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Ausgabe:

Mai/2008

Spalte:

491–493

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Becker, Uwe, u. Jürgen van Oorschot [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Das Alte Testament – ein Geschichtsbuch?! Geschichtsschreibung oder Geschichtsüberlieferung im antiken Israel.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2005. 240 S. m. Abb. gr.8° = Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte, 17. Geb. EUR 48,00. ISBN 978-3-374-02288-5.

Rezensent:

Thomas Pola

Dieser Sammelband ist Joachim Conrad (Jena) zu dessen 70. Ge­burtstag gewidmet. In seiner Schaffenszeit seit ca. 1965 ist es zu großen Veränderungen innerhalb der kontinentalen Forschung gekommen: Auf sicherem geschichtlichen Boden weiß sich die Forschung gegenwärtig erst ab der späten Königszeit. Die Literargeschichte des Alten Testaments setzt gegenwärtiger Mehrheitsmeinung zufolge erst mit der spätneuassyrischen Zeit ein und reicht bis in die römische Zeit, soweit nicht die Septuagintavarianten, Fragmente aus der judäischen Wüste, neutestamentliche und altkirchliche Zitate noch spätere Datierungen erschweren. – Der Band enthält die folgenden Einzelbeiträge:
O. Kaiser, »Von den Grenzen des Menschen. Theologische Aspekte in Herodots Historiai I« (9–36): Herodot zufolge hat sich der Mensch vor jeder Form von Hybris gegenüber den Göttern zu hü­ten. Da sich im Alten Testament dagegen der deus revelatus bezeugt findet, vermag sich der Mensch im antiken Israel und Juda angesichts der scheinbaren Willkür im Weltgeschehen vertrauend in Gott zu bergen.
J. van Oorschot, »Geschichte, Redaktion und Identität – Überlegungen an­hand deuterojesajanischer Prophetien« (37–57): In Jes 43,8–13 stellt sich insbesondere die Frage nach dem Verhältnis von individueller und kollektiver Identität. Die Verfasserkreise der dtjes Grundschrift vermitteln in Form schriftlicher Kommunikation, dass es für sie Identitätsgewinn nur als Gotteserkenntnis geben kann. Da Gottes- und Welterfahrung im Gegensatz zum Alten Orient und zum vorexilischen Juda nicht mehr einander entsprechen, bricht hier ein neues Gottes- und Wirklichkeitsverständnis auf. – Ist dieses nicht schon für das achte Jh. nachweisbar?
K. Seybold, »Krise der Geschichte. Geschichtstheologische Aspekte im Moselied Dt 32« (59–80): In V. 1–25 findet sich auf der Grundlage einer vorexilischen Vorlage ein mit den Asaph-Psalmen verwandter exilischer Grundtext. Das hier zu Tage tretende Geschichtsbild steht den Rückblicken Hos 11, Jer 2 und Ez 16 mit ihrem Sohnesbild nahe.
U. Becker, »Das Exodus-Credo. Historischer Haftpunkt und Geschichte einer alttestamentlichen Glaubensformel« (81–100): Wie konnten Auszug und Meerwunder ohne entsprechenden historischen Hintergrund aus der Bronzezeit überhaupt zum »Urdatum« der Geschichte werden? Antwort: Die Exodustradition prägte vorexilisch das Nationalbewusstsein des Nordreiches und gelangte erst nach 722 in das Südreich. Judäisch ist dagegen das in die Königszeit zu datierende Mirjamlied als ältestes Zeugnis für das Meerwunder. So fungierte die Addition dieser beiden Traditionen als exilisch-nachexilisches identitätsstiftendes Bekenntnis.
A. A. Fischer, »Die literarische Entstehung des Großreichs Davids und ihr geschichtlicher Hintergrund. Zur Darstellung der Kriegs-Chronik in 2Sam 8,1–14(15)«: (101–128): Der Grundtext von 1Sam 8,2–10 wurde nach dem literarischen Modell neuassyrischer Kommemorativinschriften formuliert als der antiassyrische Entwurf einer fiktiven Großreichszeit.
E.-J. Waschke, »Die Königsvorstellung nach den ›letzten Worten Davids‹« (2Sam 23,1–7) (129–144): Nach dem Scheitern der sog. Restauration in der frühnachexilischen Zeit wurde im behandelten Text doch noch an restaurativen Idealen festgehalten.
R. Lux, »Der Zweite Tempel von Jerusalem – ein persisches oder prophetisches Projekt?« (145–172): Esr 1–6 entbehren eines historischen Hintergrunds. Der Tempelbau lässt sich vielmehr als Rezeption allgemeiner orientalischer Tempelbautheologie verstehen, nämlich »Tempelbau als Initiative der Götter, die Verpflichtung des Königs zur Ausführung der göttlichen Initiative und die Kontinuität der Ortslage« (151). Dies wird durch eine Verfeinerung der aus dem 19. Jh. bekannten Spekulationen um das angebliche Verschwinden Serubbabels ergänzt, die auf der Annahme einer zweifachen Bearbeitung der den Tempel thematisierenden Stellen Sach 1,16; 7,2 f.; 8,3 durch 4,6–10a* (vielleicht noch durch Sacharja selbst) und zu Gunsten der Gestalt Josuas durch Sach 3; 6,9–15 und 8,9 ff. fußt.
D. Mathias, »Der König auf dem Thron JHWHs. Überlegungen zur chronis­tischen Geschichtsdarstellung« (173–202): Die mlkwt Jahwes wird gegenüber dem Herrschaftsverständnis der frühen Diadochen betont.
Susanne Böhm, »Gerhard von Rad in Jena« (203–240) hält von Rads Zeit in Jena (1934–1944/45) für die entscheidende Phase seines Werdens.

Dass die Falsifikation der Historizität der Frühgeschichte und die Spätdatierung der Texte die Forschung vor neue Probleme stellten, thematisiert besonders der Beitrag von U. Becker. Eine inhaltliche Brücke zur Gestalt Gerhard von Rads baut in diesem Band jedoch nur Susanne Böhm. Wenngleich von Rad seine eigene Hermeneutik im Laufe seiner Wirksamkeit modifiziert und er ab der vierten Auflage (1965) seiner »Theologie« deren zweitem Band einen eher skeptischen Epilog angefügt hat, so bezeugen die hier zu Worte kommenden Vertreter der Forschung (sieht man von Kaiser, Lux, Seebaß, Mathias und Böhm ab) in der Wende vom 20. zum 21. Jh., das »Kind mit dem Bade ausgeschüttet zu haben«. Warum wird dann in diesem Sammelband überhaupt noch auf von Rad Bezug genommen?
Darüber hinaus hätte sich der Rezensent, wenn schon dieser Band Joachim Conrad gewidmet ist, insgesamt einen Bezug zum Wirken des Jubilars gewünscht, der über die Tatsache der ihn mit von Rad verbindenden Wirkungsstätte »Jena« hinausgeht. Eine Bibliographie von J. Conrad z. B. hätte den Band sichtbar bereichert.