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Ausgabe:

April/2008

Spalte:

435–437

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Stuflesser, Martin

Titel/Untertitel:

Liturgisches Gedächtnis der einen Taufe. Überlegungen im ökumenischen Kontext.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 2004. 373 S. m. Abb. u. Tab. 8°. Kart. EUR 35,00. ISBN 3-451-28519-3.

Rezensent:

Jörg Neijenhuis

Die Lektüre dieser Habilitationsschrift hinterlässt etwas Schimmerndes – oder angesichts des Themas sollte man in Bezug auf das Wasser vielleicht sagen: etwas Schwimmendes, sich in Wellenbewegungen hin und her Bewegendes. Das Buch behandelt das liturgische Gedächtnis der einen Taufe, wobei es über weite Strecken um die Taufe an sich geht. Diesem Hin und Her, diesem Auf und Ab kann man nicht entkommen, da es ohne Taufe kein Taufgedächtnis geben kann, ja, jede Tauffeier ist für die Mitfeiernden eine Taufgedächtnisfeier der eigenen Taufe, denn nur der Täufling allein erlebt selbst die Taufe und noch nicht ihr Gedächtnis.
So befassen sich das zweite und das dritte Kapitel wesentlich mit historischen Fragen zur Taufe und damit zusammenhängend mit dem Taufgedächtnis. Im zweiten Kapitel geht es um die historische Entwicklung der Feiergestalt und des Sinngehalts von der frühen Kirche über das Mittelalter bis zur Reformationszeit, so dass wesentliche Weichenstellungen in Bezug auf die Tauftheologie und die Feiergestalt der Taufe zur Sprache kommen und damit auch Aspekte des Taufgedächtnisses. Nach dieser diachronen Perspektive folgt im dritten Kapitel eine synchrone Betrachtungsweise. Es stellt Taufgedächtnisfeiern dar, wie sie seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil in der römisch-katholischen, der reformatorischen und orthodoxen Kirche gefeiert werden.
Die Prolegomena und das einleitende erste Kapitel hatten die ökumenische Ausrichtung und Absicht dieser Arbeit verdeutlicht: Ist das Taufgedächtnis ein neues Thema? Das scheint so zu werden, da die Taufe als das die Konfessionen verbindende Band stärker in den Vordergrund tritt. Der Vf. stellt bewusst jene Taufgedächtnishandlung an den Anfang seiner Überlegungen, die beim Ab­schlussgottesdienst des Ökumenischen Kirchentages 2003 in Berlin begangen wurde. Er thematisiert auch die Umbrüche in den Volkskirchen, wo Säuglingstaufen nicht mehr selbstverständlich sind und der der Taufe folgende Katechumenat als Einübung in den Glauben erschreckend oft ausbleibt. Da alle Kirchen davon betroffen sind, ergibt sich nicht nur theologisch, sondern auch aus dieser gesellschaftlichen Entwicklung heraus eine »Ökumene« gemeinsamer Betroffenheit. So ist es naheliegend, dass sich der Vf. für ein verstärktes Taufbewusstsein einsetzt.
Er siedelt seine Untersuchung methodisch auf der Schnittstelle zwischen Liturgik und Systematischer Theologie an. Daraus ergibt sich eine systematische und historische Aufgabenstellung, da Glaubenstexte Gegenstand der Untersuchung sind. Hier wendet der Vf. an, was er bereits 2001 als Standortbestimmung zwischen Liturgiewissenschaft und Systematischer Theologie beschrieben hatte: Die liturgischen Quellentexte müssen zum Sprechen ge­bracht werden, um sie dann einer systematischen Bearbeitung zuzuführen. So werden die Glaubenstexte innerhalb der Tradition der Kirche verortet und zum biblischen Ursprung dieser Glaubenstradition, dem Paschamysterium, in Beziehung gesetzt. Auf diese Weise lassen sich Modelle entwickeln, die aufzeigen, wie diese Redehandlungen – das sind ja die Glaubenstexte, weil sie während der Feier gesprochen werden – funktionieren. Diese rekonstruierten Glaubenstexte sind dann auf ihre Fähigkeit hin zu überprüfen, ob und wie sie für die Feier des Taufgedächtnisses in der Gegenwart geeignet sind.
Für die Alte Kirche galt, dass die Taufe Erwachsener für die mitfeiernden Getauften zugleich ein Taufgedächtnis war – auch die sonntägliche Eucharistie kann als Taufgedächtnis verstanden werden, weil die Initiation zum Christsein ja die Taufe, die Salbung und die Eucharistie in einem Feiervorgang miteinander verband –, so dass sich keine eigenen Taufgedächtnisfeiern herausgebildet haben. Im Mittelalter, als die Säuglingstaufe die einzig erlebte Form der Taufe war, bildeten sich durch Weihwasser und Aspergesriten Ansätze zum Taufgedächtnis heraus und damit verbunden konnte auch die Firmung als Taufgedächtnis aufgefasst werden. Luther entwickelte eine Tauftheologie, aber keine Taufgedächtnishandlungen, weil er das Leben aus dem Glauben als ein Leben aus der Taufe verstand, so dass das Leben aus der Taufe, ein »unter die Taufe kriechen«, als Taufgedächtnis aufgefasst werden kann.
Für die Gegenwart untersucht der Vf. explizite und implizite Taufgedächtnisse, die er für die katholische Kirche darstellt an der Erneuerung des Taufversprechens der Ostervigil, der Weihwasserbesprengung zu Beginn der sonntäglichen Eucharistiefeier, der Tagzeitenliturgie, der Kinder- und Erwachsenentaufliturgie, der Firmung, der Feier der Versöhnung, der Trauung, der Ordination, der Krankensakramente, Sterbesakramente, der Begräbnisfeier und im Bereich der Privatfrömmigkeit anhand des Kreuzzeichens, Weihwassers, Vaterunser und Credo, Feier des Tauftages und Namenstages.
Für die reformatorischen Kirchen finden sich kaum explizite – offizielle – Taufgedächtnisfeiern, was sicherlich mit der von Luther angelegten Tauftheologie zu tun hat. In den Taufliturgien wird der Vf. beim Sintflutgebet fündig, auch werden Taufspruch, Taufkerze etc. erwähnt. Der Vf. übersieht aber, dass auch dann, wenn eine liturgische Ordnung das Sintflutgebet als anamnetisch-epikletisches Gebet nicht oder fakultativ vorsieht, dessen inhaltliche Elemente eines Taufgedächtnisses nicht fehlen, weil sie in diesem Fall in der Taufansprache vorkommen sollen. Die EKU-Agende zur Taufe aus dem Jahr 2000, auf die sich der Vf. bezieht, bietet dafür im Anhang sogar drei Musterbeispiele an. Im Vorwort zur Agende gibt es einen großen Abschnitt allein zum Taufgedächtnis, der dahingehend erfreulich ist, dass er nicht nur auf die offiziellen Liturgien setzt, sondern auch die familiäre häusliche Erziehung des Getauften berücksichtigt und dazu auffordert, vermittels des Tauftages, Taufspruchs, der Taufkerze etc. der Taufe zu gedenken. Die Agende berücksichtigt also den Kontext, der für die Aneignung der Taufe und damit für das Taufgedächtnis nicht unterschlagen werden kann. Problematisch ist auch, dass der Vf. diese Agende aufnimmt, indem er das »eigentliche« Taufritual mit dem Credo beginnen lässt, so dass als nächstes nichtfakultatives Element die Taufe selbst folgt. Hätte er aber die ganze in dieser Agende aufgeführte Liturgie berücksichtigt, die nach der Begrüßung mit dem Taufbefehl be­ginnt, woraufhin das Kinderevangelium, eine Oration, ein Lied der Gemeinde – ein solches wird beim Vf. nicht berücksichtigt, obwohl er seine gesamte Untersuchung in einem Lied enden lässt! – und danach die Taufverkündigung folgen, dann hätte er hier die Orte gefunden, an denen die Bedeutung der Taufe als Taufgedächtnis explizit Gestalt annimmt; ebenso kommen auch nach der »eigentlichen« Taufliturgie weitere Aspekte des Taufgedächtnisses vor. Es kann sich verhängnisvoll auswirken, wenn immer wieder Ausschau gehalten wird nach irgendwelchen »Kernen«, sog. »eigentlichen« Liturgien oder nach »Kern«texten. In ihnen sollen alle vom Lesenden erwarteten wichtigen Aussagen stehen, so dass das Augenmerk nicht mehr auf einen ganzen liturgischen Verlauf gerichtet wird und weil dann schnell übersehen wird, dass trotz mancher berechtigten Kritik an der Taufagende diese Liturgien durchaus so zu gestalten sind, dass die Taufe eines Kindes oder eines Erwachsenen in ein Taufgedächtnis der Gemeinde eingebettet ist. Dadurch entsteht eine Bewertung, die die Chance dieser Agende auch für das Taufgedächtnis übersieht, weil die variablen Elemente, wie z. B. die Taufverkündigung oder die Lieder, ohne Berück­sichtigung bleiben.
Im vierten und letzten Kapitel wird das bisher Erarbeitete gebündelt und ein Ausblick gegeben, der Lösungsansätze bietet: Es geht um die Zuordnung von Taufe/Taufgedächtnis und dem corpus Christi mysticum zur Eucharistiefeier, die ökumenisch nicht möglich ist. Da die Taufe die eucharistische Gemeinschaft in der frühen Kirche ermöglichte, plädiert der Vf. dafür, diese Chance für das Taufgedächtnis dringender denn je ins Auge zu fassen. Anschließend stellt der Vf. Taufgedächtnisliturgien vor, die von Instituten etc. publiziert worden sind, aber keinen kirchenamtlichen Charakter tragen. Danach wird der Taufort als Taufgedächtnisort gewürdigt, der Vf. plädiert für eine mystagogische Liturgiekatechese und stellt zum Abschluss fest, dass zwar die Mitfeier von Taufen die vorherrschende Taufgedächtnisfeier ist, es in ökumenischer Hinsicht aber wünschenswert wäre, eine ökumenische Feierform für das Taufgedächtnis zu etablieren.