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Ausgabe:

November/1997

Spalte:

1050 f

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Hausberger, Karl

Titel/Untertitel:

Thaddäus Engert (1875-1945). Leben und Streben eines deutschen "Modernisten".

Verlag:

Regensburg: Pustet 1996. XI, 291 S. m. 3 Taf. gr.8° = Quellen und Studien zur neueren Theologiegeschichte, 1. Kart. DM 78,­. ISBN 3-7917-1534-8.

Rezensent:

Hubert Wolf

Nach Jahren der Stagnation scheint in die Erforschung des deutschen "Modernismus" Bewegung zu kommen. Die großen einschlägigen Arbeiten von Thomas Michael Loome, Norbert Trippen und Erika Weinzierl, um nur die wichtigsten zu nennen, liegen schließlich schon über zwei Jahrzehnte zurück. Neben dem monumentalen Opus von Otto Weiß, Der Modernismus in Deutschland. Ein Beitrag zur Theologiegeschichte, Regensburg 1995, sind hier insbesondere die Bemühungen der Schüler des Münchner Kirchenhistorikers Georg Schwaiger zu nennen. So hat sich Manfred Weitlauff, Schwaigers Nachfolger auf dem Münchner Lehrstuhl für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte, nicht nur um Leben und Werk Joseph Bernharts verdient gemacht (vergleiche die mustergültige Edition der Lebenserinnerungen und Tagebücher), sondern auch den entscheidenden Beitrag zum sogenannten Modernismus litterarius (über Karl Muth und die Zeitschrift Hochland) verfaßt. Karl Hausberger, Inhaber des Lehrstuhls für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Regensburg, hat sich mit mehreren, vorwiegend biographisch orientierten Arbeiten, in die Diskussion um den deutschen Modernismus eingeschaltet (so unter anderem über Joseph Wittig und Enrica Handel-Mazzetti).

H.s eigentliche Liebe aber gehört dem Würzburger Theologen Hermann Schell, an dessen Biographie er schon seit längerem arbeitet und auf deren Erscheinen man gespannt sein darf. Die vorliegende Biographie Thaddäus Engerts ist daher zugleich auch eine Fingerübung für die große Schell-Biographie. Der Lebensweg Engerts, den H. mit großer Einfühlsamkeit und Sympathie nachzeichnet, ist für die Biographie eines deutschen Modernisten typisch und atypisch zugleich.

Der am 10. August 1875 in Ochsenfurt am Main geborene Thaddäus Engert konnte im Juli 1895 am neuen humanistischen Gymnasium in Würzburg sein Abitur ablegen. In den folgenden vier Jahren studierte er an der Würzburger Universität als Alumnus des dortigen Priesterseminars Philosophie und Theologie. Am 30. Juli 1899 empfing er die Priesterweihe. Neben Einsätzen in der praktischen Seelsorge konnte er sich durch Studien an den Universitäten München und Berlin fachwissenschaftlich weiter qualifizieren. Am 5. Januar 1901 wurde er an der Universität Würzburg zum Doktor der Theologie promoviert.

Typisch für eine "Modernisten"-Biographie im katholischen Deutschland dieser Tage war der Konflikt, in den er als historisch-kritisch arbeitender Exeget mit dem kirchlichen Lehramt kam. In seiner Untersuchung "Die Urzeit der Bibel" kam er zu dem Ergebnis, daß die monotheistische Gottesvorstellung des Volkes Israel sich nur als Ergebnis eines langen Entwicklungsprozesses verstehen lasse. Für das Alte Testament zog er daraus den Schluß, daß die Bibel "ein Buch von Menschen für Menschen mit Menschenverstand geschrieben" sei. Diese Ergebnisse übertrug Engert in den folgenden Jahren auch auf das Neue Testament: "Die Evangelien sind nicht geschichtliche Berichte, sondern die Antwort der Gläubigen auf das schwellende und entstellende Echo aus den wirklichen Äußerungen des Gottessohnes". Thaddäus Engert war einer der zahlreichen jungen katholischen Theologen, die moderne Wissenschaft und Glauben miteinander zu verbinden suchten. Diese Synthese wurde ihnen, zumindest im Raum der katholischen Kirche, unmöglich gemacht. Nach üblicher Manier wurde ein Widerruf der vertretenen Position verlangt. Zahlreiche katholische Theologen dieser Jahre unterwarfen sich der bischöflichen oder römischen Zensur, um in der Kirche bleiben zu können. Denn typisch für die Mehrzahl der deutschen katholischen Modernisten war gerade nicht der Weg in den Protestantismus, den sie als Religion der Vereinzelung sahen, war doch Alfred Loisy, der Vater der Modernisten, in seinem berühmten Buch «L’Évangile et l’Église» gerade gegen Harnacks "Wesen des Christentums" zu Felde gezogen und hatte die Notwendigkeit der heilsvermittelnden Instanz der Kirche gerade verteidigt.

Insofern verlief Engerts Biographie atypisch. Im Gegensatz zu zahlreichen reformorientierten Theologen seiner Zeit war er nicht bereit, sich der kirchlichen Zensur zu unterwerfen. Einen Widerruf der wissenschaftlich gewonnenen Einsichten wider besseres Wissen konnte er nur als Sacrificium intellectus auffassen. Engert verweigerte die Unterwerfung, und die kirchliche Sanktionsmaschinerie kam in Gang. Am 2. November 1907 wurde er einstweilig suspendiert, im Januar 1908 vom Würzburger Bischof wegen Häresie gar exkommuniziert. In den folgenden beiden Jahren versuchte er sich als Chefredakteur der Wochenschrift "Das 20. Jahrhundert. Organ für fortschrittlichen Katholizismus" beziehungsweise "Das neue Jahrhundert. Organ der deutschen Modernisten" über Wasser zu halten. Im November 1909 begann er an der Universität das Studium der protestantischen Theologie. Im Mai 1910 wurde er in die Evangelische Landeskirche des Großherzogtums Sachsen aufgenommen. Nach Ablegung des Examens für Pfarramtskandidaten erhielt Engert am 1. Oktober 1910 eine Anstellung als zweiter Subdiakon an den beiden Gothaer Stadtkirchen. 1911 zum Pfarrer der Gemeinde Gossel am Eingang des Thüringer Waldes ernannt, wechselte er im Oktober 1913 in das Pfarramt der Industriegemeinde Gräfenroda im Tal der Wilden Gera, ein Amt, das er bis zu seiner Pensionierung im September 1943 innehatte. Aus der 1910 mit Käthe Herchner geschlossenen Ehe gingen drei Söhne und eine Tochter hervor.

Die Biographie Engerts aus der Feder H.s läßt in tiefe Abgründe blicken. Am Schicksal Engerts spiegelt sich das Schicksal einer ganzen Generation katholischer Theologen, denen es von ihrer Kirche verboten wurde, Kirche und Welt, Glauben und modernes Denken miteinander zu versöhnen. Dem Bruder Thaddäus Engerts, ebenfalls Priester, verweigerte die kirchliche Obrigkeit [zunächst] die wissenschaftliche Laufbahn, indem sie quasi den Grundsatz der Sittenhaft anwandte. Obwohl Engert in der evangelischen Kirche eine neue Heimat fand, beschäftigten ihn die Auseinandersetzungen der Jugend bis ins Alter hinein. Den Grundsatz, Kirchenreform sei nur innerhalb der Kirche möglich, dem viele katholische Modernisten huldigten, lehnte Engert ab. "Der Modernismus ist gescheitert, weil er zuviel Wissenschaft und Aufklärung, zuviel Reformverlangen war, weil er nicht Reformation, nicht Revolution war". In einem Satz: Die typisch atypische Biographie des "Modernisten" Thaddäus Engert ist ein anrührendes und lesenswertes Buch, für das dem Autor und den Erben Engerts, die dessen Nachlaß uneigennützig der Wissenschaft zur Verfügung stellten, hohes Lob gebührt.