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Ausgabe:

April/2008

Spalte:

391–393

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Rose, Miriam

Titel/Untertitel:

Fides caritate formata. Das Verhältnis von Glaube und Liebe in der Summa Theologiae des Thomas von Aquin.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007. 303 S. gr.8° = Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, 112. Geb. EUR 59,90. ISBN 978-3-525-56342-7.

Rezensent:

Volker Leppin

Der Titel zeigt es an: Diese systematisch-theologische Dissertation führt mitten hinein in kontroverstheologisch vermintes Gelände. Die Formel von der »fides caritate formata«, Herzstück der Rechtfertigungslehre des Thomas, wird in dieser Arbeit einer sensiblen und umsichtigen Interpretation zugeführt.
R. exponiert ihr Thema in großer Klarheit in einer Einleitung, in der sie deutlich macht, dass die Untersuchung der »fides caritate formata« neben rechtfertigungstheologischen auch epistemische, willenstheoretische und im engeren Sinne theo-logische Aspekte betrifft. Es ist gerade die Weitung des Horizonts über die im strengen Sinne rechtfertigungstheologischen Fragen hinaus, die die Stärke der Arbeit ausmacht. Insbesondere die epistemischen und willenstheoretischen Fragestellungen führen sie in den weiten Horizont der thomasischen Tugendtheorie, der ihr die Möglichkeit zu einer eigenständigen Behandlung der Fragestellung gibt.
Solche Eigenständigkeit zu zeigen ist auf einem Feld nicht leicht, das bis heute durch so umfassende und grundlegende Arbeiten wie die von Otto Hermann Pesch bestimmt ist – R. entgeht der Versuchung, ihm gegenüber die Neuheit ihres eigenen Ansatzes überzuakzentuieren. Sie macht deutlich, was sie ihm verdankt, setzt sich aber, wo es ihr nötig scheint, auch vorsichtig-sensibel von ihm ab.
All dies tut sie mit einem klaren und realistischen Blick für das evangelische Publikum, das sie erreichen will und bei dem sie nur eine begrenzte Kenntnis des Aquinaten voraussetzt und wohl auch voraussetzen kann. Das prägt die beiden ersten Kapitel, die in die Summa Theologiae einführen und deutlich länger geraten sind, als dies für den Spezialdiskurs der theologischen Mediävistik nötig gewesen wäre. Herausgekommen ist auf etwas mehr als 100 Seiten eine lesenswerte, klug im Blick auf das eigene Anliegen akzentuierte Einführung in die Summa für evangelische Leser: Das erste Kapitel behandelt die Entstehung dieses Werkes und lässt schon in der Weise, in der sorgsam heutiges Leserinteresse von seinerzeitigem Verfasserinteresse unterschieden wird, erkennen, dass eine evangelisch-theologische Arbeit über ein Hauptwerk der mittelalterlichen Theologie gerade darin dem systematisch-theologischen Interesse dient, dass sie so nüchtern wie möglich historisch arbeitet – und dass R. genau dazu in der Lage ist. Das zweite Kapitel bietet einen – bereits auf die Frage nach dem Glauben ausgerichteten– Überblick über Aufbau und Inhalt der Summa. Schon hier fällt eine wichtige Grundentscheidung, wenn R. hervorhebt, dass Thomas’ Konzept der theologischen Tugenden letztlich die »wesentlichen Bedeutungsgehalte des aristotelischen Tugendbegriffs aufhebt« (141). Da wird mancher römisch-katholische Leser das Verhältnis von Theologie und Philosophie nicht ausgewogen genug dargestellt finden, mancher evangelische meinen, dass die Färbung der Theologie durch Philosophie bei Thomas zu wenig kritisch hervorgehoben werde – und vielleicht unterstreicht gerade diese doppelt mögliche Kritik, dass der Satz vieles für sich hat: nämlich die Quellen.
Der eigentliche argumentative Kern der Arbeit findet sich freilich im dritten Kapitel, das den Glauben bei Thomas behandelt, en passant zugleich auch seine Methode sehr schön charakterisiert: S. 161 zeigt R. wie Thomas in einem Syllogismus Aristoteles und Paulus (Röm 5,1) miteinander verbindet, um sein Verständnis des Glaubens als Tugend zu entwerfen, dabei freilich Aristoteles schon von vorneherein »aus christlich-biblischer Perspektive« liest. Breit wird, Thomas folgend, das Verhältnis des Glaubens zu anderen epis­temisch ausgerichteten Tugenden dargestellt, ehe auf S. 206–218 unmittelbar auf das Thema zugesteuert wird: »Die Bedeutung der Liebe für den Glauben«. Peschs Deutung, dass die thomasische Formel »ein echtes sola fide« sei, soll noch einmal überprüft werden, da die geringe Rezeption dieser Aussage nach R. dadurch bedingt sei, dass Pesch sie nicht mit thomasischer Begrifflichkeit rekonstruiert habe. Diese greift nun R. auf, insbesondere durch die wichtige Beobachtung, dass die Formel unzureichend verstanden ist, wenn man die thomasisch-aristotelische Unterscheidung von Habitus und Akt nicht berücksichtigt. Beachtet man sie, so wird, wie R. einleuchtend darlegt, rasch deutlich, dass die Rede von der »fides caritate formata« sich auf Akte bezieht, nicht auf den Habitus. Berück­sichtigt man dies, so kann man, wie R. im Anschluss an Gunther Wenz formuliert, sagen, »daß nicht das Werk der Liebe, sondern der Glaube rechtfertigt« (214). Freilich hätte man es gerade an diesem – nicht zuletzt angesichts des Streites um die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre – höchst sensiblen Punkt gerne genauer: Ist mit dieser unzweifelhaft richtigen Aussage – angesichts dessen, dass Thomas nach R.s Deutung immer, wenn er »ohne weitere Differenzierung vom Glauben spricht … den beformten Glauben« meint (208) – ein »sola fide« ausgedrückt? Das Gegenüber zum Werk der Liebe ist nicht die einzig mögliche Gegenüberstellung, vor allem aber ist diese Form von Gegenüberstellungen letztlich dann doch geprägt von dem Horizont der in der Reformation aufgebrochenen Differenzen, und man wird fragen müssen, ob sie angemessen sind, die von R. zu Recht methodisch in den Vordergrund gestellte Verfasserintention einzuholen. Gerade weil R. durch ihren überlegten und kundigen Zugriff sehr viel dafür geleistet hat, sie herauszuarbeiten, hat man die Möglichkeit, an dieser Stelle etwas skeptischer gegenüber einer Annäherung des Thomas an reformatorische Positionen zu bleiben, als sie es selbst andeutet.
Zwei weitere kurze Kapitel behandeln Hoffnung und Liebe und machen so die Arbeit auch zu einer knappen Grundlagenstudie zu den theologischen Tugenden bei Thomas. Sehr erhellend wird das thomasische Verständnis von caritas als Freundschaft von einem mystisch-bräutlichen Verständnis unterschieden und diese Konzeption in ein Verhältnis zu anderen Tugenden gesetzt.
In einem abschließenden eigenen Kapitel zur »Verhältnisbestimmung von Glaube und Liebe« greift R. dann noch einmal die Grundfrage ihres Buches auf und zeichnet sie in eine an Thomas orientierte Handlungstheorie ein. Dies führt sie nicht einfach zu einer Harmonisierung des Thomas mit reformatorischer Theologie, sondern zu einer sehr präzisen Beschreibung von Entsprechung und Differenz: »Thomas kann so die Werke wirklich als Früchte denken, und die Heiligung als von der Sache her notwendig aus der Rechtfertigung folgend. Dagegen kann Thomas die Gebrochenheit der menschlichen Existenz, die in der Rechtfertigung als sie selbst immer noch eine der Sünde ist, nicht einmal in den Blick bekommen« (278). Blickt man auf die Konsequenzen im ökumenischen Dialog, macht diese Formulierung verständlich, warum auch im Kontext der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre das Verständnis des Simul iustus et peccator als bleibende Differenz beschrieben worden ist – und sie verzichtet auf die Illusion, dass diese Differenz leicht zu überwinden sei.
Dies ist charakteristisch für die Ausgewogenheit der Studie. Sie stellt einen gehaltvollen, weiterführenden Beitrag für theologische Mediävistik in ökumenischem Horizont dar. Wer als evangelischer Theologe Thomas verstehen will, sollte zu R.s Studie greifen.