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Ausgabe:

April/2008

Spalte:

373–374

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Moore, Megan Bishop

Titel/Untertitel:

Philosophy and Practice in Writing a History of Ancient Israel.

Verlag:

New York-London: T & T Clark (Continuum) 2006. IX, 205 S. gr.8° = Library of Hebrew Bible/Old Testament Studies, 435. Lw. £ 65,00. ISBN 0-567-02981-6.

Rezensent:

Hermann Michael Niemann

Diese Dissertation entstand unter Beratung von John H. Hayes am Hebrew Bible Department, Emory University, Candler School of Theology. Hayes hat u. a., zusammen mit J. Maxwell Miller, das sehr empfehlenswerte Lehrbuch »A History of Ancient Israel and Judah« (Philadelphia: Westminster 1986) geschrieben. So wird man das methodologisch und wissenschaftsgeschichtlich orientierte Buch seiner Schülerin mit Interesse aufschlagen – und wird nicht enttäuscht.
Methodologische Betrachtungen wie auch Rückblicke mit entsprechendem Abstand machen (selbst-)kritischen Beteiligten und Unbeteiligten die Fortschritte, aber auch die Irrungen und Wirrungen des wissenschaftlichen Diskurses deutlich und sind deshalb zu begrüßen. M. hat dies für ein besonders heiß umstrittenes, komplexes Gebiet der letzten ca. drei Jahrzehnte in ausgewogener Weise geleistet. Sie setzt im Kapitel 1 ein mit einer grundlegenden Betrachtung von »Current Philosophical Issues in History Writ­ing«, speziell »empiricism«, »postmodernism«, »objectivity«, »re­p­resentation and language«, »explanation and subject« sowie »truth«. Die sorgfältige Darstellung macht deutlich, dass Ge­schichtsschreibung, die der Rezensent, sicher verkürzt, als »Konstruktion von Vergangenheit« versteht, heute nicht mehr nur auf der Grundlage der Humanwissenschaften, sondern auch (aber nicht alternativ) auf der von Sozialwissenschaften betrieben werden muss. Kapitel 2 widmet sich dem »Material«, aus dem das Geschichtsbild »konstruiert« wird (»Evaluating and Using Evi­dence«), vor allem Texten, Artefakten und deren Verhältnis zueinander. Freilich sind Texte auch Artefakte. Und Geschichte kann, spätestens seit der Annales-Schule (oder auch dem zu Unrecht weithin vergessenen Wirtschafts-, Kultur- und Universalhistoriker Karl Lamprecht [1856–1915]) nicht mehr ohne Berücksichtigung von »Soziofakten«, »Geofakten«, »Ökofakten« u. Ä. geschrieben werden. Kapitel 3 skizziert »The Assumptions and Practices of Historians of Ancient Israel in the Mid-Twentieth Century« am Beispiel der beiden überragenden »Schulhäupter« William F. Albright und Al­brecht Alt. Dazu betrachtet M. die beiden Schulen in Hinsicht auf ihre Grundauffassungen zur »Geschichtsschreibung«, zu »representation and objectivity«, »subject and explanation«, »language and narrative«, »truth«, ihren Umgang mit »evidence« (text and artifacts). Kapitel 4 beschreibt »Assumptions and Practices of Minimalist Historians of Ancient Israel« (Unterabschnitte: »History/ Historiography«, »Objectivity«, »Representation, Language, Subject, and Explanation«, »Texts«, »Artifacts«, »Combination of Texts and Artifacts«, »Summary of Minimalists and Evidence«, »Truth«, »Summary«). M. bezeichnet als »Minimalisten« Philip R. Davies, Niels P. Lemche, Th. L. Thompson und Keith W. Whitelam. Kapitel5 widmet sich demgegenüber »Non-Minimalist Historians of Ancient Israel« (Unterabschnitte: »Goals of History Writing and Rep­­resentation of the Past«, »Objectivity«, »Subject and Explanation«, »Evidence«, »Texts«, »Artifacts and the Combination of Texts and Artifacts«, »Truth«, »Summary«). Aber wie definiert M. die Position der »Minimalisten« und »Nicht-Minimalisten«? »Minimalists are scholars who generally distrust the Bible’s account of Israel’s past because they consider the text late, biased, ideological, polemical, and largely removed from the actual events and circumstances of ancient Palestine, at least until the Persian and Hellenistic periods«, für sie gelte: »Bible as narrative fiction«. »Non-minimalists are historians of ancient Israel who generally do not adhere to these assumptions« (1), d. h., dass Letztere auch biblische Texte in die Konstruktion der Geschichte Israels einbeziehen. Der Terminus »(Nicht-)Minimalist« ist nach Meinung des Rezensenten freilich nicht besonders treffend, eher ein Instrument im (polemischen) Diskurs. Auch die – bewusst verkürzenden – Definitionen von M. sind nicht ohne Probleme, denn z. B. nutzen auch »Minimalisten« biblische Informationen und »Nicht-Minimalist« bildet eine viel zu weite, kaum noch sinnvolle Kategorie, was Kapitel 5 immer wieder zeigt. Der Rezensent, nach M.s Definition ein »Nicht-Minimalist«, rechnet sich weder zum einen noch zum anderen Lager, sondern geht, wie nicht alle, aber viele »Nicht-Minimalisten« von einem methodisch verantworteten Minimum in den Daten aus, um ein hypothetisches, sinnvolles Bild zu konstruieren, das ständig gegenüber neuen Daten geprüft wird.
Ein Verdienst der sog. Minimalisten dürfte in ihrer – aber nicht nur ihrer – begründeten Forderung liegen, bei der Konstruktion der Geschichte Israels in der Antike von einem bibelzentrierten Ausgangspunkt abzurücken. Das bedeutet auch, literaturwissenschaftliche und sozialwissenschaftliche Theorien und Modelle zu nutzen, nach kulturellen und sozialen Strukturen und Mentalitäten zu fragen. »Minimalists believe explanation is an important part of history writing and seek rational explanations of historical processes, often guided by social-scientific theory« (106). M. vermisst freilich bei den »Minimalisten« eine Auseinandersetzung mit der »New Archaeology« bzw. dem »Processualism« und dem »Postprocessualism«. Minimalisten sind anscheinend nicht frei von der Gefahr, archäologische Evidenz zu überschätzen und kritische Text­analysen zu unterschätzen (90–107). M. urteilt über die sich gern als neue Schule betrachtende »Copenhagen School« nüchtern: »The Minimalist approach … can be said to be a critique, but not yet a revision, of aspects of traditional history.« (107) Etliches dieser Kritik haben manche, freilich nicht alle sog. Nicht-Minimalisten aufgenommen – darin liegt durchaus ein Verdienst der »Copenhagen School« – oder sie hatten schon vorher und unabhängig kritisch gearbeitet.
»Summary and Conclusions« (Kapitel 6, 136–183!) schließen ne­ben Literaturverzeichnis und knappem Autorenregister ein kennt­nisreiches und nützliches Buch ab, das auch nichtenglische Literatur berücksichtigt; es fehlt aber z. B. Christof Hardmeier (Hrsg.): Steine – Bilder – Texte. Historische Evidenz außerbiblischer und biblischer Quellen. Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte, 5. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2001. Ihr methodisches Ideal, dem der Rezensent zustimmt, fasst M. am Ende als »qualified correspondent truth« zusammen (183). Für ihre Leistung hat M. Respekt und Dank verdient.