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Ausgabe:

April/2008

Spalte:

457–459

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Thönissen, Wolfgang [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

»Unitas redintegratio«. 40 Jahre Ökumenismusdekret – Erbe und Auftrag.

Verlag:

Paderborn: Bonifatius; Frankfurt a. M.: Lembeck 2005. 340 S. 8° = Konfessionskundliche Schriften des Johann-Adam-Möhler-Instituts, 23. Kart. EUR 24,90. ISBN 3-89710-324-9 (Bonifatius); 3-87476-482-6 (Lembeck).

Rezensent:

Reinhard Frieling

Das Titelbild zeigt symbolhaft das Verständnis des römisch-katholischen Ökumenismus: Bei einem ökumenischen Gottesdienst im Dom zu Paderborn sitzt der Papst, hervorgehoben in seinem weißen Habit, in der Mitte vor dem Altar, und die höchsten Repräsentanten der anderen Kirchen umgeben ihn in ihrem schlichten schwarzen Ornat.
Das inhaltsreiche und höchst aktuelle Buch dokumentiert die Vorträge und Erwiderungen eines Symposions des Möhler-Instituts zum 40-jährigen Jubiläum des Ökumenismusdekrets des II. Vatikanum. Zunächst würdigen selbstverständlich alle Beiträge das bahnbrechend Neue dieser Magna Charta für alle ökumenischen Bemühungen der römisch-katholischen Kirche: Der frühere pure Exklusivitätsanspruch, die »alleinseligmachende« Kirche zu sein und im Umgang mit anderen die Methode mittelalterlicher Ketzerprozesse anzuwenden, wonach der Irrtum bei einem Teil der christlichen Wahrheit jemanden zum ganzen »Ketzer« machte, ist endgültig vorbei. Die rite vollzogene Taufe der anderen wird anerkannt, so dass auch nicht-römisch-katholische Christen Glieder am Leibe Christi, der Kirche, sind: »getrennte Schwestern und Brüder«. Und ebenso wichtig: Die anderen »Kirchen und Kirchlichen Gemeinschaften« hat laut II. Vatikanum der Heilige Geist gewürdigt, »Mittel des Heils« zu sein.
Aber wer weder das Papstamt noch die sieben Sakramente und das hierarchische Weihepriestertum im vollen römisch-katholischen Sinne anerkennt, gilt in der Terminologie der Erklärung »Dominus Iesus« (2000) nicht als »Kirche im eigentlichen Sinne«. Diese Formulierungen, die der Vatikan im Frühjahr 2007 nochmals eingeschärft hat, sind der Hintergrund der meisten Erörterungen der Beiträge dieses Buches.
Namhafte römisch-katholische Ökumeniker wie Wolfgang Beinert, Heinrich Döring, Peter Neuner, Harald Wagner, Josef Freitag, Dorothea Sattler, Hermann J. Pottmeyer und Wolfgang Thönnissen versuchen je auf ihre Weise fundamentaltheologisch und praxisorientiert, historisch und kirchenrechtlich, nach innen und nach außen argumentierend folgenden Spagat auszuhalten: Lehramtlich ist die eine Kirche Jesu Christi nur in der römisch-katholischen Kirche verwirklicht (»subsistit«) – was von allen anderen Kirchen nach wie vor als Zeichen einer gewissen römisch-katholischen Exklusivität gewertet wird. Andererseits drängen »die vielfältigen Elemente der Heiligung und der Wahrheit« in den anderen Kirchen und Kirchlichen Gemeinschaften auf die katholische Einheit hin (»impellunt«) – was eine Vielfalt ökumenischer Anerkennung und Gemeinschaft möglich macht, wie sie beispielsweise die gemeinsame Charta Oecumenica (2001) als Selbstverpflichtungen auflistet.
Das Paderborner Symposion war dialogisch angelegt, indem auf jedes Referat ein Korreferat folgte. Innerkatholisch fallen dabei keinerlei Differenzen auf. Nur mögliche Missverständnisse werden aufgehellt. Das Urteil beispielsweise, die evangelischen Kirchen seien »nicht Kirche im eigentlichen Sinn«, soll vor allem innerkat­holisch in gemischtkonfessioneller Umgebung klären, dass nicht einfach alle »Kirchen« »gleich gültig« seien. Im ökumenischen Dialog sei es vielleicht angemessener, von »Kirchen anderen Typs« zu sprechen, sofern klar sei, dass die Fülle der Wahrheit und des Kirchseins nur in der römisch-katholischen Kirche gegeben ist.
Ebendiese ekklesiologischen Fragen bildeten logischerweise auch den Kern der Anfragen und Rückfragen der nicht-römisch-katholischen Referenten des Symposions. Gregorios Larenzakis würdigt, dass die orthodoxen Kirchen durchaus als »Schwesterkirchen« im Blick sind. Aber er – und wohl alle Orthodoxen – können nicht nachvollziehen, dass ihren Kirchen wegen der Distanz zum päpstlichen Primatsanspruch wesentliche »Mängel« anhaften und sie »in ihrem Teilkirchsein verwundet« sein sollen. Johannes Oeldemann relativiert in seiner Antwort, die vatikanischen Papstdogmen bedeuteten »nicht notwendigerweise das Festhalten an einer exklusivistischen Ekklesiologie«, sondern sein »zunächst einmal Aus­druck der Treue zur eigenen Tradition«.
Anfragen aus reformatorischer Sicht legt die Göttinger Systematische Theologin Christine Axt-Piscalar dar, indem sie das evangelische Verständnis von Kirchengemeinschaft und von den »notae ecclesiae« entfaltet. Sie erläutert die Frage nach »verborgener und sichtbarer Einheit der Kirche« und die »Bedeutung des kirchlichen Amtes für die Kirche« und sie verknüpft damit Anfragen an das Ökumenismusdekret. Das römisch-katholische Korreferat von Wolfgang Beinert und auch die Beiträge von W. Thönnissen und H. J. Pottmeyer mit dem »Plädoyer für ein gestuftes Modell von Kirchengemeinschaft« gehen freundlich auf die Anfragen ein, kommen aber letztendlich zu dem Urteil, dass das evangelische »Leuenberger« Konzept einer Kirchengemeinschaft in Wort und Sakrament bei bleibender Selbständigkeit einzelner Konfessionskirchen nur ein partikulares evangelisches Einheitskonzept sei, das mit dem Communio-Modell des Ökumenismusdekrets als volle Eucharistie- und Ämtergemeinschaft mit und unter dem Papst nicht kompatibel sei.
Hier wird deutlich: Die unterschiedlichen Vorstellungen von der Einheit der Kirche sind das größte Hindernis für die Einheit der Kirche.
Diesen Sachverhalt bestätigt Manfred Marquardt aus evangelisch-methodistischer Sicht. Er würdigt die Christozentrik der römisch-katholischen Ökumenik und deren »Primat der Heiligen Schrift«. Doch der freikirchliche Ansatz, »die Gemeinde Jesu Christi als Gemeinschaft der Gläubigen« zu verstehen, »die durch Gottes Wort geschaffen ist und als Lebens- und Dienstgemeinschaft im Sinne des Priestertums aller Gläubigen gestaltet« wird, eröffnet zwar ein weites Feld ökumenischer Gemeinschaft, aber keine Integration zu einer einheitlichen kirchlichen Institution.
So ergibt sich dem Leser als Fazit der Eindruck: Die Christen verschiedener Konfession glauben gemeinsam an das Wirken des dreieinen Gottes in der Verkündigung des Evangeliums und in der Feier der Sakramente. Aber sie glauben anders, insbesondere be­züglich der Kirche und ihrer Autorität und der Autoritäten in der Kirche. Während die evangelischen Kirchen das Wirken des Heiligen Geistes mit dem verkündigten Wort, dem Evangelium selbst verbinden, betont die römisch-katholische Kirche eine ebenso klare Verbindung zwischen dem Werk des Heiligen Geistes und der kirchlichen Institution, die das Evangelium verkündigt.
Das römisch-katholische »quantitative« Denkmodell im Schema von »eigener Fülle« und »Defiziten bei den anderen« führt im Dialog immer wieder zu Verärgerungen und zu ähnlichen Gegenreaktionen wie: »dort ist zuviel«; »geschichtlich Gewordenes und Variables wurde dogmatisiert«; »vieles ist römisch, aber nicht ka­t­holisch«.
In der Buch-Einleitung von W. Thönnissen und im Beitrag von W. Beinert wird hingegen auch eine andere, nämlich »qualitative« Denkweise im Ökumenismusdekret herausgestellt, und zwar beim Dialog eine »Hierarchie der Wahrheiten« zu beachten. Ohne diese Denkweise wäre beispielsweise 1999 der römisch-katholische/ evang­elisch-lutherische »Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre« nicht zu Stande gekommen.
Sicherlich, bei einer »Hierarchie der Wahrheiten« bleiben nach vatikanischem Verständnis auch die Wahrheiten auf der unteren Ebene (z. B. über Amt und Hierarchie) Wahrheiten, die vor einer Abendmahlsgemeinschaft geklärt sein müssen. Und die evangelische Denkweise, von der »Mitte der Schrift« und dem »satis est« (es ist genug) in Bezug auf die reine Evangeliumsverkündigung auszugehen, widerspricht eben diesem Verständnis von Hierarchie der Wahrheiten.
Wenn so gestritten wird über das, was »heilsnotwendig« und was »kirchennotwendig« ist, ist zwar noch lange keine sichtbare Einheit der Kirche in Sicht. Aber salopp formuliert: Wenn nicht mehr nur auf Grund der Konfessionszugehörigkeit das ewige Heil abgesprochen wird, dann hat die Ökumene Zukunft. Denn mehr als in den Himmel kommen gibt es nicht.