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Ausgabe:

Mai/2008

Spalte:

496–498

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Angenendt, Arnold

Titel/Untertitel:

Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2007. 797 S. gr.8°. Geb. EUR 24,80. ISBN 978-3-402-00215-5.

Rezensent:

Ekkehard Mühlenberg

»… ein Buch über Toleranz und Gewalt …, näherhin über die sogenannten Todsünden des Christentums« (5) fordert zu genauer Lektüre heraus. Der römisch-katholische Kirchenhistoriker will die historischen Argumente gegen die gesellschafts- und staatspolitische Relevanz der christlichen Religion widerlegen. Er bietet auf 75 Seiten ein Literaturverzeichnis mit ca. 1500 Titeln; er belegt seine historische Darstellung ausführlichst mit Anmerkungen (593–710) und führt weniger die Quellen als häufiger in journalistischer Manier die Ergebnisse und Urteile namhafter Wissenschaftler an. Gegenüber Verleumdungen, die historische Ergebnisse ignorieren, ist diese Form der Apologetik angemessen; mit einem längeren Zitat aus »Mozart und Ich« (2006) von Maarten t’Haart über die römisch-katholische Kirche (»Die Ecclesia militans ist die älteste und größte Verbrecherorganisation der Welt«, heißt es dort wegen Inquisition, Hexenverbrennungen und Antisemitismus) beginnt der Prolog (13). Als Kontrast wird der neuere Jürgen Habermas angeführt, der eine »rettende Übersetzung« der jüdisch-christlichen Religionsgehalte forderte, »um ›die säkulare Gesellschaft … nicht von wichtigen Ressourcen der Sinnstiftung ab[zu]schneiden‹« (15). Daraus ergibt sich die übergroße Doppelaufgabe, sowohl die Kräfte, die heutige Vorstellungen vom Wert der Freiheit tragen, zu benennen als auch die inkriminierten Geschichtsphänomene des Christentums nach dem heutigen Stand der Forschung darzustellen. Die Integration sei möglich, so insinuiert es A., weil die die Toleranz einschließende Freiheit unserer Zeit nur als eine ge­schichtliche Entwicklung dargestellt werden könne. »Wie erst auf diese Weise die schwierige Genese deutlich wird, so mehr noch die allzeit drohende Gefährdung« (83). Man wird folgern müssen, dass bei Nachweis der christlich-religiösen Wurzeln des Toleranz- und Freiheitsgedankens die aufklärerische und autonome Vernunft nicht fähig sei, diesen aufrechtzuerhalten.
In fünf Hauptteilen absolviert A. seine Aufgabe. Den verbindenden Rahmen gibt eine Kulturanthropologie. In einigen Teilen ist der Islam vergleichend einbezogen.
Der erste Teil »Toleranz und Gewalt als menschliche Erstaufgabe« ist, wie es heißt, »die lange Geschichte von Toleranz und Ge­walt«. Ausgegangen wird von der kulturanthropologischen These, dass Menschen eine Gewalthemmung nicht angeboren sei, sondern der Tötungstrieb erst durch Kulturregeln zurückgedrängt werden müsse. Der geschichtliche Weg sei über die Clan- und Na­tionorganisation hin zur Menschheitsidee; dem entspreche die Überschreitung der theopolitischen Ordnung zur Individualethik. Der moderne säkulare Staat, seit der Französischen Revolution ge­schaffen, schütze durch sein Gewaltmonopol die Freiheit jedes einzelnen Menschen. Aus der nachreformatorischen Konfessionalisierung wird abgelesen, dass die Religion an der Entstehung des modernen Staates beteiligt sei. Für die Gegenwart werde die christliche Religion benötigt, weil die im modernen säkularen Rechtsstaat notwendigen Pflichten der Bürger wie Verantwortung und Opfer in der Religion ihre Heimat haben, ebenso das Gewissen.
Der zweite Teil »Gottesrechte und Menschenrechte« ruht auf der These von Jan Assmann, dass der Monotheismus nicht per se intolerant sei, sondern die Innerlichkeit des Menschen freigesetzt habe. Dem zugeordnet sind die Ausführungen über die biblische Gottesebenbildlichkeit, über die Einführung des Naturrechts durch Thomas von Aquin, über die humanisierte Sexualität in der (vorgeblich) christlichen Konsensehe (so beseitigt A. die Sexualfeindlichkeit) sowie über die universale Gleichheit der Menschen im Christentum gegen Blutsbande und Sklaverei. Als Irrwege werden die augustinische und reformatorische Erbsündenlehre getadelt wie auch insbesondere der lutherische »Kniefall vor dem Adel«.
Der dritte Teil »Religionstoleranz und Religionsgewalt« befasst sich mit problematischen Phänomenen im Christentum. Besprochen wird die Häretikerunterdrückung, die zwar in der Scholastik Person und Lehre getrennt habe, aber dem »weltlichen Arm« die Tötung entgegen dem Gleichnis vom Weizen/Unkraut überließ. Dabei habe sich die allgemeine Vorstellung vom Sakralfrevel verheerend ausgewirkt. Die Inquisition wird differenziert dargestellt: mit erheblich reduzierten Zahlen, nach neueren Forschungen belegt, und mit Verweis auf die juristische Neuerung der Römischen Inquisition. Für die Hexereiverbrennungen wird auf die Prozessführung durch weltliche Gerichte verwiesen, ebenso werden reduzierte Zahlen belegt; der Einspruch des Jesuiten Friedrich Spee wird hervorgehoben. Schließlich wird unter der Überschrift »Offenbarung im Widerstreit« die Täuferverfolgung in den Kirchen der Reformation angeprangert, aber auch die Forderung erhoben, dass das unfehlbare Papstamt wegen seiner Jurisdiktionsgewalt die Bitte um Vergebung für eigene Verfehlungen schulde.
Der vierte Teil »Heiliger Krieg und Heiliger Frieden« befasst sich mit Gewaltmission und den Kreuzzügen. Ausgegangen wird von Augustin, der den gerechten Krieg ins Christentum einließ. Ge­waltmission wird als Fehlverhalten verurteilt, ebenso die Kreuzzüge. Bernhard von Clairvaux sei »ein erschreckender … Text« (404). »Die Kreuzzüge wurden als heiliger Krieg geführt, der aber im Christentum nicht zu rechtfertigen war. Gleichwohl hießen die Päpste die Kreuzzüge gut, initiierten sie sogar. Insofern hat sich die Religion des Friedens hier kirchenoffiziell eine schwere Hypothek aufgeladen« (435). So müsse die Gesinnungsethik urteilen, während Verantwortungsethik den »welthistorischen Effekt« vom faktischen Ergebnis her gutheiße (405). Ähnlich wird die spanische Amerikaeroberung bilanziert: unsägliche Schuld, aber gleichfalls Anlass zu Debatten über Völkerrecht.
Der fünfte Teil »Christen und Juden« ist eine nüchterne und zugleich bestürzende Darstellung der Geschichte der Behandlung der Juden durch Christen. Die Geschlossenheit dieses Teils wird nicht beeinträchtigt durch den Abschnitt über »Das ›Schweigen‹ Pius’ XII.« (563–569): »Daß Pius XII. geschwiegen hat, war falsch, wie wir heute wissen und beklagen« (569).
Natürlich unterlaufen einer Darstellung dieses Themenumfangs Fehler und manche Fehleinschätzungen (u. a. über Luther). Für einen evangelischen Leser ist die Lektüre nützlich, insofern aus römisch-katholischer Sicht das Mittelalter vorbehaltlos in die christliche Geschichte einbezogen ist. Ein alternativer Gesamtzugang zu dem Vorwurf, die christliche Religion sei nicht nur belanglos, sondern für die Humanisierung der Menschheit schädlich, müsste die Schwächen A.s ersetzen, z. B. die kulturanthropologischen Kategorien von Primär- und Sekundärstatus in Kultur, Gesellschaft und Religion (vgl. 21), in denen unzureichend der christliche Begriff ›Sünde‹ übersetzt ist (vgl. 32) und Erbsünde als das Scheitern an der Vollkommenheit bei guter Absicht erklärt wird (115–120); die Vorstellungen von Gottebenbildlichkeit/Würde des Menschen und Menschenrechte aus Schlagwörtern in reflektierte Form erheben; die Suggestion der unmittelbaren gesellschaftspolitischen Relevanz des christlichen Glaubens zurücknehmen; der Herkunft von Recht nachspüren; die blinden Flecken von J. Habermas durchleuchten. Das Titelbild ist eine arge Provokation, insofern das Schwert aus der Bibel zu erwachsen scheint (wie auch im kulturanthropologischen Rahmen Gewalt von Nöten ist), während es in der Bonifatiusgeschichte in die Bibel eingehauen wurde.