Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/2008

Spalte:

518–519

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Becker, Eve-Marie

Titel/Untertitel:

Das Markus-Evangelium im Rahmen antiker Historiographie.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2006. XVII, 516 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 194. Lw. EUR 129,00. ISBN 978-3-16-148913-6.

Rezensent:

David du Toit

Das Buch ist die Druckfassung der im Winter 2004/5 an der Universität Erlangen-Nürnberg angenommenen Habilitationsschrift der Vfn. Ihre These lautet: »Das Markus-Evangelium lässt sich ge­schichtstheoretisch, historisch und literaturgeschichtlich im Kontext antiker Historiographie verorten« (51).
Das Buch besteht aus 13 Kapiteln, die in vier Teilen gruppiert sind. In Teil I bietet die Vfn. zunächst einen Rundumschlag zur mk Forschungsgeschichte des 20. Jh.s (Kapitel 1), gefolgt durch eine nütz­liche Darstellung »historiographieorientierter Ansätze der jüngeren Evangelienforschung« (Kapitel 2.1). Daraus entwickelt die Vfn. Forschungsdesiderate und Perspektiven (Kapitel 2.2–2.3), die ihre Studie einlösen soll. Sodann wird die oben genannte These formuliert und in vierfacher Hinsicht expliziert (52 f.). In Kapitel 3 werden fünf »für die Untersuchung konstitutive Aspekte« genannt und »aspekthaft« expliziert: Es handelt sich um das Verhältnis von 1. Mythos zu Historiographie, 2. Historiographie zu Biographie, 3. dem Historiographen zu seinen Quellen, 4. Ereignis zu Erzählung, 5. Historiographie zu Theologie.
In Teil II wird Mk in dreifacher Hinsicht als »Anfang christlicher Ge­schichtsschreibung« charakterisiert: als historischer (Kapitel 4.1), literarischer (Kapitel 4.2) und literaturgeschichtlicher Anfang (Ka­pitel 5). 1. Zunächst bemüht sich die Vfn. auf Grund einer Analyse von Mk 13 und motivgeschichtlichen Parallelen zu Mk 13 um eine absolute (!) Datierung des Markusevangeliums. Das Ergebnis lautet: Die Tempelzerstörung im Jahr 70 n. Chr. sei der terminus post quem des Evangeliums und zugleich Auslöser seiner Abfassung. Der mk Jesus sei in Mk 13 Hermeneut der Zeitgeschichte, und das Evangelium bilde somit den Anfang christlicher »Historiographie«. Es folgt 2. eine Analyse von Mk 1,1(–3), derzufolge Mk 1,1 den Buchanfang benenne, als zeitliche Eröffnungswendung den zeitlichen Anfang der Ereignisgeschichte einleite, ferner als Themenangabe fungiere und somit die historiographische Grundkonzeption der Schrift deutlich mache. 3. In Kapitel 5 wird Lk 1,1–4 als Hinweis­ auf die Wirkungsgeschichte des Mk ausgewertet: Der lk Prolog zeige, dass Lukas Mk als ernst zu nehmende historiographische Vorlage betrachtete, die es zu überbieten galt.
Teil III (Kapitel 6–12; 129–398) bildet den Kern des Buches. Aspekte des Mk werden mit Werken von sechs etwa zeitgenössischen Historiographen verglichen, nämlich Polybios (–>Mk 8,31–33: 15,22–26 = Kapitel 7), Artapanos (–> Mk 8,1–13 = Kapitel 8), Sallust (–> Mk 1,2–4; 6,14–29; 16,6–8 = Kapitel 9), Nikolaus von Damaskos (–> Mk 2,23–28; 12,35–37 = Kapitel 10), Flavius Josephus (–> Mk 13,1 f.; 15,33–39 = Kapitel 11) und Tacitus (–> Mk 10,46–52 = Kapitel 12). Die Begründung der Auswahl erfolgt in Kapitel 6. Diese Kapitel haben folgende Struktur: Auf 1. eine kurze biographische Einleitung zu dem jeweiligen Autor folgt 2. eine detaillierte Darstellung seines historiographischen Ansatzes (lesenswert!), woraufhin 3. ausgewählte Mk-Texte da­mit verglichen werden. Der Vergleich ge­schieht im Hinblick auf die Verwendung von Quellen (Kapitel 7, 9, 10, 12) sowie von Traditionen und Motiven (Kapitel 8, 10–12), auf historiographische Deutungsprinzipien (Kapitel 7), auf das Verhältnis von Historiographie und Biographie (Kapitel 8, 10, 12), auf die Form der historischen Mo­no­graphie (Kapitel 9) sowie auf Datierungsprobleme (Kapitel 11). Kapitel 13–14 bündeln die Ergebnisse der Studie. Das Buch wird abgerundet durch zwei Anhänge, ein Literaturverzeichnis (65 S.!) und Register.
Eine der umfangreichen Studie angemessene kritische Auseinandersetzung kann hier leider aus Platzgründen nicht erfolgen. Nur soviel sei schlaglichtartig angedeutet: Die Vfn. hat sich eines überfälligen Themas der Mk-Forschung angenommen. Dem Er­gebnis der Studie ist in der Haupttendenz zuzustimmen – viele Strukturelemente sprechen dafür, Mk antiker historiographischer Praxis zuzuordnen: Mk ist als personenzentrierte Geschichtsschreibung zu betrachten. Ob allerdings der Begriff »Prä-Historiographie« als Gattungsbezeichnung weiterführt, neige ich zu bezweifeln. Manche exegetischen Urteile werden nicht überall auf Zustimmung stoßen, sondern (hoffentlich) einen kritischen Dis­kurs auslösen. Insbesondere führt der vorgeschlagene Ansatz der Quellen- und Traditionsanalyse nicht weiter. Im Ganzen gilt jedoch: Die Vfn. hat eine Studie vorgelegt, die die Mk-Forschung in der Gattungsfrage ein Stück voranbringt.