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Ausgabe:

Mai/2008

Spalte:

498–500

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bärsch, Claus-E., Berghoff, Peter, u. Reinhard Sonnenschmidt [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

»Wer Religion verkennt, erkennt Politik nicht«. Perspektiven der Religionspolitologie.

Verlag:

Würzburg: Königshausen & Neumann 2005. 280 S. gr.8°. Kart. EUR 29,80. ISBN 3-8260-2843-0.

Rezensent:

Linus Hauser

Politische Theologie (J. B. Metz) ist einst angetreten, das Politische in den religiösen und theologischen Diskurs einzuführen. Dabei blieb es allerdings bei einem rhetorischen Postulat. Längst überfällig ist das hier zu besprechende und konkrete religionspolitische Themen angehende Buch und darin der einleitende Artikel von Claus-E. Bärsch über »Zweck und Inhalte der Religionspolitologie«. Als Gegenstand der Religionspolitologie wird von Bärsch das Verhältnis von Politik und Religion »wie es ist und wie es sein soll« bestimmt (10). Relativ auf die Völker des Abendlandes wird der Gegenstand der Religion – auch im Blick auf die Umgangssprache (17) – vom »Glauben« (15 f.) her bestimmt. Dabei geht es um keine wertende Perspektive auf den Glauben. Eigene weltanschauliche Voraussetzungen spielen in der religionspolitologischen Blickrichtung keine Rolle. Der Glaube wird religionspolitisch relevant etwa über das Interesse an einem Sinnzusammenhang, in dem alle Menschen leben wollen. Der Sinnbegriff wird unter Rückgriff auf Martin Heidegger, Nicolai Hartmann, Theodor W. Adorno und Niklas Luhmann eingeführt. Sodann differenziert Bärsch seinen Ansatz unter diesem Maßstab von vier Ebenen aus. Politisch relevant wird Sinn auf der Ebene der grundlegenden Frage nach dem Woher und Wohin des Menschen, nach der Qualität seines Erkennens, den rechten Lebensordnungen und dem guten und glücklichen Leben. In der Folge gliedert sich der Sammelband in drei Hauptabschnitte. Es geht um »Mensch und Bewusstsein«, »Gesellschaft und Sinn« und um »Geschichte und Freiheit«. Ich kann hier nur einige der insgesamt lesenswerten Beiträge skizzieren.
Peter Krumpholz beschäftigt sich mit der »Verkörperung der Götter und Vergottung des Körpers«. Er arbeitet heraus, dass aus dem christlichen Motiv einer Menschwerdung Gottes unter den Bedingungen der Moderne ein Weg eröffnet wird, den Körper immer mehr zu perfektionieren und in einer Art Autotheosis auf das Ziel einer kosmischen Ewigkeit hin zu gestalten. Tod erscheint dann auf einem neuen Niveau als das »größte Übel« (75). Wenn »Psychologie als Religionsersatz« (78) verwandt wird, dann können sich – so Andreas Dordel – unter den Bedingungen eines Wissenschaftsglaubens neue Paradigmen in Psychologie und Psychotherapie ergeben, die sich von dem »Realitätsprinzip« (79) des angezielten gesellschaftlich lebbaren Lebens verabschieden und im Ausgang von C. G. Jung ihr Ziel in einem entwickelten Selbst finden, »dem explizit oder implizit numinos-göttliche Attribute zugeschrieben werden« (80). Danach stellt Dordel Konzepte derartiger »psychomythischer Sinndeutungen psychologischer Erlösungskonzeptionen« (91) dar. Über das »Versprechen des magischen Be­wusstseins: esoterische Selbst- und Weltdeutungen in der Moderne« schreibt Andrea Ullrich. Im Individualisierungsprozess der Moderne verflüchtigt sich für viele zunächst der behütende Gott und dann das Vertrauen in die Gesellschaft. In diesem Prozess er­wacht verstärkt die Sehnsucht nach dem Numinosen und Mirakulösen. In der zweiten Hälfte des 19. Jh.s entwickelt sich mit der Systemesoterik eine Strömung, die die Basis für die heutigen esoterischen Bewegungen bildet. Ullrich stellt nun dar, wie (mit Norbert Bolz gesprochen) »Individualisierung selbst zur Religion« (99) wird. Auf der Basis einer Trennung von Natur und Geist, Körper und Seele, Empirischem und Spirituellem ergibt sich die Freistellung eines dritten Prinzips, nämlich der Psyche, in der sich eine wahre, vom Diesseits nicht beeinflusste Seinsqualität des Menschen zeigt (104). Das »begehrte Absolute, das inwendig im Menschen verortet wird … symbolisiert Spannungslosigkeit in der psychischen Gestimmtheit« (104). Mit dieser Absolutheit des Selbst verbinden sich Kosmos und Individualität und jede Entwicklung des Individuums hat eine kosmische Bedeutung. Zugleich kann es– und hier beginnt die politische Dimension dieser Argumentation deutlich zu werden – zu einer Gottwerdung des Menschen führen. Wo aber das Gott-sein nicht ganz gelingt, kann es zum Hass auf den Mitmenschen kommen, der sich der »Durchsetzung homogenitätsstiftender Glaubensgewißheiten« (115) entgegenstellt.
Auf die Aktualität einer alten religionsgeschichtlichen Denkform, die in der Antike die einzige große Alternative zum (orthodoxen) christlichen Denken darstellte, macht Reinhard W. Sonnenschmidt aufmerksam. Es ist die Gnosis, mit deren Aktualität er sich beschäftigt. Bündig stellt er den Unterschied zwischen Gnosis und Christentum dar und skizziert präzise und übersichtlich die gnos­tisch-mythische Erlösungslehre. Die moderne Ausformung der Gnosis (Sonnenschmidt erwähnt hier viele Namen moderner Denker und geistiger Strömungen) hat drei Ausgangspunkte. Es geht um die »Überwindung der Entfremdung des Menschen«, die »Auflösung des Gegensatzes von Geist und Materie« und um die »Erlösung des Menschen durch die Schöpfung einer neuen Welt« (243 f.). Am Beispiel von Ernst Bloch führt Sonnenschmidt seine These über­zeugend und gegen gängige interpretatorische Trampelpfade aus.
Fazit: Das religionspolitische Programm Bärschs richtet sich gegen politologische Trampelpfade, die die Ideen- und Geistesgeschichte immer weniger erschließen, und gegen theologische Dünkel, die das politische Element des Glaubens durch Rhetorik verklären. Hoffentlich findet dieser Sammelband eine breite Leserschaft.