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Ausgabe:

April/2008

Spalte:

425–427

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schaeffler, Richard

Titel/Untertitel:

Philosophische Einübung in die Theologie. 3 Bde. Bd. 1: Zur Methode und zur theologischen Erkenntnislehre. Bd. 2: Philosophische Einübung in die Gotteslehre. Bd. 3: Philosophische Einübung in die Ekklesiologie und Christologie.

Verlag:

Freiburg-München: Alber 2004. Bd. 1: Zur Methode und zur theologischen Erkenntnislehre. 447 S. 8° = Scientia & Religio, 1/1. Geb. EUR 55,00. ISBN 3-495-48113-3. Bd. 2: Philosophische Einübung in die Gotteslehre. 431 S. 8° = Scientia & Religio 1/2. Geb. EUR 55,00. ISBN 3-495-48114-1. Bd. 3: Philosophische Einübung in die Ekklesiologie und Christologie. 552 S. 8° = Scientia & Religio, 1/3. Geb. EUR 60,00. ISBN 3-495-48115-X.

Rezensent:

Johannes Zachhuber

Mit dem hier anzuzeigenden Werk hat der hochbetagte Religionsphilosoph Richard Schaeffler ein beeindruckendes Opus magnum vorgelegt. Auf fast 1500 Seiten legt er ein umfassendes Gesprächsangebot der Philosophie an die Theologie vor, wie es dies im deutschsprachigen Raum sehr lange nicht gegeben hat. Als Ge­sprächspartner im Blick ist dabei in erster Linie die katholische Theologie; dennoch ist das Werk für evangelische Theologen nicht nur aus ökumenischen Gründen von Interesse. Sofern S.s eigenes philosophisches Denken vom Versuch einer Verbindung kantischer und hegelscher Einsichten bestimmt ist, berührt er vielmehr auf Schritt und Tritt Bereiche und Fragen, die für die philosophische und theologische Reflexion im Protestantismus seit langer Zeit bestimmend gewesen sind.
Formal folgt S.s Werk der Abfolge der traditionell drei, inzwischen oft um die theologische Erkenntnislehre erweiterten Traktate der (katholischen) Fundamentaltheologie. Allerdings stellt er die Erkenntnislehre an den Anfang und integriert die philosophische Christologie in die Ekklesiologie, die ihrerseits zu einer Art Bundestheologie erweitert im dritten Band vorgeführt wird. Dazwischen bildet eine Philosophische Einübung in die Gotteslehre den Inhalt des zweiten Bandes.
Der Sache nach liegt seinen Überlegungen die religionsphilosophische Anwendung des Erfahrungsbegriffes zu Grunde, den S. in früheren Publikationen entwickelt hatte. S. sieht seinen eigenen Ansatz als eine Weiterentwicklung der kantischen Transzendentalphilosophie, der die von Kant selbst avisierte, nicht jedoch ausgeführte Konzeption einer »Geschichte der reinen Vernunft« ermöglicht. Dazu rezipiert er von Hegel die Einsicht in die prinzipiell dynamische Natur des Subjekt- wie des Objektpols der Erkenntnis, ohne jedoch die prinzipielle Dualität des kantischen Modells aufzugeben. Erkenntnis wird so ein Dialog mit der Wirklichkeit, wie der programmatische Titel eines früheren Buchs von S. lautet. Dieser Dialog ist jedoch nie statisch, sofern er von der Einsicht geleitet ist, dass die Wahrheit immer größer ist als das, was wir gerade von ihr wissen (veritas semper maior). Die erkenntnistheoretische Konzeption erinnert in ihren Grundzügen frappant an Schleiermachers Dialektik, die S. jedoch nicht erwähnt.
Diese grundsätzlichen Überlegungen bestimmen S.s Verständnis von Erfahrung. Das Programm des vorliegenden Werkes be­steht darin, der Frage nachzugehen, welche Auswirkungen eine solcherart rekonstruierte Transzendentalphilosophie für die Theologie haben kann. Freilich muss, damit das möglich wird, noch ein weiteres Theorieelement hinzukommen, die Annahme, dass zur »allgemeinen Transzendentalphilosophie«, die sich mit dem Zustandekommen von Erfahrung schlechthin beschäftigt, »spezielle Transzendentalphilosophien« hinzukommen, weil es, so S., eine Pluralität gleichberechtigter Formen von Erfahrung gibt, von denen eine die »religiöse Erfahrung« ist. S. geht davon aus, dass religiöse Erfahrung die Grundlage aller Religion ist und dass deshalb die transzendentalphilosophische Analyse solcher Erfahrung der Beitrag ist, den die Philosophie für die Theologie leisten kann.
Es macht die Stärke des Werkes aus, mit welcher Stringenz dieser Ansatz in der Untersuchung der Einzelfragen durchgehalten wird. So basiert der umfangreiche zweite Band des Werkes zur Gotteslehre auf der Grundannahme, dass philosophische Rede von Gott nur gerechtfertigt sei, sofern gezeigt werden könne, dass die Philosophie den ursprünglich in der Religion beheimateten Gottesbegriff in einer Weise aufzunehmen in der Lage sei, die seinem religiösen Erfahrungsgehalt gerecht werde. Demgegenüber habe die klassische Metaphysik die Gleichsetzung des ens perfectissimum mit dem Gott der Religionen postuliert, nicht jedoch begründet; gerade auf diese Begründung komme es jedoch, wie S. gut kantisch argumentiert, an. S. bemüht sich daher in diesem Zusammenhang um ein Zweifaches: um die transzendentalphilosophische Interpretation der religiösen Rede von Gott und um die Rekonstruktion der philosophischen Gotteslehre unter der genannten Prämisse des Primats der religiösen Erfahrung.
Auch wenn S.s Religionsphilosophie so einen klar hermeneutischen Grundzug hat, verzichtet sie keineswegs auf normative Aussagen. Sofern religiöse Erfahrung, wie alle Erfahrung, Dialog mit der Wirklichkeit ist, wird sie defektiv, wenn sie monologisch wird; in diesem Sinn gehören Anrede und Entgegnung, das Hören wie das Reden, unabdingbar zum Wesen religiöser Erfahrung. Aber das ist nicht alles. S. argumentiert für eine vierdimensionale Struktur religiöser Erfahrung (bezogen auf Transzendenz, Ethik, Hoffnung, Geschichte), die er – in Anlehnung an die mittelalterliche Lehre vom vierfachen Schriftsinn – als deren allegorische, tropologische, an­agogische und historische Bedeutungsmomente bezeichnet, und er leitet daraus die Möglichkeit ab, von Fehlformen religiöser Erfahrung zu sprechen, die immer dort zu konstatieren seien, wo eines dieser Momente ausfällt. Mustert man freilich die Liste der sich so ergebenden Beispiele fehlerhafter Religion, kann man sich des Verdachts nicht erwehren, dass historisch betrachtet die Fehlformen bei Weitem dominieren – zumal außerhalb des Christentums, das in idealer Gestalt zweifellos die Folie für S.s Konstruktion abgibt.
Diese Beobachtung wirft die weitergehende Frage nach dem Charakter von S.s Unternehmung auf. S. nennt sein Werk bewusst eine Philosophische Einübung in die Theologie. Damit ist offenbar ein anderes Verhältnis zwischen den beiden Disziplinen im Blick, als wenn z. B. von Religionsphilosophie gesprochen wird. Es geht offenbar tatsächlich und primär um eine philosophische Reflexion von Fragen, die im Rahmen der Theologie, und zwar der christlichen, näher noch: der katholischen, geklärt werden müssen. In diesem Rahmen ist dann, so möchte man meinen, eine gewisse Perspektivität durchaus berechtigt und angebracht. Denn der Philosoph lässt sich hier ganz bewusst auf spezifische Problemstellungen ein, die sich aus der Tradition einer bestimmten historischen Reflexionsform von Religion ergeben. Und in der Tat erfüllt S.s Werk diesen Anspruch durch ein bemerkenswertes (auch bemerkenswert kompetentes) Eingehen auf theologische Themen, oft in der Form von im Grunde theologischen Exkursen. Gleichzeitig jedoch ist ein religionsphilosophischer Anspruch von S. unverkennbar, der sich in der Rede vom »religiösen Akt« oder eben der »religiösen Erfahrung« oder auch in der expliziten Einbeziehung der Religionsgeschichte zeigt. Nimmt man diesen Anspruch jedoch ernst, dann wird die Bezogenheit auf die christliche Theologie jedenfalls potentiell zum Problem. Denn angesichts der pluralen Ausdrucksformen, in denen Religion vorkommt und sich äußert, scheint die Postulierung von religiöser Erfahrung oder einem religiösen Akt im Singular und die Möglichkeit ihrer Erkenntnis zumindest der Begründung bedürftig. S. jedoch geht auf empirische Fragen in diesem Zusammenhang praktisch nicht ein, und so bleibt die Möglichkeit im Raum stehen, dass der von ihm behauptete materiale Gehalt religiöser Erfahrung faktisch im Rückschluss aus deren theologischer Interpretation gewonnen wurde. Dies jedoch würde für sein religionsphilosophisches Programm einer transzendentalphilosophischen Rekonstruktion religiöser Erfahrung als Grundlage theologischer Urteilsbildung erhebliche methodische Probleme aufwerfen, weil dieses Programm doch offenbar davon ausgehen muss, dass es einen vortheologischen Zugang zu einer solchen Form von Erfahrung gibt.
An dieser Stelle zeigt sich, dass S. auf die alte Frage nach dem Verhältnis von Theologie und Philosophie zwei denkbare Antworten gibt oder doch impliziert. Vordergründig geht es ihm sichtlich um ein gewissermaßen partnerschaftliches Miteinander, in dem die eine Disziplin in die andere »einübt«. Andererseits jedoch arbeitet er unverkennbar mit einem Begriff von Philosophie als allgemeins­ter Reflexionsform, wogegen die Theologie es dann mit dem historisch-kulturellen Spezialfall des Christentums zu tun hat – in diesem Sinn wäre die Religionsphilosophie gegenüber der Theologie fundierend. Fragt man hier weiter nach einer Verbindung dieser beiden Antworten, dann verweist manches in S.s Werk (nicht zu­letzt seine teleologische Geschichtssicht) auf eine »inklusivistische« Lösung, in der das Christentum die Wahrheit der Religionsgeschichte vollkommen zum Ausdruck bringt und diese reflektierende Theologie deshalb der Religionsphilosophie letztlich gleich­berechtigt ist. Solch eine Antwort liegt zweifellos in der Fluchtlinie der von S. beanspruchten philosophischen Tradition. Ob man mit ihr heute noch wird leben können, ist freilich eine offene Frage – vielleicht ist bezeichnend, dass S. selbst sie an keiner Stelle direkt ausspricht.
Am Ende sind die Fragen, die an dieses Werk zu stellen sind, diejenigen Fragen, die in philosophischer wie theologischer Reflexion über Religion seit Langem nicht zur Ruhe gekommen sind. In seiner Geschlossenheit, seiner fundierten philosophischen wie theologischen Gelehrtheit sowie dem Scharfsinn und der Umsicht seiner Argumentation ist S.s Werk eine Ausnahmeerscheinung und verdient, viel und gründlich studiert zu werden.