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Ausgabe:

April/2008

Spalte:

428–430

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Block, Johannes, u. Irene Mildenberger [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Herausforderung: missionarischer Gottesdienst. Liturgie kommt zur Welt. Wolfgang Ratzmann zum 60. Geburtstag.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2007. 378 S. 8° = Beiträge zu Liturgie und Spiritualität, 19. Kart. EUR 16,80. ISBN 978-3-374-02480-3.

Rezensent:

Martin Reppenhagen

Zum 10-jährigen Jubiläum seiner Reihe »Beiträge zu Liturgie und Spiritualität« setzt das Liturgiewissenschaftliche Institut der Universität Leipzig mit dem von Johannes Block und Irene Mildenberger herausgegebenen Buch ein deutliches Zeichen und widmet die Sammlung von Aufsätzen zum missionarischen Gottesdienst dem Leiter des Instituts, Prof. Dr. Wolfgang Ratzmann, zum 60. Geburtstag. War bereits mit der ersten Veröffentlichung der Gottesdienst als Herausforderung bezeichnet worden, wird nun das Ringen um eine missionarische Kirche aufgenommen und auf den Gottesdienst bezogen. Der bzw. die Gottesdienste sollen »auf eine missionarisch offene Grundausrichtung« hin befragt und bedacht werden. Dabei halten die Herausgeber gleich zu Anfang fest, dass »jeder Gottesdienst in seinem Grundanliegen als ein missionarischer zu begreifen« sei. Neben einem Verzeichnis der zwischen 1974 und 2006 erfolgten Veröffentlichungen von Wolfgang Ratzmann teilt sich der Sammelband in fünf Herausforderungen (missionarischer Gottesdienst, Liturgie, Kasualien, Kirchenmusik, Gesellschaft), zu denen grundsätzliche Artikel und Aufsätze zu besonderen Aspekten missionarischer Gottesdienste sowie »good practice«-Beispiele gehören.
Gleich zu Beginn lenkt Peter Zimmerling die Aufmerksamkeit auf die seit den 1990er Jahren vielfach entstandenen alternativen Gottesdienste und zeigt vergleichbare Spezifika auf. Neben einer berechenbaren Andersartigkeit, Gottesdienstgestaltung als Team­aufgabe, modernem Liedgut und kreativen Elementen nennt Zimmerling bei aller Offenheit für unterschiedliche Theologien die Ausrichtung der Gottesdienste auf Kirchendistanzierte, die Gabenorientierung des Teams sowie die Einbettung des Zweiten Gottesdienstprogramms in ein Leitbild der Gemeinde.
Irene Mildenberger und Günter Ruddat zeigen anhand von zwei unterschiedlichen Gottesdiensten auf, wie durch andere Gottesdienstzeiten und Gestaltungen Menschen erreicht werden können. Handelt es sich bei der von Mildenberger beschriebenen Sonntag­abendkirche um den Versuch, mit einem niedrigschwelligen Gottesdienstangebot die biblische Botschaft möglichst einfach weiterzusagen, ist die von Ruddat beschriebene »Missa Poetica« mit Texten von Marie Luise Kaschnitz ein literarischer Gottesdienst, der liturgische und Elemente hochgeistiger Literatur miteinander verbindet.
Der Frage, wie nun kirchlicher Rückbau und Gottesdienst liturgisch verantwortet zusammengehen können, stellt sich Lutz Friedrichs und verweist auf die Grenzen der klassischen Ortsgemeinde sowie die Chancen regionaler Netzwerke. Hier tut sich ein Dilemma auf, das mit dem kirchlichen Strukturwandel verbunden ist: Die Anforderungen werden größer. Mit Bezug auf den Gottesdienst plädiert Friedrichs für eine Elementarisierung von ritueller Form und Predigt. Nüchtern verweist er auf eine zunehmende Fragmentisierung gottesdienstlichen Lebens und fragt, ob der Gottesdienst nicht auch zu einem »Instrument der Regionalisierung« werden könnte.
Wie ein roter Faden zieht sich der Verweis auf die Pluriformität gottesdienstlichen Feierns durch den Sammelband. Dies verbindet sich an vielen Stellen mit dem Hinweis auf Partizipationsräume, die sich durch andere Gottesdienstformen eröffnen. So verweist der katholische Liturgiewissenschaftler Benedikt Kranemann auf die Bedeutung von Laien. Gerade im Zusammenwirken von Laien und Priestern sieht er Chancen für einen Gottesdienst im missionarischen Sinne, warnt allerdings auch vor einer »Selbstklerikalisierung« von Laien.
Einem Konzept liturgischer Bildung mit und für Kinder, Godly Play, widmet sich Martin Steinhäuser und zeigt auf, wie Liturgie und Pädagogik miteinander verschränkt werden können, um Lust auf Gottesdienst zu machen. Dabei wird deutlich, wie wichtig Angebote sind, die auf den Gottesdienst verweisen, ihn vorbereiten und wiederum aufnehmen.
Die Geheimnisse des Himmelreiches zeigen und bewahren – mit dieser Spannung geht Karl-Heinrich Bieritz den Fernsehgottesdienst an. Anhand von mittelalterlichen Kunstwerken zeigt er dabei die Bedeutung der Inszenierung des Evangeliums auf und, wie diese durch entsprechende Gegenbilder die »Übermacht des Mediums« unterbricht. Nur so kommt dann auch das Evangelium zur Sprache, denn die Kamera erzählt ihre eigene Story.
Doch wie verhalten sich Erlebnisgesellschaft und Sündenbekenntnis zueinander? Muss das Vorbereitungsgebet nicht eher ausladend wirken angesichts einer fehlenden Sündenerfahrung? Johannes Block votiert dafür, »von Sünde als einer gespiegelten Erfahrung« zu sprechen, die sich auf Grund des Evangeliums erschließt und damit ihren Ort nach der Predigt hat. So wird der Gottesdienst zu einem Angebot des Sündenbekenntnisses und setzt dieses nicht gleich voraus. Für solche einladenden, offenen Liturgien wirbt auch Anne Steinmeier, wenn sie von der Taufe als einem Prozess spricht. Der Kasualgottesdienst wird zu einem Prozess religiöser Kommunikation.
Wie ein Kasualgottesdienst im Sinne einer experimentellen Praxis auch eine gemischte Gottesdienstgemeinde ansprechen kann, macht Peter Cornehl am persönlichen Beispiel deutlich. Dabei nimmt er die »alte« Frage Rudolf Bohrens auf und deutet Kasualgottesdienste als Festgottesdienste, die mehr von der »ansprechende[n] Indirektheit« der Amtshandlung leben.
In einen kritischen Dialog über die Bedeutung und Zielsetzung von Musik im missionarischen Gottesdienst treten Christoph Krummacher und Peter Bubmann, wobei Bubmann die Verwendung von Popularmusik positiver wertet als Krummacher, für den Musik Gruppennormen sprengen soll. Hier bleibt angesichts des missionarischen Interesses, dem sich beide verpflichtet wissen, die auch aus der Missionswissenschaft bekannte Spannung zwischen Inkulturation und Konterkulturation bestehen. Dem gemeindlichen Gesang widmet sich schließlich Jürgen Henkys.
Weniger mit dem Gottesdienst an sich, aber dennoch mit einem gerade für den missionarischen Gottesdienst relevanten Thema beschäftigt sich Monika Wohlrab-Sahr, wenn sie auf die Kontraste von Unmodernität und Zeitlosigkeit, religiöser Gemeinschaft und gesellschaftlicher Organisation sowie Rationalität und Irrationalität verweist, die sich auch im Gottesdienst widerspiegeln sollen.
Ergebnisse einer Studie zu missionarischen Gottesdiensten in der deutschsprachigen Schweiz stellen Ralph Kunz und Silke Harms vor und verknüpfen diese einleitend mit einer Diskussion über das Verständnis von Mission. So verweisen sie auf Grund ihrer Befragung von Schweizer Pfarrern auf unterschiedliche Verständnisse von Mission, halten dabei jedoch fest, dass nur da von missionarischen Gottesdiensten gesprochen werden kann, »in denen Menschen (wieder) zum Glauben finden«. Für die Schweiz halten sie jedenfalls fest: »Der missionarische Gottesdienst mit explizit evangelistischer Ausrichtung ist nur einer kleinen Schar der Pfarrerschaft ein Anliegen.« Zu fragen wäre, ob sich dies auch auf die kirchliche Landschaft in Deutschland übertragen lässt.
Den Gottesdienst als offene Gemeinschaft zeichnet Jürgen Ziemer, wenn er gerade in einer individualisierten Gesellschaft auf die Bedeutung des Zuhörens, Wertschätzens, Ermutigens und Aufrichtigseins verweist, durch die ein Gottesdienst im Sinne einer offenen Gemeinschaft sowohl symbolische als auch exemplarische Gemeinschaft sein kann.
Leipziger Lokalkolorit nimmt schließlich Martin Petzoldt auf, wenn er die Universitätskirche aus ihrer Geschichte heraus wie auch in den aktuellen Diskussionen um den Neubau einer Aula-Kirche als ein geistig-geistliches Zentrum im Sinne eines Simultaneums beschreibt.

Den Herausgebern ist es gelungen, das aktuelle Fragen nach einer missionarischen Kirche mit dem Gottesdienstthema zu verknüpfen. Sie tragen damit einer Renaissance der Gottesdienstfrage Rechnung, die sich deutlich an der Herausforderung durch Kirchendistanzierte und Konfessionslose festmacht. Die EKD-Kundgebung von 1999 formulierte es wie folgt: »Mit der gesellschaftlichen Pluralisierung müssen wir auch die Notwendigkeit einer adressatenorientierten, spezifischen Verkündigung von Gottes guter Nachricht schärfen. Gegenüber den Kirchenmitgliedern ›in Halbdistanz‹, den aus der Kirche Ausgetretenen und den mit der christlichen Tradition überhaupt nicht mehr in Berührung Gekommenen bedarf es einer je unterschiedlichen Weise, vom Glauben zu reden.« Hier bleibt zu hoffen, dass es durch eine verständliche Liturgie zu weiteren »Öffnungsstellen« (Wolf Krötke) kommt, durch die die Grenzen zwischen Kirche und den nicht an Christus glaubenden Menschen missionarisch einladend überschritten werden. Hierzu gehört zweifelsohne die Forderung nach mehr neuen Gottesdiensten, wie sie Michael Herbst formuliert hat.
Der Großteil der Beiträge zeigt dabei eine gewisse Distanz zu den missionarischen Gottesdiensten, die man gern dem »Wildwuchs« zuordnet und die sich u. a. am »seeker service« der Willow Creek Community Church orientieren. Auf sie wird verwiesen, allerdings überwiegen dabei die kritischen Töne. Zu kurz kommt auch die Auseinandersetzung mit dem Thema Mission. Mit Ausnahme von Kunz/Harms, die umfassender die Frage nach der Mission diskutieren, schließt man sich mehrheitlich recht schnell dem Verständnis »Mission als Dialog« an. Es besteht daher auch weiterhin Diskussionsbedarf über das Verständnis von Mission bzw. des »missionarischen Gottesdienstes«. Die hier gesammelten Aufsätze regen an, die Herausforderung anzunehmen, über missionarische Gottesdienste weiter nachzudenken und vor allem diese zu feiern.