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Ausgabe:

April/2008

Spalte:

384–386

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Woyke, Johannes

Titel/Untertitel:

Götter, ›Götzen‹, Götterbilder. Aspekte einer paulinischen ›Theologie der Religionen‹.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2005. XVI, 570 S. gr.8° = Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft, 132. Lw. EUR 138,00. ISBN 3-11-018396-X.

Rezensent:

Christian Strecker

Die 2003 bei Hans-Joachim Eckstein in Tübingen fertiggestellte und für den Druck geringfügig überarbeitete Dissertation widmet sich einem im exegetischen Diskurs eher randständigen, im Hinblick auf die systematisch-theologische Debatte über eine Theologie der Religionen aber wichtigen Thema, nämlich der Bewertung paganer Götter(bilder) in den Protopaulinen. W. behandelt das Thema im Horizont dreier Problemkreise. Er fragt 1. nach dem paulinischen Verständnis des Wesens und der Existenz nichtjüdischer Götter(bilder), 2. nach der paulinischen Bewertung paganer Religiosität und 3. nach dem Profil der paulinischen Missionspredigt.
Die Textgrundlage der Studie orientiert sich am lexikalischen Befund des Auftretens der einschlägigen Termini θεοί und εἴδωλα (bzw. εἰκών) in 1Thess 1,9b–10; 1Kor 8,4–6.7; 10,19–20; 12,2; 2Kor 6,14–16a; Gal 4,8–9 und Röm 1,23.25. Bei der Untersuchung der Passagen finden zwei Methoden ausgiebig Anwendung: die Analyse der Syntax und die religionsgeschichtliche Verortung der Texte.
Zur religionsgeschichtlichen Verortung sichtet W. eine beeindruckende Fülle von Aussagen in jüdischen und nichtjüdischen Quellen. Dies geschieht in sechs Exkursen zu folgenden Themen: 1. die Begriffe θεοί und εἴδωλα in der Septuaginta (samt des Sprachgebrauchs in der Gräzität, im Alten Testament, im hellenistischen Judentum, im Neuen Testament und in der frühchristlichen Apologetik); 2. die nichtjüdische Götter- und Götterbilderkritik; 3. der sog. biblische Monotheismus; 4. die Profilierung von Dämonen und Göttern in diversen antiken Diskursen; 5. die Begriffe θεός und εἴδωλον im weiteren bzw. übertragenen Sinn bei Philo und Paulus; 6. die ersten beiden Dekaloggebote und die theologia tripertita. Von besonderer Bedeutung sind die im dritten Exkurs entwi­ckelten generellen Unterscheidungen zum Problem der Einheit und Vielfalt des Göttlichen. Dieses sei zu untergliedern »in die ontologische Fragestellung nach der Existenz (Monotheismus – Polytheismus), den archontologischen Aspekt der Herrschaft (Monarchie– Polyarchie) und die latreiologische Frage nach der Verehrung eines Gottes oder vieler Götter (Monolatrie – Polylatrie)« (164). In punkto Existenz sei im Fall des Monotheismus weiter zu unterscheiden, ob den Göttern jegliches Sein oder speziell göttliches Sein abgesprochen werde, bei der Herrschaft, ob diese partikular oder universal sei, und bei der Verehrung, ob gruppeneigene oder gruppenfremde Anschauungen vorlägen.
Methodisch beruft sich W. überdies auf die von J. Chr. Beker entwickelte Unterscheidung zwischen gelegenheitsbedingt variablen (Kontingenz) und feststehenden Anschauungen (Kohärenz) bei Paulus.
Die Studie besteht aus neun Kapiteln. Die darin entfalteten Analysen und Thesen können hier nur in Auswahl gesichtet werden.
Nach einer knappen Einführung in das Thema und einem auf die deutschsprachige Literatur beschränkten forschungsgeschichtlichen Überblick in Kapitel 1 widmen sich die Kapitel 2–8 den Paulustexten:
In 1Thess 1,9b–10 zitiere Paulus kein urchristliches Missionsschema. Die Verse bildeten vielmehr den auf aktuelle Themen abgestimmten vorläufigen Abschluss des Proömiums, enthielten aber auch Inhalte der Erstverkündigung. Letzteres gelte für die Charakterisierung Gottes als θεὸς ζῶν καὶ ἀληθινός. Sie konnotiere zugleich die Schöpfungsmacht Gottes und die Ohnmacht und Falschheit der paganen Götter(bilder). Die eschatologisch-pneumatologische und christologische Zuspitzung der Charakterisierung durch Paulus spreche gegen einen propädeutischen Charakter der Gottesverkündigung. Bei den Adressaten der Erstverkündigung handle es sich nicht um monotheistisch gesinnte Got­tesfürchtige, sondern um Polytheisten oder Sympathisanten der Synagoge, die den einen Gott im Rahmen eines monarchischen Polytheismus oder eines synkretistischen Monotheismus verehrten. 1Kor 8,4b–6 bilde syntaktisch eine Einheit. Es handle sich um usuelle, konkret-monotheistische Konvertitenkatechese, die die Neubekehrten in ihrer Bindung an den wahren Gott festigen und identitätsstiftend wirken wolle, die aber auch theologische Basis in der aktuellen εἰδω­λόθυτον-Problematik sei. Die Unvergleichlichkeit des allmächtigen, durch seinen Sohn Jesus Christus als Retter identifizierbaren Vaters depotenziere und degradiere die konventionell »Götter« genannten Wesen, deren Macht in der langjährigen, das Gewissen (συνείδησις) prägenden Gewohnheit (συνήθεια) ankere (1Kor 8,7). Diese Depotenzierung und Degradierung der Götter werde in 1Kor 10,19–20 monolatrisch vertieft, indem der Verzehr von εἰδωλόθυτα durch die Einführung des Dämonenbegriffs tabuisiert werde. Dabei gehe es aber – wie im Übrigen auch in 1Kor 8,4b–6 – nicht um eine ontologische Aussage über die Existenz der Götter. In 1Kor 12,2 spreche die Rede von den »stummen Götter(bilder)n« diesen jegliche pneumatische Wesenhaftigkeit ab. Das schwierige Syntagma ὡς ἂν ἤγεσθε weise ein auf die ehedem quasi schicksalhafte Verblendung der Korinther, nichtige Götter zu verehren, wobei die Uneigentlichkeit der Rede den Anspruch auf Schuldlosigkeit ab­wehre. Die in 2Kor 6,14–16a entfaltete Forderung, nicht an einem Strang mit Ungläubigen zu ziehen, gründe im Kil’ajim-Gesetz (Lev 19,19; Dtn 22,10). Beliar dürfe hier nicht auf eine Ebene mit den εἴδωλα gestellt werden. Die Kontrastierung des Tempels Gottes mit Götter(bilder)n fungiere als Appendix. In Gal 4,8 f. nehme der Apostel in der Wendung Êύσει μὴ ὄντες θεοί die sophistische Unterscheidung von Wirklichkeit und Setzung auf und spreche den nichtjüdischen Göttern jeglichen Anteil an der göttlichen Wirklichkeit ab. Ihre Bezeichnung als στοιχεῖα τοῦ κόσμου erkläre sich aus der stoisch informierten kultischen Verehrung der Elemente. Mit dem Nomos stimmten die στοιχεῖα darin überein, indirekt die Sünde hervorzubringen und Sünder der göttlichen Strafe preiszugeben, dem Menschen aber kein Leben schenken zu können. In den Vertauschungsaussagen in Röm 1,23.25 begegne Missionstheologie, nicht Missionsverkündigung. Aus christlicher Retrospektive beschrieben die Verse die schuldhafte Verkehrung der Gotteserkenntnis aus Werken, und zwar (den ersten beiden Dekaloggeboten folgend) hinsichtlich der Darstellung und Identität Gottes.
Kapitel 9 fasst wichtige Ergebnisse zusammen. Paulus ordne die paganen Götter(bilder) nicht dem Motivfeld »Mächte und Gewalten« bzw. »Herrscher dieses Äons« zu. Es ginge nicht um Angelologie oder Dämonologie, sondern um Anthropologie, da die paganen Götter nur auf Grund menschlicher Konventionen »existierten« und in der Gewissensbindung mächtig seien. Ihre Charakterisierung als stumm ginge funktional mit der gelegenheitsbedingten Etikettierung als Dämonen zusammen, insofern Paulus gleichermaßen deren archontologische Depotenzierung, ontologische Degradierung und latreiologische Tabuisierung verfolge. Idolatrie sei für Paulus ein Auswuchs der Sarx, eine Verblendung, die angesichts der primordialen Gotteserkenntnis schuldhaft sei. Der Apos­tel bewerte die pagane Religiosität nicht per se, sondern aus christlicher Retrospektive, um die neue christliche Identität zu stärken. Auch wenn die paulinische Missionspredigt nicht mehr genau rekonstruiert werden könne, sei klar, dass Paulus den wahren Gott als allmächtigen Schöpfer verkündigte, der sich zugleich als die Gemeinde erwählender und rettender Vater identifizieren lasse. Diese Gottespredigt sei konstitutiv mit der Verkündigung des Sohnes wie auch der Auferweckungs- und Rechtfertigungsbotschaft verbunden gewesen.
W. hat eine inhaltsreiche Studie mit interessanten Detailbeobachtungen, erhellenden Vergleichstexten und pointierten Thesen vorgelegt. Allerdings verlangen zumal die syntaktischen Analysen, die akribisch alle nur denkbaren Zuordnungen diskutieren, eine hohe Konzentration beim Lesen. Man wird ihnen ebenso wie den inhaltlichen Deutungen nicht immer folgen mögen, was hier indes nicht im Einzelnen erörtert werden kann. Fragen wirft die eng begrenzte Textbasis auf. Ist die weitgehende Ausblendung von Aussagen über Götzendienst, -opferfleisch und -tempel (34, Anm. 170), über Mächte und Gewalten wirklich sinnvoll? Werden damit nicht einseitige Ergebnisse präjudiziert? Nicht reflektiert wird auch die Problematik der Anwendung des Begriffs »Heide(n)«. Da die Inklusion der Nichtjuden in der new perspective on Paul eine zentrale Rolle spielt, ist es bedauerlich, dass W. dieses Auslegungsparadigma weithin übergeht. All dies ändert nichts daran, dass W. eine wichtige Untersuchung verfasst hat, die Aufmerksamkeit verdient und umfangreiches Material zur Weiterarbeit zur Verfügung stellt.