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Ausgabe:

April/2008

Spalte:

407–409

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Danz, Christian

Titel/Untertitel:

Gott und die menschliche Freiheit. Studien zum Gottesbegriff in der Neuzeit.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2005. VII, 215 S. 8°. Kart. EUR 24,90. ISBN 978-3-7887-2122-0.

Rezensent:

Malte Dominik Krüger

In der Neuzeit fühlt sich der Mensch frei, über sein Leben selbst bestimmen zu können und zu dürfen. Im Blick auf den Gottesgedanken kann dies zu zwei extremen Haltungen führen. Auf der einen Seite wird Gott als Konkurrent menschlicher Freiheit wahrgenommen, der mit Hilfe der Religionskritik als Illusion entlarvt wird. Auf der anderen Seite steht ein religiöser Pluralismus, dessen Göttervielfalt den Menschen dazu animiert, jeweils selbst zu bestimmen, was Gott ist. Dass sich die Theologie heute dieser zweifachen Herausforderung zu stellen hat, ist die Überzeugung des anzuzeigenden Buches. Es vereint Studien des Wiener Systematikers, die teilweise schon in anderer Form veröffentlicht wurden und bei denen D. auf seine akademischen Qualifikationsarbeiten zu Schelling und Tillich zurückgreifen kann.
Die Ausarbeitung und Begründung des Zusammenhangs von Gottesgedanken und menschlicher Freiheit unter neuzeitlichen Problemanforderungen geschieht in drei Schritten. Erstens wird der epochalen Zäsur der Philosophie Kants Rechnung getragen, indem der nachkantische Gottesbegriff untersucht wird (»Gott in der nachkantischen Philosophie«). Zweitens wird die Relativierung ewiger Wahrheiten im Historismus als unhintergehbarer Problemhorizont thematisiert (»Gott im Historismus«). Und drittens wird unter gegenwärtigen Bedingungen eine Gotteslehre skizziert, die der Religionskritik und dem Problembewusstsein des religiösen Pluralismus gerecht werden will (»Gott im Zeitalter des Pluralismus«).
Ausgangspunkt des ersten Teils (9–65) ist die Diskussion um den Gottesbegriff in der nachkantischen Philosophie bei Jacobi, Schelling und Fichte (9–27). D. plädiert im Anschluss an Fichte und Schelling dafür, den Gottesgedanken vernunftgemäß zu fassen, weil er so als etwas verständlich wird, was der Mensch braucht, um seine eigene Freiheit zu verstehen. Besonders klar findet D. diese Einsicht in der Spätphilosophie Schellings begründet, die er ausführlich zum Referenzpunkt seiner Überlegungen macht (28–65). Der Gedanke der Persönlichkeit Gottes steht hier für das Moment der Unbedingtheit, mit der sich das menschliche Bewusstsein selbst erfasst. Die damit verbundene Infragestellung vormoderner Absolutheitsansprüche wird im zweiten Teil aufgenommen (69–128). Im Anschluss an Ernst Troeltsch (69–87), dessen Konzept ethischer Normenbegründung in die Nähe von Schellings Spätphilosophie gerückt werden kann, werden exemplarisch die Theologien von Friedrich Gogarten (88–101) und Paul Tillich (102–128) untersucht. Beide wollen den Historismus durch Geschichtstheologien überwinden, deren Pointe jeweils im Reflexivwerden des religiösen Bewusstseins in seiner geschichtlichen Situation besteht. Während bei Gogarten der Glaubensbegriff entscheidend ist, wird bei Tillich unter Rückgriff auf Schelling die Trinitätslehre wichtig. Bei Tillich drückt die Rede vom trinitarischen Gott das Selbstverhältnis des Geistes aus, das sich in der geschichtlichen Selbsttransparenz und Freiheit des religiösen Bewusstseins zeigt. Angesichts der ersten beiden Teile ist es nur konsequent, wenn D. im dritten Teil (131–215) der Religionskritik von Günter Dux (131–158) mit der Überlegung begegnet, dass der Gottesgedanke für das Selbstverständnis der menschlichen Freiheit konstitutiv ist. Diese Einsicht kann auch das Kriterium sein, um – im Kontext der Diskussion über eine Theologie der Religionen (159–188) – zu einer Wertung von religiösen Deutungssystemen zu kommen. Für den Entwurf einer von der gegenwärtigen Dogmatik verantworteten Rede von Gott (189–215) bedeutet die grundlegende Einsicht von D., den Gottesgedanken für haltbar zu erachten. Denn für den Aufbau und Vollzug endlicher Freiheit, wie sie der gelebten Religion zu Grunde liegt, ist der Gottesgedanke wesentlich. In ihm erfährt das religiöse Bewusstsein die uneinholbare Faktizität seines Vollzugs, wie sie für die Selbsterfassung des Bewusstseins unhintergehbar und unbedingt ist.
Bilanzierend kann festgehalten werden: Die zentrale Einsicht von D. besagt, dass »Gott« kein absolutes und transmundanes Subjekt im Sinne einer Ursprungslogik bezeichnet. Vielmehr ist »Gott« ein notwendiges Moment im Aufbau und Vollzug menschlicher Freiheit, und zwar im Sinn der Unbedingtheit menschlicher Selbstbestimmung (vgl. dazu: 5.26 f.59 f.65.127 f.157 f.174–182.208–215). Diese Einsicht verfolgt D. konsequent in gut lesbaren Fallstudien, die auch religionssoziologische und -wissenschaftliche Er­kenntnisse einbeziehen. Ein Namen- und Sachregister hätten die vielfältigen Querverweise gut erschließen können.
Was die Triftigkeit der zentralen Einsicht von D. angeht, ist zu fragen, ob die wiederholt angeführte Spätphilosophie Schellings als Referenzpunkt taugt: Geht es dem späten Schelling nicht darum, Gott im Rahmen einer trinitarischen Theorie des Absoluten als die unbedingte Freiheit zu bestimmen, die auch im Fall ihrer Erscheinung in der menschlichen Freiheit von derselben unterschieden bleibt? Und kann der Sache nach nicht nur so der menschlichen Freiheit eine Eigenständigkeit zugeschrieben werden? Mit anderen Worten: Vermag nicht nur derjenige Gottesgedanke, der nicht auf eine bewusstseinstheoretische Funktion reduziert werden kann, als Garant menschlicher Freiheit zu fungieren? Und legt dies nicht mit dem späten Schelling und heute etwa im Anschluss an Saul A. Kripke nahe, das Wort »Gott« vor allem als Eigennamen zu bestimmen?