Fremdsein »nicht aus dem Widerspruch zur Gesellschaft abgeleitet« wird, »sondern aus der Entsprechung zu Gott und der Zugehörigkeit zu seiner neuen Gemeinschaft« (10, im Original z. T. kursiv). Damit ist eine theologisch engagierte Interpretation eröffnet, die gleichwohl die Konkretheit der (Leidens-)Situation der Adressaten sowie der Bezüge zu dem die relevanten Metaphern (»Fremde«, »Diaspora«, »Gottesvolk« etc.) spendenden Judentum im Blick behält. Entsprechend setzt der Kommentar in der »Einleitung« (1–30) mit einer Erörterung der Adressaten-Situation und ihrer Deutung im 1Petr ein. Es folgen Überlegungen zur Disposition des Briefs, wobei F. auf die Schwierigkeiten einer Gliederung hinweist.
Immerhin findet er genügend Anhaltspunkte, die eine Gliederung in zwei Hauptteile erlaubten: 1,3–2,10, »die Grundlegung, in der weniger ein erstes Thema abgehandelt als vielmehr das christliche Leben zunächst grundsätzlich im Licht der Gottesbeziehung gedeutet wird« (13), und zwar unter den Begriffen »Wiedergeburt« und »Gottesvolk«, und 2,11–5,11, der mit »Bewährung in der Fremde« (15) überschrieben ist. Mit Recht wendet sich F. gegen einen Neueinsatz bei 4,19 oder 3,12. In 4,12 sieht er zwar einen Einschnitt, nicht aber (analog 2,11) den Beginn eines Hauptabschnitts. Das kann man auch anders sehen, vor allem wenn man die Erneuerung des Adressatenkontakts ἀγαπητοί in 2,11 und 4,12 in Anschlag bringt. F. hat sicher Recht mit der Annahme enger Bezüge zwischen den Abschnitten 2,11–4,11 und 4,12–5,11, doch die Überschreibung des ersten mit »Mahnung und Trost«, des zweiten mit »Trost und Mahnung« (15) wirkt etwas schematisch. Auch ist anzumerken, dass die Hinzuziehung der Eingangseulogie 1,3–12 zum ersten Hauptteil epistolographisch nicht unproblematisch ist, insofern solch ein Stück besser dem Briefeingang zuzuordnen ist. In der Tat haben sowohl 1,3–12 als auch 1,13–2,10 grundlegenden Charakter, aber doch in etwas unterschiedlicher Weise: Während Letzteres mit den Metaphern der Wiedergeburt und des Gottesvolks die soteriologische und ekklesiologische Grundbestimmung der Existenz der Adressaten zum Ausdruck bringt, bietet die Eulogie einen Vorblick nicht nur darauf (vgl. 1,3 ff.), sondern mit Hinweisen auf das Leiden der Adressaten (vgl. 1,6) und Christi (vgl. 1,11), ebenso auch auf 2,11–4,11 und 4,12–5,11.
F. widmet sodann eigene Abschnitte der Verschränkung der vertikalen und horizontalen Dimension der Soteriologie anhand der beiden erwähnten Metaphern »Wiedergeburt« und »Gottesvolk«, die nach F. »komplementär aufeinander bezogen sind« (17, kursiv im Original), sowie dem Verhältnis des 1Petr zur »Tradition«, also seinem Umgang mit dem Alten Testament, frühjüdischen und anderen frühchristlichen Überlieferungen. Dabei geht er davon aus, dass 1Petr paulinische Tradition aufnimmt sowie das MtEv voraussetzt, offenbar mit R. Metzner in seiner redaktionellen Gestalt (vgl. 130, zu 1Petr 3,14; Mt 5,10). F. sieht im 1Petr »eine ›apostolische Theologie‹, die zum Teil direkt ins Apostolikum führt« (19; dies wird in den die Einleitung abschließenden Bemerkungen zu der Wirkungsgeschichte weiter ausgeführt).
Zu den üblichen Einleitungsfragen: 1Petr sei ein einheitliches frühchristliches Sendschreiben, das sich an die »frühjüdische Form der Diasporabriefe anlehnt« (22; zustimmend zu Überlegungen des Rezensenten). Bei der Bestreitung der Orthonymie macht es sich F. nicht leicht; es spreche aber »die Gesamtheit der Einwände doch mit größerer Wahrscheinlichkeit gegen den Apostel Petrus als Verfasser dieses Schreibens« (26). Dass der Autor aber, wie zu 5,1 erwogen (155), mit dem Stichwort ›Mitpresbyter‹ aus der petrinischen Fiktion herausfällt, ist m. E. textpragmatisch unwahrscheinlich. Auf Grund fehlenden Bezugs zu Martyrien sei 1Petr »eher in die Frühzeit Domitians (zwischen 81 und 90)« zu datieren (27). Der Brief sei in Rom entstanden, doch sieht F. – m. E. mit Recht – in ›Babylon‹ (5,13) nicht nur ein »Kryptogramm für Rom«, sondern auch ein »Symbol für die Zerstreuung« (28). Die Adressaten seien »vorwiegend – nicht notwendig ausschließlich – … Heidenchristen« (29).
Die »Auslegung« (31–172) ist durchweg auf dem Stand der aktuellen Forschung, gleichzeitig prägnant und sehr gut lesbar. Einzelne Sachverhalte und Vorstellungen entfaltet F. in elf Exkursen. Besonderes Augenmerk legt er auf die hellenistisch-römische Tradition als Verstehenshorizont des 1Petr, häufig vermittelt durch das hellenisierte Diasporajudentum. Dabei sei nicht unbedingt von linearen »Abhängigkeiten« auszugehen: 1Petr habe vielmehr »durch Aufnahme und kreative Kombination verschiedener Vorstellungen die Wahrheit des Evangeliums in ein neues Sprachspiel übersetzt« (85 zu ›Wiedergeburt‹, dort kursiv). F.s Kommentar zeichnet sich ferner durch besonnene Bewertung antiker Machtstrukturen und den literarischen Umgang mit diesen im 1Petr aus. Die Mahnungen zur Unterordnung dürften weder als Ausdruck repressiver Hellenisierung (D. Balch) verstanden (101) noch einer konservativen »Überinterpretation« unterzogen werden (104). Vielmehr sprächen sie in eine »Situation ungerechten Leidens« (102) hinein; zu hören sei auf »die leisen Töne«, mit denen 1Petr seine »Zumutungen an die Christinnen und Christen, einander mit Liebe und Demut zu begegnen …, in die Machtstrukturen der ihm vorgegebenen Gesellschaft hinein übersetzt« und dabei in gewissem Maß »das diesen Strukturen inhärente Gewaltpotential zu verringern sucht« (123).
Kurzum: Auch wenn man hier und da anders urteilen mag, bleibt festzuhalten, dass F. ein hervorragender, sorgfältig gearbeiteter Kommentar in einem zugänglichen Format gelungen ist, der seinen festen Platz innerhalb wie außerhalb der neutestamentlichen Fachdiskussion finden wird.