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Ausgabe:

Mai/2008

Spalte:

511–513

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Braulik, Georg

Titel/Untertitel:

Studien zu den Methoden der Deuteronomiumsexegese.

Verlag:

Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk 2006. 197 S. 8° = Stuttgarter Biblische Aufsatzbände, 42. Kart. EUR 45,00. ISBN 978-3-460-06421-8.

Rezensent:

Eckart Otto

Mit dem hier anzuzeigenden Nachdruckband legt der renommierte katholische Deuteronomiumsforscher Georg Braulik seine vierte Aufsatzsammlung zum Deuteronomium in der Reihe SBAB vor. Sie soll als Vor- und Begleitstudie zu einem Deuteronomiumskommentar dienen, die der Vf. zusammen mit Norbert Lohfink für die amerikanische Reihe Hermeneia vorbereitet. Der Titel des Bandes soll nicht eine Methodenerörterung für die Deuteronomiumsauslegung ankündigen, sondern Hinweis darauf sein, dass die in diesem Band zusammengestellten Studien, die allesamt schon in einschlägigen Zeitschriften und Festschriften zwischen 1978 und 2005 erschienen sind, sich einer Fülle exegetischer Methoden bedienen. Dennoch herrschen synchrone Fragestellungen gegenüber diachronen vor, und schon der erste Beitrag aus dem Jahre 1978 zeigt die Weichenstellung in Richtung auf eine synchrone, am Funktionieren des gegebenen Textes des Deuteronomiums orientierte Fragestellung, indem der Vf. sich zu Recht kritisch mit einer in der Forschung auch nicht rezipierten literarkritischen Zerspaltung von Dtn 4,1–40 durch S. Mittmann (BZAW 139, 1975) auseinandersetzt. Diesem Beitrag ist die kritische Diskussion des Vf.s der literarkritischen Zergliederung von Dtn 4 durch D. Knapp (GTA 35, 1987) an die Seite zu stellen, die der Vf. in SBAB 24 (1997) in seiner zweiten Nachdrucksammlung wiederveröffentlichte. Beiden Re­zensionsartikeln, die auf der Habilitationsschrift des Vf.s zu Dtn 4 basieren, in der er den nach wie vor gültigen Nachweis der literarischen Einheitlichkeit von Dtn 4,1–40 geführt hat, kommt gegenwärtig wieder besondere Aktualität zu, da die Kommentierung des Deuteronomiums durch L. Perlitt nach zwölf Jahren Pause gerade mit Dtn 4 wieder aufgenommen wurde, L. Perlitt darin zwar die Literarkritik durch T. Veijola als »befremdlich« zurückgewiesen, selbst aber sich der Lösung seines Schülers D. Knapp angenähert hat. In dieser Situation gewinnt der Beitrag des Vf.s aus dem Jahre 1978 wieder unmittelbare Aktualität. So begründet der Vf., warum er einen fast 30 Jahre alten Text jetzt nachdrucken lässt, damit, dass in dem jüngsten Kommentar von T. Veijola erneut literarkritische Hypothesen vertreten werden, die die Argumentation des Vf.s nicht berücksichtigt haben. Dem ist zuzustimmen. Es bleibt aber Aufgabe auch dann, wenn man wie der Vf. die literarische Einheitlichkeit von Dtn 4 erkennt, die Frage zu beantworten, wie das Kapitel in auch vom Vf. anerkannter diachron zu beschreibender Literaturgeschichte des Deuteronomiums, oder besser, da Dtn 4 bereits weit mehr als nur das Deuteronomium im Blick hat, des Pentateuch einzuordnen ist.
In der zweiten Studie verhandelt der Vf. Dtn 1–4 unter dem Gesichtspunkt der Sprechakttheorie. Wieder ist vor allem Dtn 4 im Blick. Ausgangspunkt ist eine Erhebung des Verbalgerüsts in Dtn 4,1–40. Gegenüber der verbreiteten Interpretation von Dtn 4,1–40 als Paränese zeigt der Vf. auf, dass die Paränese ein nur untergeordnetes Element ist, es aber vornehmlich hier um eine sprachliche Konstituierung einer Situation der Gesetzespromulgation in Dtn 5–28 geht. Von daher gewinnt Dtn 1–4, die erste Moserede im Deuteronomium, ihre Funktion.
Die folgenden Studien zu einer vormasoretischen Vortragspraxis des Deuteronomiums und den sieben Säulen der Weisheit im Buch Deuteronomium widmen sich der Stilanalyse der deuteronomischen Kunstprosa. Der erste Beitrag sucht Antworten auf die Frage, wie das Deuteronomium vor der Eintragung des masoretischen Notationssystems öffentlich vorgetragen wurde. Der im Deuteronomium imitierte assyrische Vertragsstil und die vermutlich schon unter Josia initiierte und später breit institutionalisierte Rezitationspraxis des Textes seien die Hauptursache dafür, dass die literarische Architektur des Deuteronomiums bis in den Bau einzelner Verse hinein rhetorisch geformt wurde, so dass der Vf. auf die Suche nach Sprecheinheiten im Deuteronomium geht. Als ein Schlüssel dienen dem Vf. die Textsegmentierungen durch Pausalformen, die eine alte, durch Sprecheinheiten strukturierte Rezitationspraxis plausibel machen, die vormasoretisch sei. Offen muss aber wohl bleiben, ob die Sprecheinheiten in »biblische Zeit« zurückreichen und nicht vielmehr Ausdruck einer postbiblisch-synagogalen Lesepraxis sind, die kaum in das 5.–3. Jh. v. Chr., aber sicherlich nicht in das 7. Jh. zurückprojiziert werden darf. Die Frage also, was das Deuteronomium primär in biblischer Zeit gewesen sei, ein Text elitärer Schriftgelehrsamkeit für kleine Zirkel oder ein Rezitationstext für das »Volk«, bedarf weiterer Diskussion. In dem zweiten Beitrag führt der Vf. Beispiele von Siebenergruppen im Deuteronomium vor, zusätzlich zu denen, die er bereits in SBAB 24,63–79 analysierte. Inzwischen ist die Siebenergliederung in der Deuteronomiumsforschung weithin anerkanntes Prinzip der Textstrukturierung, das manche literarkritische Zertrennung als vorschnell erkennen lässt, aber auch Redaktoren, die verschiedene Texte zusammenfügten, zur Verfügung stand.
Eine redaktionsgeschichtliche Fragestellung nimmt der Beitrag zu Weisung und Gebot im Enneateuch auf, der ausgehend von Ex 24,12 eine Anknüpfung in Jos 22,5 und 2Kön 17,34–37 in einer ennea­teuchischen Bearbeitung aufweist. Der Vf. räumt ein, dass sich auf der Basis von vier Belegen nicht ein enneateuchisches Geschichtswerk behaupten lässt. Doch werde der deuteronomischen Tora in einer Volksgeschichte vom Sinai bis zum Untergang Gesamtisraels eine rechtshermeneutisch entscheidende Rolle zugewiesen. Wie aber verhält sich diese Tora zur Sinaitora (Ex 24,12), die nicht die des Deuteronomiums ist? Hier wird die Diskussion weitergehen, sich aber gerade in der luziden Interpretation von Ex 24,12, einem Zentraltext der gesamten Sinaiperikope, auch an den Überlegungen des Vf.s orientieren. Mit der Studie über Monotheismus im Deuteronomium, in der sich der Vf. kritisch mit der Monographie von N. MacDonald (FAT II/1, 2003) auseinandersetzt, kehrt der Vf. auch zu Dtn 4 zurück und arbeitet als Kleinform eine Redeform »Faktum – Erkennen – Appell« heraus, die die intellektuelle Einsicht in die Einzigkeit Gottes als Ergebnis eines vernunftgemäßen Umgangs mit der tradierten Religionsgeschichte und der eigenen Gotteserfahrung zum Ziel hat. Der folgende Beitrag zu Geschichtserinnerung und Gotteserkenntnis führt zwei weitere Kleinformen vor, die diesem Ziel dienen sollen.
Aus der Reihe der Studien zum Deuteronomium, die sich vor allem der Aufschlüsselung des »Endtextes« des Deuteronomiums widmen, fällt der letzte Beitrag unter der Überschrift »Faszination und Unlust« zu Gerhard von Rads Verhältnis zum Deuteronomium heraus, in dem der Vf. von Rads Beitrag zur Deuteronomiumsforschung würdigt und der die Abkehr von Rads von einer literarkritischen Engführung der Deuteronomiumsanalyse und sein Be­mühen, »die Eigenart deuteronomischer Theologie aus der Liturgie des Festes zu begreifen« (195), hervorhebt. Das verbindet die hier erneut vorgelegten Studien des Vf.s mit von Rads Deuteronomiumsinterpretation. Wenn der Vf. diesen Band mit dem Beitrag zu von Rad abschließt, dann wohl auch, um seine eigenen Bemühungen um das endtextliche Deuteronomium, das von Rad noch für das literaturhistorische des 7. Jh.s hielt, in den Horizont von Radschen Erbes zu stellen. Die Studien zeigen aber auch einmal mehr, wie komplex die Forschung im Vergleich zu der der Zeit von Rads inzwischen auch dann, wenn sie nur versucht, den Endtext zu begreifen, geworden ist. Dass der Vf. uns, die Deuteronomiumsforscher im Speziellen, die theologische Öffentlichkeit im Allgemeinen, an seinen bahnbrechenden Forschungen mit diesem Band teilnehmen lässt, sei ihm gedankt.