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Ausgabe:

Mai/2008

Spalte:

500–502

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bock, Wolfgang [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Islamischer Religionsunterricht? Rechts­fragen, Länderberichte, Hintergründe.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2006. X, 252 S. gr.8° = Religion und Aufklärung, 13. Kart. EUR 39,00. ISBN 978-3-16-149068-2.

Rezensent:

Johannes Lähnemann

In der Debatte um islamischen Religionsunterricht legt dieser Band den Schwerpunkt auf juristische Fragestellungen, auf die Entwicklungen in verschiedenen Bundesländern sowie auf Einzelthemen, die den gesellschaftlichen und pädagogischen Kontext beleuchten. Er geht zurück auf Arbeitstagungen der Gruppe »Kirchen­recht und Staatskirchenrecht« an der Evangelischen Studiengemeinschaft in Heidelberg, die sich 1999–2002 kontinuierlich diesem Thema gewidmet hat. Die Beiträge wurden im Blick auf neuere Entwicklungen aktualisiert. Sie münden in eine »Empfehlung zum islamischen Religionsunterricht« mit Rahmenmaßgaben für islamischen Religionsunterricht aus rechtlicher Perspektive.
Auch wenn in die Erörterungen die islamische Seite selbst nicht einbezogen ist, enthält der Band wesentliche Fixpunkte, die zur Klärung und Versachlichung der Diskussion beitragen können:
1) Das grundsätzliche Recht der Muslime auf islamischen Religionsunterricht nach Art. 7 Abs. 3 des Grundgesetzes ist unstrittig: ein konfessionsbezogener, inhaltlich von den Religionsgemeinschaften bestimmter, gleichwohl unter staatlicher Aufsicht stehender schulischer Unterricht.
2) Der Islam muss als Religionsgemeinschaft nicht in der gleichen Weise organisiert sein wie die christlichen Kirchen. Die muslimischen Verbände können gleichwohl bislang nicht beanspruchen, eine Gesamtvertretung der Muslime darzustellen. Staatliche oder islamische ausländische Instanzen können keine Mitwirkungsrechte beanspruchen.
3) Übergangslösungen sind zu befürworten mit dem Vorrang für solche, bei denen die Kultusverwaltungen konsultativ mit muslimischen Gruppen, einzelnen Personen und Experten zusam­menarbeiten. Ein rein von staatlicher Seite aus organisierter islamkundlicher Unterricht ist letztlich nicht verfassungsgemäß.
4) Die Entwicklung von Studiengängen für Islamische Religionslehre an Universitäten in Deutschland ist eine Schlüsselaufgabe für Fortschritte.
Die drei ersten Beiträge bieten juristische Vorklärungen: Wolfgang Bock trifft eine klare Unterscheidung zwischen Islamischem Religionsunterricht und Religionskunde und begründet den eindeutigen Verfassungsvorrang des Ersteren. Stefan Korioth stellt das komplexe Beziehungsgefüge zwischen Staat und Religionsgemeinschaft im Blick auf den Islam dar und zeigt auf, dass zum staatlichen Aufsichtsrecht über den Religionsunterricht auch die in­haltliche Prüfung seiner Grundrechtskonformität gehört. Mathias Rohe entwirft ein differenziertes Bild von den Rahmenbedingungen der Anwendung islamischer Normen in Deutschland und Europa. Er zeigt, wie ein Islam in Europa an große Flexibilitätstraditionen besonders im frühen Islam anknüpfen kann. Freilich weist er auch darauf hin, dass bestimmte Interpretationen der Scharia Aspekte enthalten, die im Konflikt mit der deutschen Rechtsordnung stehen. Prüfsteine hierfür sind die koranischen Strafen, die volle Gleichberechtigung der Frau und die Freiheit zu Religionswechsel und Religionslosigkeit. Er fordert: »Unter den Musliminnen und Muslimen in Deutschland muss die Auseinandersetzung geführt werden, ob diese Aspekte lediglich gegen­über der deutschen Rechtsordnung zurückzustellen sind oder ob die Scharia ... weiterzuentwickeln ist. Gefordert ist die Ausarbeitung von Ergebnissen, die sich in den verfassungsrechtlichen Rahmen Deutschlands einfügen.« (73)
Der zweite Teil des Bandes bietet ein aufschlussreiches Bild der Entwicklung in verschiedenen Bundesländern. Mit Barbara Lich­tenthäler für Baden-Württemberg, Ulrich Seiser und Dieter Schütz für Bayern, Franz Köller für Hessen, Rolf Bade für Niedersachsen und Ulrich Pfaff für Nordrhein-Westfalen ergreifen hier jeweils die zuständigen Ministerialbeamten das Wort. Einen Sonderfall stellt das Land Berlin dar, dessen spezifische Problematik von Wolfgang Bock erörtert wird. Abgesehen von diesem Sonderfall, wo die Ausgestaltung des Religionsunterrichts ganz den Religionsgemeinschaften überlassen bleibt, gibt es inzwischen für den islamischen Religionsunterricht einen weitgehenden Konsens hinsichtlich der Zielvorstellung:
Er soll gemäß Grundgesetz Art. 7 Abs. 3 in deutscher Sprache, nach hier entwickelten Lehrplänen, von islamischen Lehrkräften mit deutscher akademischer Ausbildung und in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaft erteilt werden. Modellversuche hierzu gibt es in Bayern, Niedersachsen und neuerdings in Baden-Württemberg, wo jeweils mit lokalen bzw. regionalen Formen einer »Islamischen Religionsgemeinschaft« (das »Erlanger Modell«) bzw. eines Beratungsgremiums (»Runder Tisch« in Niedersachsen) kooperiert wird. In Nordrhein-Westfalen wird seit Langem ein fachlich und didaktisch weit entwickelter religionskundlicher Unterricht erteilt, der aber auch dort (wie in den erstgenannten Ländern, die ebenfalls einen religionskundlichen Unterricht – teils in Türkisch, anfangsweise in Deutsch – an­bieten) eigentlich nur eine Übergangslösung sein kann. Welche Problematiken es mit der Repräsentanz der islamischen Seite noch geben kann, macht sowohl der Artikel von Wolfgang Bock für Berlin deutlich als auch die Darstellung der rechtlichen Probleme im Blick auf Hessen, wo der dort gegründeten Islamischen Religionsgemeinschaft nicht nur aus Repräsentationsgründen, sondern auch wegen ihrer inhaltlichen Ausrichtung die Anerkennung als Kooperationspartner bestritten wurde.
Im dritten Teil des Bandes sind unter dem Obertitel »Hintergründe« vier Artikel zu verschiedenen Einzelfragen versammelt, die das komplexe Kontextfeld islamischen Religionsunterrichts beleuchten: Thomas Lemmen geht auf die muslimischen Spitzenverbände in Deutschland ein und zeigt die Entwicklungs- und Wandlungsprozesse der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB), des Islamrats, des Zentralrats, der Aleviten und der Zusammenschlüsse auf Landesebene auf, wobei die neueste Entwicklung einen weitgehenden Konsens und beginnende Zusam­menarbeit der Verbände hinsichtlich islamischen Religionsunterrichts erkennen lässt, mit der Besonderheit, dass die Aleviten wegen ihrer Andersartigkeit auf einen eigenen Religionsunterricht zugehen.
Herbert L. Müller entwirft als Verfassungsschutzexperte ein kritisches Bild von aktuellen Tendenzen im Beziehungsfeld von Islamismus und Terrorismus und macht die Notwendigkeit deutlich, die Relation von beteuerter Verfassungskonformität und problematischen ideologischen Vorstellungen der Prüfung zu unterziehen. Richard Hocker analysiert als Soziologe zwei unterschiedliche Biographien junger muslimischer Migranten, bei denen Mechanismen, die zur Emanzipation von religiösem Traditionalismus führen können, und solche, die in eine religiös-ethnische Alternativwelt münden, aufgezeigt werden. Peter Müller schließlich zeigt in seinen »Religionspädagogischen Prolegomena für die Entwick­lung eines Curriculums Islamischer Religionsunterricht« Perspektiven auf, wie dieser auch von islamischen Bildungstraditionen her einen produktiven Beitrag zu einer kooperativ gestalteten Fächergruppe Religion/Ethik leisten könnte.
Insgesamt bietet der Band eine perspektivenreiche Zusammenstellung von Analysen, Erfahrungen und Aufgabenstellungen für die Entwicklung eines verfassungsgemäßen islamischen Religionsunterrichts.