Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2008

Spalte:

454–457

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Schmidt, João Carlos

Titel/Untertitel:

Wohlstand, Gesundheit und Glück im Reich Gottes. Eine Studie zur Deutung der brasilianischen neupfingstlerischen Kirche Igreja Universal do Reino de Deus.

Verlag:

Berlin: LIT 2007. XII, 269 S. m. Tab. 8° = Kirchen in der Weltgesellschaft, 1. Kart. EUR 34,90. ISBN 978-3-8258-9990-5.

Rezensent:

Wilhelm Nordmann

João Carlos Schmidt, lutherischer Theologe aus Brasilien, bedient sich in seiner Studie aus religionswissenschaftlicher Perspektive der Methode der »differenzierten Fremdwahrnehmung«, in der »ein doppelter Ansatz von verstehender Haltung und kritischer Distanz zum ›Objekt‹« (4) eingenommen wird.
Im ersten Hauptteil zur Eigenwahrnehmung der Igreja Universal do Reino de Deus (IURD) und im zweiten zur Analyse wird dieses Konzept umgesetzt: Der kurze Abriss über die Geschichte der IURD gibt Auskunft über die Hintergründe, die 1977 zur ihrer Gründung durch Bischof Edir Macedo geführt haben. Von Anfang an gehören die schnelle Expansion und der Einsatz und Besitz von Massenmedien zum Profil der IURD.
Weiter ist die aggressive Haltung gegenüber den afro-brasilianischen Religionen, dem Katholizismus und gegen jegliche Kritik an der IURD charakteristisch. Dazu kommt die Praxis, bei politischen Auseinandersetzungen Wahlempfehlungen auszusprechen (20.27). Diese aggressive Grundhaltung führt zu einer sehr intensiven Auseinandersetzung mit den Gegnern, was eine objektive Annäherung an die IURD erschwert. Es kommt zu Untersuchungen durch die Finanzbehörden, die bei den immensen Geldtransfers irreguläre Machenschaften vermuten (26).
In den Lehren der IURD gibt es Aspekte, die eine zentrale und fundamentale Bedeutung in der Theologie und kirchlichen Praxis haben (33) und damit über den gewöhnlichen pfingstlerisch-charismatischen Zuschnitt hinausgehen. Die Grundlage wird im Bibelverständnis als »Buch der Bündnisse (alianças)« (36) gelegt, das den Bund Gott/Mensch als Abkommen beschreibt, der für den Menschen ein absolut erfülltes Leben, die »vida abundante«, vorsieht, das Gott ihm gibt, wenn der Mensch ihn bedingungslos liebt. »Gottes Versprechen ... hat einen verbindlichen Charakter. Es ist ›determinado‹, d. h. festgelegt und muss von ihm eingelöst werden, falls der Mensch seinen Teil des Bundes erfüllt« (37).
Die Welt wird mittels einer Teufels- und Dämonenlehre zum Herrschaftsgebiet des Teufels und der Dämonen erklärt, die die Menschen im Griff haben. Sie sind die Ursache aller Übel, Un­glü­cke und Probleme. Gott kann nicht Urheber von Krankheit und Leid sein (43). Die Chance des Menschen liegt darin, Gottes Verbündeter beim Wiederaufbau seines Reiches auf Erden zu werden. Sich dazu zu entscheiden, dazu hat der Mensch seinen freien Willen (livre arbítrio) (45).
Der Weg in dieses Bündnis führt für beide Seiten über das Opfer (sacrifício), das das Mittel der Beziehung zwischen Gott und Mensch ist (46). Gott kommt den Menschen durch das Opfer seines Sohnes nahe, und diese erkämpfen sich den Zugang zu ihm, indem sie ihren »übernatürlichen Glauben« durch das Darbringen von Opfern, insbesondere Geldopfer, unter Beweis stellen (59). Der Besitz des übernatürlichen Glaubens stellt den Menschen in die Wirklichkeit der »übernatürlichen Welt (mundo sobrenatural)« (57) und verleiht ihm ein Recht auf die Teilhabe am reichen Segen Gottes, der sich finanziell, leiblich und geistlich auswirkt (60). Das zentrale, vom Menschen zu erbringende Opfer ist die Abgabe des Zehnten. »Denn indem der Mensch einen beträchtlichen Teil seines Einkommens als Opfer darbringt, opfert er in der Tat einen wichtigen Teil seines eigenen Wesens .... Dadurch zeigt er große Opferbereitschaft und große Liebe zu Gott und zu den verlorenen Menschen.« (68)
S. identifiziert den Gottesdienst als das zentrale Anliegen der IURD, dem die vielen im Besitz der Kirche befindlichen Medien zuarbeiten (73). Es gibt ein Wochenprogramm mit thematischen Zuordnungen für jeden Tag: Wohlstand, Gesundheit, Geistestaufe, Familie, Befreiung (von Dämonen), Liebe, Lobpreis. Die täglichen Veranstaltungen werden »Correntes« (Ketten) genannt (75). In ihnen kommen herkömmliche gottesdienstliche Elemente vor; sie stehen jedoch im Schatten der speziellen Elemente, wie die Abgabe von Geldspenden (79), Dämonenaustreibung (83), Heilungs- und Wohlstandsrituale (86).
Durch den zweiten Hauptteil zieht sich wie ein roter Faden die Frage nach den Ursachen der Attraktivität der IURD für die Menschen. Dahinter steht das außerordentlich erfolgreiche Auftreten der IURD bei gleichzeitig außerordentlich aggressivem Verhalten, was den Dialog sehr erschwert.
Im 4. Kapitel zur Standortbestimmung der IURD ist der Hinweis auf den Einfluss der nordamerikanischen Heilungsbewegung (97) auf den pfingstlerisch-charismatischen Protestantismus in Brasilien von Bedeutung, mit ihrer Entwicklung einer Wohlstandstheologie (100), die dann in die Glaubensbewegung mündet (109). So hat sich die »seit den 1950er Jahren ... stattgefundene Interessenverschiebung von ekstatischen Phänomenen, wie Glossolalie und Prophetie, hin zu Krankenheilungen und Dämonenaustreibungen« (113) ereignet. Parallel geht die Entwicklung weg von der rigiden weltabgewandten Ethik hin zur Bejahung einer christlichen Lebensführung, die »nicht im Widerspruch zum Ge­nuss des diesseitigen Lebens und dessen, was der Wohlstand er­möglicht, steht.« (113) Im Einklang damit steht die Beobachtung, dass die Kirchen der dritten Generation – und damit auch die IURD – durch den massiven Einsatz betriebswirtschaftlicher Erkenntnisse und elek­tronischer Massenmedien charakterisiert sind (114). S. stellt im Weiteren die verschiedenen Typisierungsansätze vor, um sich dann dem dreistufigen Modell anzuschließen und die IURD der dritten Stufe als neupfingstlerische Kirche mit eigenständiger Identität zuzuordnen (127).
Auf der Suche nach den Ursachen der Attraktivität der IURD befragt die Studie zunächst die Fremdwahrnehmung in Kirchen und Forschung. Die wenigen Stellungnahmen aus dem Bereich der Kirchen spiegeln die polemische Auseinandersetzung wieder. So bekommt »die Beurteilung ... einen konfessionellen Charakter und dient innerkirchlichen Zwecken ...« (132) und ist so für die Analyse nur begrenzt brauchbar.
Bei der Betrachtung der verschiedenen religionssoziologischen und -wissenschaftlichen Forschungsansätze kommen Untersuchungen zu Wort, die die IURD u. a. als »Marktreligion« (134) oder »Supermarkt-Kirche« (151) deuten. S. sieht zwar positive Ansätze wie z. B. die Anerkennung des Erfolgs der IURD bei der individuellen Armutsbekämpfung, er reklamiert jedoch die fehlende Berück­sichtigung der Selbstwahrnehmung der IURD, die zu einer Beurteilung im Licht fremder, wirtschaftstheoretischer Kategorien führt (154), ohne empirische Basis die Intentionalität leitender Personen in Frage stellt (137) und die teilnehmenden Menschen als unmündige, manipulierte Herde darstellt (130). Auch der Vorwurf der Praxis des Zwangskonsumismus trifft nicht den Kern der Motivation zur Teilnahme in der IURD, sind doch Menschen in ihrer Situation der Armut bestrebt, das Minimum an Konsum zu erreichen, das ihnen ein menschenwürdiges Leben ermöglichen kann (137).
Adäquatere Annäherungen bieten interdisziplinäre Forschungsansätze: André Corten arbeitet mit dem Begriff der »Emotion der Armen« und der »Emotion der Tröstung« (154). Paulo Bonfatti konzentriert sich auf die »psychologisch erfassbaren subjektiven Erfahrungen, die die Menschen in der IURD machen« (159), und würdigt die Sequenz von »Bekehrung, Exorzismus und Heilung als einzige kohärente und sinnvolle psychische Dimension« (159), die es den Menschen erlaubt, sich neu im Leben zu orientieren. Der Praxis der Dämonenaustreibung misst Bonfatti eine therapeutische Dimension zu, die es den Menschen ermöglicht, die beschämenden Seiten der eigenen Biographie einzugestehen und einen Neuanfang zu wagen (161). S. würdigt Bonfatti für seinen Schritt, die »von der IURD geleistete Hilfe aufgrund angeblich bösartiger Intentionen ihrer Führer nicht in Frage« (163) zu stellen.
Die IURD nimmt sich selbst nicht als »pentekostale«, sondern als »starke Kirche« wahr, die den »Krieg gegen die geistlichen Kräfte des Bösen« (166) führt und immer offene Türen »für alle kranken, unterdrückten, betrübten und bedrückten Menschen habe« (167). Die Selbstwahrnehmung der IURD ist tief religiös geprägt (171), sie zeigt sich »als eine sehr realitätsbezogene, menschennahe und praxisorientierte Kirche« (171). Im Umgang mit anderen, den »schwachen« Kirchen, identifiziert S. »eine ausgeprägte Überheblichkeit« und schätzt sie als »unfähig zum ökumenischen Dialog« ein (174).
In der Analyse der religiösen Erfahrung in der IURD wird der Einfluss des Lebenskonzepts des »positiven Denkens« (184) festgestellt, das sich in der Lehre vom »übernatürlichen Glauben« der IURD (186) wiederfindet. Weiterhin zentral ist die Opfertheologie, die die Beziehung zwischen Mensch und Gott im gegenseitigen Opfer ausgedrückt sieht. Gott opfert seinen Sohn, der Mensch hat Teil daran, indem er etwas von sich selbst, insbesondere Geldgaben gibt (191). »Großes Opfer ist ein Beweis für großen Glauben und beide zusammen ermöglichen dem Menschen, von Gott reichlich und im Überfluss gesegnet zu werden.« (193) Die religiöse Erfahrung in der IURD ereignet sich vor allem im pragmatisch verstandenen Gottesdienst: »In seinem Mittelpunkt stehen die grundsätzlichen, alltäglichen Probleme der Menschen.« (202) Eine Reihe von Ritualen, die sich entweder um Dämonenaustreibung oder um Heilung und Erfolg drehen, nehmen eine zentrale Stellung ein (203). In den Heilungsritualen wird das Glaubensverständnis der IURD deutlich: Es hängt von der Macht des Glaubens des Betroffenen ab, ob die Heilung gelingt (204). Gegenstände, die speziell geweiht werden, können dabei zu Hilfe genommen werden (205).
Das Heilsverständnis ist bestimmt vom Begriff der »vida abundante«, das gefüllte diesseitsbezogene Leben, auf das alle Menschen ein Recht haben. »In ihrem Gottesdienst setzt die IURD dieses Heilsverständnis ... konsequent und pragmatisch um.« (206) S. zeigt die Grenzen dieser zwangsweise optimistischen Sicht: Es kann zwar sein, dass Menschen so motiviert werden, sich verantwortlicher um ihr Leben zu kümmern (206), aber gleichzeitig können sie entfremdet werden von der »Dimension der Beschränktheit des menschlichen Daseins« (207) und werden nicht befähigt, mit Schicksalsschlägen umzugehen.
In der IURD ist Gott der absolut Gute und Liebende, der mit den Menschen einen Bund geschlossen hat und auf sie und ihre Opfer angewiesen ist, damit sein Heilsplan vorankommt. Dieses Gottesbild, das von Ambivalenz und Zweideutigkeit völlig gereinigt ist, liefert den Menschen ebenso ambivalenten Folgen aus, da er die Ursachen für Misserfolg und Leid zwar begrenzt auf Teufel und Dämonen schieben kann, letztendlich aber als Hauptschuldiger ratlos zurückbleibt (210).
Trotzdem geht S. davon aus, »dass die religiöse Erfahrung des Glaubens in der IURD ... den paradoxen Charakter jenes Konzepts z. T. überwinden kann und den Menschen eine Erfahrung von Heil ermöglicht« (212). Die IURD als Vermittlerin dieses Heils stößt allerdings an Grenzen ihres selbst geschaffenen Leistungsdrucks und kann ebenso motivierend wie enttäuschend sein (213).
Bei der Frage nach der Attraktivität der religiösen Erfahrung in der IURD wird deutlich, dass der überwiegende Teil ihres Publikums aus dem Volkskatholizismus und den afro-brasilianischen Religionen kommt. Beide Arten von Religiosität ähneln sich in ihrer tief religiösen Weltsicht, fühlen sich von »unzähligen geistigen Mächten bedroht« (222) und von den Heiligen bzw. den Orixás beschützt. Gutes Vorankommen im Leben hängt von guten Beziehungen zum Schutzheiligen ab, der entsprechend mit Gelübden und Opfergaben gesonnen gehalten werden muss. Bei Nichtbeachtung dieser Regeln kann sich der Schutz zum Fluch wandeln und das Leben der Betroffenen in Angst vor Rache des jeweiligen Heiligen oder Orixás geraten (222).
Die IURD steht in einer Beziehung von Kontinuität und Diskontinuität zu dieser Religiosität (226). Einerseits erkennt sie in ihrer Dämonenlehre die Exis­tenz dieses Universums von Geistwesen an, anderseits nimmt sie eine radikale Umdeutung vor, »indem anhand dualistischer Kategorien das ... Göttliche ins Teuflische verwandelt wird« (226). Die in Angst vor der Rache der Orixás leben, bekommen einen Ausweg und leichten Zugang zur IURD (227).

Abschließend wird erörtert, welche Auswirkungen die religiöse Erfahrung in der IURD auf die sozialen Lebensverhältnisse hat. Auf der individuellen Ebene gilt: »Der Glaube an die Möglichkeit, das eigene Lebens ändern zu können, ist ein mächtiges Mittel gegen die in ärmlichen Lebensverhältnissen oft eintretende fatalistische ... Le­benseinstellung.« (230) Dieser Glaube kann aber in Frustration umschlagen, wenn die Probleme eben nicht allein auf individueller Ebene angesiedelt sind, sondern von gesellschaftlichen Faktoren abhängen (233).
Das Buch schließt mit einem Ausblick auf weiterführende Forschungsmöglichkeiten (240). Unter anderem regt S. einen Dialog zwischen Befreiungstheologie und pfingstlerisch-charismatischer Theologie an. Sein Wort in Gottes Ohr.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Studie vor allem dadurch überzeugt, dass sie die Eigenwahrnehmung der IURD in Lehre und Praxis mit Empathie und Redlichkeit zu Wort kommen lässt und so mit manchem Vorurteil aufräumt. Letztlich ist es die der IURD gegenüber sehr respektvolle Haltung, die die zum Teil massive Kritik ihr gegenüber glaubwürdig und schwer abweisbar macht. Grenzen hat die Untersuchung im Fehlen einer umfangreicheren Feldforschung und in der dürftigen Wahrnehmung der Stimmen aus dem ökumenischen Umfeld der IURD. Dies kann aber den positiven Gesamteindruck nicht schmälern.