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Ausgabe:

Mai/2008

Spalte:

505–507

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Knibb, Michael A. [Ed.]

Titel/Untertitel:

The Septuagint and Messianism.

Verlag:

Leuven: Leuven University Press; Leuven: Peeters 2006. XXXI, 560 S. gr.8° = Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium, 195. Kart. EUR 60,00. ISBN 978-90-5867-549-1 (University Press); 978-90-4291-733-0 (Peeters).

Rezensent:

Martin Meiser

Mit dem im Buchtitel angezeigten Thema griffen die Veranstalter des 53. Colloquium Biblicum Lovaniense eine traditionelle »Leuvener« Fragestellung auf (vgl. die einschlägigen Arbeiten von Joseph Coppens), doch ist die frühere Entdeckerfreude in der Mehrzahl der Beiträge dieses Tagungsbandes – m. E. zu Recht – einer größeren Vorsicht gewichen.
Michael Knibb definiert Messianismus mit Johan Lust als Er­wartung einer zukünftigen menschlichen und doch transzendenten Rettergestalt, die in einer eschatologischen Ära Gottes Herrschaft auf Erden etablieren will, und verortet ihn zeitlich wie geographisch ausschließlich im Mutterland Israel im ersten vor­christlichen Jahrhundert. Als Kriterien messianischer LXX-Lesarten gelten anderweitig eindeutig messianisch konnotierte Begriffe und Motive, doch erlauben erst ihre Anzahl und Kohärenz weiterreichende Schlüsse auf den Gesamtcharakter eines Septuagintabuches. Anneli Aejmelaeus warnt vor theologischen Überinterpretationen: Andere Erklärungsmöglichkeiten (andere Vorlage; andere sprachliche Verstehensmöglichkeiten; Übersetzungskonventionen) sind vorrangig zu bedenken. Albert Pietersma fordert die strikte Unterscheidung zwischen Textproduktion und Textrezeption mit jeweils eigener Methodik der Bearbeitung. Ps 28,6 LXX sei nicht messianisch zu verstehen; weder μονοκερώς noch ἠγα­πημένος seien messianische t. t.
Die folgenden Teile des Bandes sind den einzelnen biblischen Schriftengruppen gewidmet. Innerhalb der Beiträge zum Pentateuch ist das messianische Verständnis von Num 24,7.17 unstrittig. Bei William Horbury beruht das Plädoyer für eine messianische Lesart auch von Dtn 17,15 (ἄρχων spielt auf Gen 49,10 an); 18,15–22; Gen 49,8–12 auf der These, die Pentateuch-Septuaginta (sic!) habe Anteil an der in 2Chr 20,20 wie bei Demetrius und Jesus Sirach begegnenden Tendenz, die Thora, die Propheten und die Psalmen zusammen zu lesen. Anders John Collins: Messianismus sei in frühhellenistischer Zeit noch nicht belegt. Intertextuelle Anspielungen sowie der Verweis auf Dan 7; 4Q246 führen Martin Rösel zuder These, dass nicht erst spätere Ausleger, sondern bereits die Über­setzer Gen 49,9 f. und Num 22–24 messianisch verstanden ha­ben. Von den verschiedenen Fassungen der Nathanverheißungen seien, so Adrian Schenker, noch nicht die Vorlage für 2Sam LXX und die ihr zeitlich folgende für 1Chr 17 LXX, sondern erst (sic!) die jeweiligen masoretischen Textfassungen messianisch geprägt.
Die Differenzen zwischen Ps 19,5 MT und Ps 18,5 LXX sind nach Jean-Marie Auwers weder befriedigend durch die Hypothese zu erklären, der Übersetzer sei durch ägyptische Ikonographie beeinflusst, noch durch die Hypothese einer anderen LXX-Vorlage. Michaela Bauks und Eberhard Bons mahnen die Unterscheidung zwischen eschatologischer Erwartung und Messianismus ein; Erstere sieht Bauks in Ps 21,27 LXX, Letzteren Bons in Ps 22,4 LXX als Verstehensmöglichkeit gegeben. In Ps 71 LXX ist die Annäherung an messianische Konzeptionen deutlicher als in Ps 72 MT. Hans Ausloos (zu Ps 44,7 LXX) und Ariane Cordes (zu Ps 109,4 LXX) formulieren gleichlautend die Erkenntnis, dass die Polyvalenz biblischer Texte dazu führt, dass für einzelne später messianisch verstandene Stellen nicht sicher gesagt werden kann, ob dies auch die Intention der Übersetzer trifft.
Die Beobachtung einer zunehmenden Israelitisierung der ur­sprünglich internationalen Weisheitsliteratur lässt auch hier nach Einflüssen messianischen Denkens fragen. Heinz-Josef Fabry sieht Ansätze u. a. in Prov 8,22 LXX diff. MT (Präexistenz) und in Koh 12,11 LXX (der eine Hirte). Der Sinn der Apotheose Simons in Sir 50,1–21 sei die Festschreibung der in ihm personifizierten kosmischen Tempelordnung in die Zukunft. Die an sich unmessianische Weisheit enthalte einen entindividualisierten Messianismus in der Idealfigur des Gerechten (vgl. SapSal 5). Johannes Schnocks zufolge hat das Hiobbuch im hebräischen Text keine Erwartung auf eine Totenauferwe­ckung; Hi 14,13–17 LXX aber sei für eine solche Lektüre offen, wie sie dann in dem sekundären Anhang Hi 42,17a LXX erfolgt. Jeremy Corley will messianische Spuren in Sir 47,11.22; 50,6 f. durch intertextuelle Beziehungen u. a. zu 2Sam 7,1–17; Jes 11,1–10; Ps 88 (89) erschließen. In Sir 50,22–24 LXX sind messianische Züge getilgt auf Grund der Ermordung des Onias III. Der Titel bei Benjamin G. Wright (Escha­tology without a Messiah in the Wisdom of Ben Sira) trägt die These bereits in sich. Ben Sira vertritt wohl eine nationalistisch geprägte Eschatologie. Sein Enkel ändert in Sir 36,2–12; 47,1–11; 48,1–11; 50,22–24 LXX, trägt aber keine messianischen Züge ein, ebenso wenig in Sir 24,11 LXX: Der dort neu eingeführte Begriff διαθήκη ist Standard-übersetzung von קח und תירב und ist bei Sirach nicht messianisch konnotiert.
Für den Bereich der Prophetie bietet zunächst Olivier Munnich ein differenziertes Bild: Für manche Stellen, im Targum (Jes 4,2; 10,27; Dan 9,24–26) oder in rabbinischer Literatur (Jes 52,13; 61,10; 14,29) messianisch interpretiert, sei diese Deutung in der Septuaginta nicht nachweisbar. Auf messianisches Verständnis führt in Ez 34,25 LXX, dass der Bundesschluss speziell David gilt, in Jes 45,1 die Rede von »meinem« (statt »seinem«) Gesalbten, in Jes 11,1 f. die Übersetzung von רצנ mit ἄνθος: Dank dieses Bezuges zu Num 17,23 werden die Erwartungen eines königlichen und eines priesterlichen Messias kombiniert. Raja Sollamo findet weder in Jes 11,1–5 noch in Gen 49,8–12 messianische Intentionen. Die Einführung des Begriffes προ­σ-δοκία in Gen 49,10 sei keine bewusste Variation, sondern setze הוקת (Hoffnung) statt ההק (Gehorsam) voraus. Joachim Schaper ge­langt, früheren Ansätzen treu, zur These einer »messianischen In­ter­tex­tualität« im Jesajabuch durch den Verweis auf die systematisierende Übersetzung παιδίον (Jes 7,16 für רצנ, Jes 9,5 f. für דלי) und durch die These von Anspielungen in Jes 11,1 LXX auf Gen 49,9 LXX (ad vocem ἀναβήσεται); Num 24,17 (ad vocem ἀναστήσεται.) und in Jes 19,20 auf Num 24,17 (ad vocem ἄνθρωπος.) Die o. g. Einsicht in die Polyvalenz biblischer Texte vermittelt auch Pierre-Maurice Bogaert: Jer f. sei zunächst auf Zedekia, dann auf Josadak bezogen, schließlich pluralisch auf die Priester und Leviten umgedeutet worden. Johan Lust arbeitet die gelegentlichen Präferenzen der Ezechiel-Septuaginta für eine priesterliche (Ez 21,27), des Ezechiel-MT für eine königliche Messiasgestalt heraus (Ez 37,22.24 führt den Königstitel gegen­über LXX neu ein). Die Wiedervereinigung der Reiche Israel und Juda ist, wie die verschiedene Anordnung von Ez 37,15–28 im Vergleich zu Ez 38; 39 zeigt, in LXX als endgeschichtliches, in MT als innergeschichtliches Geschehen gedacht. Izak Spangenberg zufolge reflektiert Dan 9,24–27 LXX keine messianische Interpretation, sondern bezieht die Aussage auf die Zeit des Antiochus IV. Epiphanes. Für Am 4,13 LXX hingegen wird von Evangelia Dafni eine messianische Deutung vorgelegt, gestützt auf 2Makk 3,30 A, wo der Pantokrator-Titel mit χριστός verbunden ist. So habe Am 4,13 der altkirchlichen Ikonographie Impulse vermittelt.
Auch in christlicher Tradition wird die Polyvalenz biblischer Texte sichtbar. Maarten J. J. Menken untersucht die Plausibilität der messianischen Interpretationen in den sog. Erfüllungszitaten im Matthäusevangelium: Einige Texte, dort erstmals messianisch gedeutet, bergen diese Verstehensmöglichkeit tatsächlich in sich. Die Möglichkeit einer unmessianischen Interpretation von Ps 2 LXX erweist Stephan Witetschek am Beispiel der Johannesoffenbarung. Katrin Hauspie zeigt, dass an der messianischen Auslegungstradition von Ez 17,22 f.; 21,25–27; 34,23 f.; 37,22–25 auch Theodoret von Cyrus teilhat.
Der Band bestätigt die inzwischen verbreitete Erkenntnis, dass messianischer Glaube jüdischem Denken keineswegs unverzichtbar war. Im Übrigen kann man nur begrüßen, dass die gewachsene Einsicht in die Komplexität des Phänomens Septuaginta leitend ist. Der häufige Dissens zwischen den Beiträgern ist sachlich begründet in den allgemeinen Problemen der Septuagintaforschung, die dem Nichtspezialisten in Erinnerung zu bringen sind: Für welche Gruppen im Judentum sind die (verschiedenen!) Übersetzer repräsentativ? Wie ist das Verhältnis von Treue zur Vorlage und Aktualisierung jeweils zu beschreiben? Welche Kriterien sind stichhaltig für die Frage, welcher der verschiedenen antik-jüdischen Textfassungen die Priorität zukommt? Was an Divergenzen zwischen den Textzeugen ist dem Vorgang der Übersetzung zuzuschreiben, was der Vorlage (mir nicht einsichtig: 342)? Ist eine graphisch nahe hebräische Variante automatisch eine mechanische Verschreibung? Wie sind Subjektivismen in der Behauptung intertextueller Bezüge zu vermeiden (zu 278, vor allem 307!)? Weiter erschwerend wirken die Mehrdeutigkeit gewisser Phänomene sowie der Um­stand, dass frühjüdische Literatur zumeist undatiert und unlokalisiert begegnet. So gesehen kann in vielen Fällen nicht mehr gesagt werden, als hier geboten wird.