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Ausgabe:

Mai/2008

Spalte:

513–517

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

McKenzie, Steven L.

Titel/Untertitel:

König David. Eine Biographie. Übers. v. Ch. Wiese.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2002. VIII, 255 S. m. 1 Kt. gr.8°. Geb. EUR 19,95. ISBN 3-11-017196-1.

Rezensent:

Hans Seidel

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Finkelstein, Israel, u. Neil Asher Silberman: David und Salomo. Archäologen entschlüsseln einen Mythos. Aus dem Englischen v. R. Seuß. München: Beck 2006. 298 S. m. Ktn. 8°. Geb. EUR 24,90. ISBN 978-3-406-54676-1.


Es ist erstaunlich, welches Interesse David gewonnen hat. Allein in den letzten fünf Jahren sind zwölf Buchveröffentlichungen er­schienen. Aus ihnen wurden zwei ausgewählt, um die Tendenzen in der neuesten Davidforschung zu verdeutlichen.
Nach einem kurzen Blick auf Davidbücher der verschiedensten Gattungen und Zeiten will Steven L. McKenzie in eine andere Richtung gehen. Die Forschungsabsicht dieses Buches ist eine rein historische. Die Bibel wird hier – wenn auch mit kritischem Blick – »als Quelle historischer Information ernst genommen« (8 f.). Die Frage »Gab es einen König David?« beginnt mit der Suche nach außerbiblischen Quellen. Resümee: »In den letzten zehn Jahren gab es keine neuen archäologischen Entdeckungen, die sich sicher mit David in Verbindung bringen lassen.« (21) Die Befragungen der Tel-Dan-Stele, der Mescha-Stele und einer Ortsliste des Pharao Schoschenk ergeben keine eindeutigen Antworten.
Da wir über die Siedlungsgeschichte Jerusalems wenig wissen, außer dass die Stadt lange vor David bewohnt, vielfach zerstört und überbaut worden war, lässt sich aus der Archäologie der Davidsstadt nichts für David als historische Person gewinnen. Aus den »Amarna-Briefen« (14. Jh. v. Chr.) ist zwar zu entnehmen, dass Jerusalem ein Herrschersitz war, aber lässt sich daraus für die 400 Jahre spätere Stadt Davids Entscheidendes ableiten? Der Aufbau der Städte Megiddo, Hazor und Geser fällt in die Zeit Davids/Salomos, weshalb die meisten Archäologen sie als Bauherren nicht ausschließen. Dagegen wenden sich Finkelstein/Silberman (s. u.). Der Aufstieg Davids wird mit den Karrieren nahöstlicher Despoten verglichen. Zusammengefasst: Die Archäologie liefere keine »objektiven« Be­weise für Davids Existenz, aber es spreche auch nichts dagegen. »Die Suche nach dem historischen David ist daher vornehmlich eine exegetische.« (29)
In den folgenden Kapiteln werden die biblischen Texte nacherzählt. Sie sind nach ihrer Gattung aufgeteilt: 1Sam–2Kön, 1Chron, Psalmen. Das 2. Kapitel ist mit »Königliche Propaganda« überschrieben, und McKenzie nutzt als Einstieg Stefan Heyms »König David Bericht«. Solche Hinweise auf moderne Literatur über David finden sich in jedem Kapitel, zum Teil mit längeren Zitaten. Den Kontrast dazu bilde das Deuteronomistische Geschichtswerk (Dtn–2Kön), in dessen Mittelpunkt mit 42 Kapiteln David stehe. Es ist erstaunlich, wie McKenzie die Vorstellung vom Deuteronomistischen Ge­schichts­werk (Dtr) und »seinem Autor« übernimmt, ohne auf die umfangreiche, kritische Diskussion zu diesem Thema einzugehen. Als älteres Material seien die Aufstiegsgeschichte (1Sam 16–2Sam 5) und die Thronfolgegeschichte (2Sam 13–20; 2Sam 2,12–4,12; 2Sam 9; 21,1–14) benutzt worden. Die David/Bathseba-Erzählung sei spätere Einfügung. »Kurz gesagt, das Dtr kommt dem historischen David in 1Sam 16 bis 1Kön 2 so nahe wie irgend möglich.« (45) Eine tiefergehende Auseinandersetzung mit kritischen Modellen, wie zum Beispiel bei van Seters, McCarter u. a., findet nicht statt.
Die Chronikbücher setzt McKenzie um 350 v. Chr. an und spricht von ihrem »Verfasser«, der »wahrscheinlich ein Priester« gewesen sei. Eine plausible Begründung für diese Ansichten fehlt. Obwohl McKenzie das 1. Chronikbuch für keine verlässliche historische Quelle hält, möchte er doch nicht ausschließen, dass brauchbare historische Informationen enthalten sind. Das Gleiche gilt für die Psalmen, in denen David in den späteren Überschriften und in sieben Psalmen vorkommt.
Für die folgenden Kapitel fasst McKenzie seine grundlegende Methode im Umgang mit den Texten zusammen: 1. Skepsis bei apologetischen, ideologischen und theologischen Tendenzen, 2. Analogie zur Gegenwart, da die Menschen aller Zeiten die gleichen Ambitionen und Instinkte besitzen, und 3. die Charakterisierung Davids, seines Charakters und der Personen seiner Um­welt– vor allem der Frauen – aus Gedanken, Reden, Gesprächen usw. Man sucht vergeblich nach der Anwendung der bekannten exegetischen Methoden, um die unter 1. genannte Skepsis zu überwinden.
Auf die Frage: »War David ein Hirte?« hin geht McKenzie den einzelnen Motiven der Beschreibung in 1Sam 16,18 nach. Zusammengefasst: »Wir stellen ihn uns als kleinen, rothaarigen, hellhäutigen Mann vor. Er stammt aus einer angesehenen Familie der Oberschicht ... Ursprünglich dürfte er als Musiker mit dem Haus Sauls in Verbindung getreten sein. ... Er war jedoch ein ernstzunehmender Krieger.« (79/80) Wie wenig die sehr allgemeine Auslegung der einzelnen Motive befriedigt, wird besonders am David-Musiker-Motiv deutlich. Obwohl im Blick auf die Chronikbücher und die Psalmenüberschriften der Musikertradition keine Zuverlässigkeit zugestanden wird, möchte McKenzie einräumen, »dennoch könnte seine Musikalität Anhalt in der Geschichte ha­ben« (68). Da die historische Realität des Leier spielenden David angenommen wird, folgt eine ungefähre Beschreibung der Leier, obwohl »in Palästina nie eine gefunden worden sei« (69). Diese Feststellung zeigt leider wenig Kenntnis im Bereich der Musikarchäologie Altisraels (vgl. J. Braun, Die Musikkultur Altisraels/Palästinas, OBO 164, Göttingen 1999, 220–223). Ähnlich unbefriedigend ist die Auslegung der anderen Motive, die in einer biographischen Zu­sam­menfassung endet.
Die David-Goliath-Geschichte wird unter Berücksichtigung der falschen Bewaffnung des Philisters und ihres literarischen Wachstums als Legende beurteilt, und es ist daher schwer verständlich, warum dennoch ein historischer Kern gerettet werden soll (98). Unter der Überschrift »Heiliger Terrorist« und »Mörder« meint McKenzie, mit 1Sam 21–23 und 1Sam 24–2Sam 5 wieder echten hi­storischen Boden zu betreten. Woraus wird das geschlossen? »Der Preis des Königtums« schildert den Aufbau des Königtums Davids. Zwar enthalten die Texte Anachronismen, »das entworfene Bild Davids ist jedoch, wenn man es im Lichte der antiken nahöstlichen Kultur liest, durchaus plausibel« (179). Das 8. Kapitel ist der Bathseba-Affäre und dem Aufstand Absaloms gewidmet. Das vorletzte Kapitel »Poetische Gerechtigkeit« scheint auf einen romantischen Abgesang mit der Geschichte von dem alten David und der jungen Abischag hinzudeuten. Aber 1Kön 1–2 zeige einen senilen, von Höflingen manipulierten David, der keine Ahnung gehabt habe, dass Salomo an seiner Stelle regierte. Bathseba trete in ein deutlicheres Licht und zeige sich »intelligent, fleißig und ihrem Sohn ergeben« (218). Im letzten Kapitel möchte McKenzie sein Davidbild vollenden. Er weiß um die von religiösen und politischen Interessen geprägte Darstellung der Davidgeschichte und ihre künstlerische Qualität und Kreativität. Wie in jedem Kapitel setzt er dagegen sein »Trotz alledem«, nimmt David als historische Figur und lässt die Texte historische Kenntnisse vermitteln. Vor allem der apologetische Charakter der Erzählungen dient ihm als Beweis. Trotzdem möchte McKenzie »allenfalls auf Wissen beruhende Mutmaßungen formulieren« (223). Seine Davidbiographie ist daher »keine exakte historische Darstellung, sondern ... eine plausible Erzählung«, die eine realistische Ähnlichkeit mit David aufweist.

Es ist schade, dass McKenzie seine Davidbiographie nicht in einen größeren Traditionsrahmen stellt und sich mit den Hinweisen auf moderne Davidromane u. Ä. begnügt, aber die wichtigsten zwi­schen­testamentarischen Texte – wie z. B. 11Q05 – nicht berührt. Wie kann ein schwaches historisches Bild, das mit »es könnte« und »trotz alledem« entwickelt wird, eine so starke, traditionsgeladene und theologisch wichtige Figur hervorbringen?
Ziel des Buches von Finkelstein und Silberman ist ein »neuer Blick auf die Geschichte Davids und Salomos unter Berücksichtigung der zahlreichen neuen archäologischen Erkenntnisse über den Werdegang der altisraelitischen Gesellschaft, in der die biblische Erzählung stattfand« (11). »Es sind Legenden mit universeller Botschaft nationaler Unabhängigkeit und transzendenten religiösen Werten« (27). Nach dieser Einleitung ist man gespannt, wie Finkelstein/Silberman die historischen Gestalten David und Salomo in den Legenden erkennen können und welche neuen archäologischen Erkenntnisse sie dabei unterstützen. Alle Veröffentlichungen über David und Salomo des letzten Jahrzehnts sind sich einig, dass selbst die Tel-Dan-Fragmente keine eindeutigen Fakten für eine Davidgeschichte liefern.
Im Gegensatz zu McKenzie, der die Bibel als Quelle historischer Information ernst nimmt, betonen Finkelstein/Silberman, dass die Texte des Alten Testaments über David und Salomo keinen historischen Wert besitzen. Während bei McKenzie z. B. die ›David-Aufstiegs-Geschichte‹ und die Texte des Deuteronomistischen Ge­schichts­werkes »dem historischen David so nahe wie irgend möglich kommen«, widersprechen nach Finkelstein/Silberman diese Theorien »ganz klar den archäologischen Zeugnissen« (22). Welchen Zeugnissen, muss man fragen, da laufend ihr Fehlen konstatiert wird. Eine Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur findet nicht statt. O. Keel warnt, »aus (vorläufig) ... fehlendem archäologischen Material weit reichende Schlüsse zu ziehen. Argumenta e silentio sind im Hinblick auf alte Geschichte generell dürftige Argumente« (Die Geschichte Jerusalems und die Entstehung des Monotheismus, Teil 1, Göttingen 2007, 75). Finkelstein/Silberman erweitern die fehlende archäologische Basis durch Behauptungen: »Da in Juda nichts auf eine weitverbreitete Lese- und Schreibkundigkeit vor dem 8. Jh. v. Chr. hindeutet, wurde die ›Geschichte von Davids Aufstieg‹ wahrscheinlich frühestens zweihundert Jahre nach David schriftlich fixiert« (37). Wenn aber bereits der Stadtfürst Abdi-Chepa von Jerusalem im 14. Jh. v. Chr. mit dem Pharao korrespondierte, wie die Amarna-Briefe ausweisen, ist dann nicht anzunehmen, dass David und die Jerusalemer Oberschicht im 10. Jh. v. Chr. ebenso des Schreibens kundig waren?
Wie findet man in der David-Aufstiegs-Geschichte, die aus dem 8. Jh. v. Chr. stammen soll, »erstaunlich präzise Erinnerungen an die Umstände, die im 10. Jahrhundert im Bergland von Juda herrschten – und damit zumindest Spuren authentischer Begebenheiten aus dem Leben des jungen David« (33)? In 1Sam 16,14 bis 2Sam 5 – den »Bandengeschichten« – erscheint David als Apiru, ein Bandenchef »entwurzelter Bauern und Hirten, die zu Banditen wurden oder sich als Söldner in den Dienst dessen stellten, der ihnen am meisten bot«, »treulose, gefährliche Halsabschneider« (43/44). Woher stammen diese »präzisen, recht zuverlässigen Erinnerungen« und die »authentischen Begebenheiten« (50), die zum Vergleich mit dem 400 Jahre älteren Material aus Amarna befähigen und David zum Apiru werden lassen? Weiter behaupten Finkelstein/Silberman, dass David Jerusalem nicht erobert haben kann, da es zwischen 1550–900 v. Chr. »keine wirkliche Stadt, ja keine einzige befestigte Siedlung« (39) im judäischen Bergland gab (vgl. 73). Außerdem habe es »im abgelegenen Bergdorf Jerusalem keinen Hinweis auf eine wohlorganisierte königliche Verwaltung von Schreibern und Hofsängern« (79) gegeben. Diese werde erst von den Omriden (884–842 v. Chr.) geschaffen. Die Siege und Kämpfe Davids seien eine Rückprojektion der Kämpfe der Omriden. Hier wird mit den Texten frei Hand umgegangen, und es fehlt für Legenden, Rückprojektionen und Übertragungen jegliche wissenschaftliche Begründung und ungeachtet der Gattungsforschung wird von »Heldenerzählungen«, »Geschichten für kalte Winterabende«, »Legenden«, »Epos« und »Mythos« gesprochen.
Der 2. Teil des Buches widmet sich der Entstehung der Salomo-Le­gende. Die großartigen Beschreibungen von Salomos Reichtum und königlicher Macht in 1Kön 3–10 »widersprechen in eklatanter Weise der historischen Wirklichkeit des kleinen, entlegenen Bergkönigreichs« (136 f.). Alles spiele sich in der assyrischen Zeit ab und Manasse (696–642 v. Chr.) erscheine im Bild Salomos. Ebenso gehört nach Finkelstein/Silberman die David-Goliath-Erzählung in das 7. Jh. v. Chr. »Sie symbolisierte die wachsenden Spannungen zwischen Juda unter König Josia und dem Ägypten der 16. Dynastie. ... Josia, der neue David, würde die griechischen Elitesoldaten der ägyptischen Armee besiegen.« (177) Das Deuteronomistische Ge­schichtswerk führe die älteren Überlieferungen zu einem neuen Epos zusammen, das im Dienst von Josias Kultzentralisation, Staatsideologie und Expansionspolitik stehe. Hier werden die Texte von Finkelstein/Silberman entgegen der Forschung nicht mehr angemessen untersucht, sondern unter einem ideologischen Netz eingefangen.
Im 3. Teil »Wie die Legende Geschichte machte« ziehen Finkelstein/Silberman die Linie bis in das 4. Jh. v. Chr. aus. David wird zur religiösen Lichtgestalt und zum Träger der Hoffnung auf nationale Erneuerung. Das letzte Kapitel erläutert die Traditionen von David und Salomo vom 2. Jh. v. Chr. bis ins 5. Jh. n. Chr. Wichtige Texte aus Qumran (11Q05 ) fehlen.
Positiver Schluss: »Wir bauen nicht auf messianische Visionen, die uns helfen könnten, unsere Alpträume zu bewältigen. Und ebenso wenig bauen wir auf das Gottesgnadentum zur Legitimierung unserer heutigen politischen Führungen. Doch auch wir brauchen historische Identität und Kontinuität und suchen nach Bestätigung dafür, dass gerechte Herrschaft möglich ist. Und hier liegt der Grund dafür, dass die Geschichte von David und Salomo bis heute nichts von ihrer Faszinationskraft eingebüßt hat.« (226) Es schließen sich ein Abschnitt mit sieben Exkursen, eine chronologische Übersicht (262–265) und ein Register (293–298) an. Ein Stellenregister fehlt.
Finkelstein/Silberman verstehen es, flüssig erzählend und anhand der David/Salomofiguren in großen Linien die Geschichte Israels zu skizzieren. Diese Art, mit beinahe leichter Hand Texte mit Archäologie und Geschichte in Verbindung zu bringen und Thesen ohne historische und archäologische Grundlage zu entfalten, nähert die Darstellung einem Roman an. Eine wissenschaftliche Auslegung der Texte mit den Methoden der alttestamentlichen oder der Literaturwissenschaft ist nicht angestrebt. Darüber hinaus stören Fehler den kritischen Leser: z. B. S. 209: »In einem Text mit der wissenschaftlichen Bezeichnung 4Q505 wird David als der von Ewigkeit erwählte Führer beschrieben ...«. Abgesehen davon, dass es sich um das Fragment 4Q504 Frag. 2 Kol. IV, 6–7 handelt, werden die wichtigsten und umfangreichsten Davidtexte 11Q05 Kol. XXVII, 2–11 (= David’s Compositions) und 11Q05 Kol. XXVIII, 3–12 (= Ps 151A) überhaupt nicht erwähnt.
An den Veröffentlichungen von McKenzie und Finkelstein/Silberman werden die Probleme besonders deutlich, die Historiker und Archäologen haben, wenn sie ein tragfähiges, wissenschaftlich fundiertes Bild entwerfen wollen und im Wesentlichen auf Texte angewiesen sind, die sie mit Methoden der alttestamentlichen Wissenschaft auslegen müssten. Archäologische Genauigkeit sollte mit literarischer und theologischer Exaktheit korrespondieren.