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Ausgabe:

April/2008

Spalte:

403–404

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Myers, Benjamin

Titel/Untertitel:

Milton’s Theology of Freedom.

Verlag:

Berlin-New York: Walter de Gruyter 2006. XIX, 209 S. gr.8° = Arbeiten zur Kirchengeschichte, 98. Lw. EUR 74,00. ISBN 978-3-11-018938-4.

Rezensent:

Michael Weichenhan

T. S. Eliot konstatierte 1935 eine Kluft zwischen Milton als theologischem und philosophischem Denker einerseits und dem Dichter andererseits. Jenes Diktum ist seither häufig zitiert worden, vor allem in der Absicht, den Abstand zu überwinden bzw. als tatsächlich nicht vorhanden aufzuweisen, da der Dichter vom Theologen nicht zu trennen sei. Freilich: Erforschung der theologischen Quellen und Rekonstruktion des geistesgeschichtlichen Kontextes lässt jene von Eliot empfundene Kluft nicht geringer, sondern eher noch größer erscheinen. Denn bekanntlich missbilligte dieser das »Getöse« der Miltonschen Sprache, während er für den theologischen Denker Sympathie empfand, war dessen Paradise Lost (P. L.) doch aus einer Spannung entstanden, die seinem eigenen Weg vom puritanisch geprägten Amerikaner zum britischen Staatsbürger, der sich einer »anglokatholischen« Haltung rühmte, in gewisser Hinsicht ähnelte. Milton, der als politischer Autor eine scharfe Feder gegen Royalisten und Papisten zu führen wusste, den hochkirchlichen »Laudianism« und den katholisierender Tendenzen verdächtigen »Arminianismus« ablehnte, schuf mit P. L. ein Epos, das den Zwist theologischer Parteiungen hinter sich ließ. Es gehört keiner der Konfessionen, sondern ist im buchstäblichen Sinne »katholisch«.
M.s Studie reiht sich ein in eine Fülle von Arbeiten, die in den letzten Jahrzehnten erschienen und die intellektuellen Hintergründe erhellen, die zum historischen Verständnis von Miltons großem Bibelepos unabdingbar sind. Das Programm, das er verfolgt, ist darum ehrgeizig und insofern sympathisch: M. möchte – was freilich noch keinesfalls originell ist – den Dichter Milton aus Lesarten befreien, die ihn entweder als orthodoxen Theologen oder als einen Autor interpretieren, der mehr oder minder latent häretische Auffassungen artikuliert habe, wobei die Diagnose des Arianismus vergleichsweise harmlos erscheint. Das bedeutet, ihn in der Vielfalt der Bezüge zu den bekanntlich äußerst disparaten theologischen Richtungen im England des 2. Drittels des 17. Jh.s zu sehen, die mit den Etikettierungen insbesondere des »Arminianismus«, aber auch des »Puritanismus« und »Calvinismus« nur unzureichend erfasst werden können. Er stellt in Aussicht, den theologischen Denker nicht über dem Dichter zu vernachlässigen, sondern die Rekonstruktion des Freiheitsverständnisses an der epischen Erzählung selbst zu orientieren, nicht an von außen herangetragenen theologischen Topoi. Und schließlich soll die Dichtung zwar als historisches Phänomen erfasst, aber nicht konserviert werden. Kurz: Methodisch versucht M., zwischen bereits eingeschlagenen Wegen der Miltoninterpretation zu vermitteln, deren Intentionen aufzunehmen und dabei extreme Positionen zu meiden. Leitfaden der Untersuchung ist dabei der problematische Begriff der Freiheit, also des spezifischen Vermögens, unter bestimmten Bedingungen eine bestimmte Handlung auszuführen oder nicht. Zweifellos war der Mensch als freies Wesen geschaffen worden, aber, und an dieser Stelle divergierten die Meinungen der Theologen, es stellte sich die Frage, ob er nach seinem Fall überhaupt noch und in welcher Hinsicht er gegebenenfalls frei zu nennen war. Das Problem, das M. inhaltlich zu lösen unternimmt, besteht darin, die Position des Autors des P. L. auf dem unübersichtlichen Feld zu bestimmen, auf dem sich Theologen und über religiöse Auffassungen definierte Parteien erbittert befehdeten, wobei die Leidenschaft der Wahrheitssuche mit machtpolitischem Kalkül und der Bereitschaft zur Gewaltanwendung eine enge Verbindung eingegangen war.
M. gliedert seine Darstellung in sechs Kapitel; einem recht oberflächlichen Überblick über theologische Konzeptionen der Freiheit zwischen Augustinus und Miltons unpublizierter Schrift »De doctrina christiana« folgt das »The Satanic Theology of Freedom« überschriebene Kapitel, das in den Reden des gefallenen Lucifer grundlegend die Prädestinationslehre des orthodoxen Calvinismus wiedergegeben sieht. Auf diesem Hintergrund entfalten die vier folgenden Kapitel eine weitgehend »arminianische« Auffassung von der Freiheit des Menschen und seiner Erwählung: Der frei geschaffene Mensch konnte des paradiesischen Zustandes verlus­tig gehen, auch der gefallene kann die gnädig wieder gewährte Freiheit ausschlagen. M.s These: Gnade restituiert, was durch den Ungehorsam verspielt zu sein schien, sie determiniert nicht.
Auch diese These ist nicht neu. M.s Buch, das trotz seiner Kürze von einer beeindruckenden Kenntnis der zeitgenössischen Theologie zeugt, bietet eine Fülle von Stellen, die die Konvergenz zwischen P. L. und einer arminianischen Theologie belegen sollen. Interpretatorische Fragen, die sich an diesem Punkte stellen, lässt es allerdings unbeantwortet. Belegt das Epos so etwas wie eine »Konversion« Miltons zum Arminianismus, einmal vorausgesetzt, hinter dem Etikett stünde eine identifizierbare theologische Gruppierung? Ist die Balance zwischen göttlichen und menschlichen Akteuren Ausdruck einer im engeren Sinne theologischen Entscheidung und nicht mindestens auch der epischen Form geschuldet, wie sie Milton bspw. in Vergils Aeneis paradigmatisch ausgeprägt fand? Und schließlich: Lässt sich Miltons »Theology of Freedom« überhaupt auf dem Tableau herkömmlicher theologischer Richtungen erfassen? Spricht die in hohem Maße individuelle Gestaltung und die Rezeption des Epos in unterschiedlichen Kontexten nicht eher dafür, sie jenem neuzeitlichen Phänomen zuzuordnen, das Amos Funkenstein »secular theology« genannt hat, einer Theologie von Laien, deren Fragestellungen auf diese Welt bezogen waren? – Über den theologischen Dichter Milton und seine Stellung im zeitgenössischen Kontext erfährt der Leser deshalb kaum etwas Neues.