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Ausgabe:

April/2008

Spalte:

370–373

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

McCarthy, Carmel [Ed.]

Titel/Untertitel:

Deuteronomy. Prepared by C. McCarthy.

Verlag:

Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 2007. XXXII, 288 S. gr.8° = Biblia Hebraica Quinta, 5. Kart. EUR 49,00. ISBN 978-3-438-05265-0.

Rezensent:

Siegfried Kreuzer

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Marcus, David [Ed.]: Ezra and Nehemiah. Prepared by D. Marcus. Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 2006. XXXII, 264 S. gr.8° = Biblia Hebraica Quinta, 20. Kart. EUR 46,00. ISBN 978-3-438-05280-3.


Die beiden hier zu besprechenden Teilbände zeigen das erfreuliche Fortschreiten der Biblia Hebraica Quinta. Sie folgen der prinzipiellen Anlage, wie sie anlässlich des ersten Teilbandes vorgestellt und diskutiert wurde (ThLZ 131 [2006], 722–725). Konkret bedeutet das, dass je ca. ein Drittel des Bandes vom eigentlichen Text (plus Apparat) eingenommen wird (1–104 beim Deuteronomium und 1–83 bei Esra/Neh). Die übrigen Teile sind die Einleitung einschließlich der diversen Abkürzungen und andererseits der Kommentar zum kritischen Apparat, dem Abschnitte zur großen und kleinen Masorah vorangehen.
Die Edition des Deuteronomiums beruht wie die BHQ insgesamt auf dem Text des Codex Leningradensis, der jeweils mit weiteren masoretischen Codices verglichen wurde, nämlich mit dem Codex Sasson 507, der Handschrift B 17 aus Leningrad/St. Petersburg sowie nicht zuletzt mit dem Aleppo-Codex, dessen Text ab Dtn 28,17 erhalten ist. Der masoretische Text des Dtn ist in Prosa-Partien gut erhalten, während im Lied des Mose (Dtn 32) und im Segen des Mose (Dtn 33) bekanntlich verschiedene Unsicherheiten vorliegen und die Septuaginta ebenso wie die Qumran-Texte erhebliche Abweichungen aufweisen. Über das ganze Buch hinweg verteilt liegt nicht zuletzt eine Reihe von Unterschieden in der Abschnitts- (= Sederim- bzw. Paraschen-) Gliederung vor, und zwar sowohl in der Zahl (32, 31, 27) als auch in der Einteilung der jeweiligen Abschnitte (siehe dazu die Übersichten, 10*–15*).
Der samaritanische Pentateuch wird nach dem Text der Synagoge von Sichem (Edition von Abraham Tal, The Samaritan Pentateuch, 1994) wiedergegeben, unter Heranziehung des Sefer Abischa sowie der alten Edition von August von Gall. Durch die Qumranfunde wurde deutlich, dass der Samaritanus und die oft mit ihm übereinstimmende Septuaginta ihren gemeinsamen Hintergrund in der Textvielfalt der frühjüdischen Zeit vor der Vereinheitlichung des masoretischen Texts haben. Die gelegentliche Übereinstimmung mit Qumrantexten zeigt zwar in der Tat, dass man keine exklusive [!] Beziehung zwischen Samaritanus und Septuaginta postulieren darf (7*), man vermisst aber ein Eingehen auf die Frage, wie es zu den zahlreichen Übereinstimmungen kommt bzw. warum in solchen Fällen der masoretische Text den anderen Textformen gegenübersteht.
Für den griechischen Text wird vor allem Wevers’ Deuteronomiumausgabe in der Göttinger Septuaginta verwendet, und zwar auch als Beleg für die hexaplarischen Versionen und für die lateinischen Übersetzungen. Die griechische Übersetzung tendiert an manchen Stellen zur Harmonisierung, aber auch zu Erweiterungen. Der oft unbegründbare Wechsel zwischen 2. Person Singular und 2. Person Plural wird in der Septuaginta verschiedentlich geglättet, wobei allerdings offen bleiben muss, ob nicht zumindest ein Teil dieser Glättungen bereits auf die hebräische Vorlage zurück­geht. Die Vulgata ist, wie auch sonst oft zu beobachten, eine recht genaue Wiedergabe des zu ihrer Zeit üblichen (masoretischen) Textes, wobei es allerdings auch Fälle gibt, wo die Vulgata mit der Septuaginta oder dem Samaritanus gegen den masoretischen Text übereinstimmt. Mutig erscheint mir die Aussage, dass die syrische Übersetzung zweifellos vom hebräischen Text [!] her gemacht wurde, wobei die Septuaginta vereinzelt von Einfluss gewesen sein kann (8*). Hier hätte man doch gerne ein paar Belege für die behauptete »internal evidence«! Eine Besonderheit ist, dass die syrische Übersetzung den Text manchmal durch Auslassung vereinfacht. Manchmal steht die syrische Übersetzung den targumischen Traditionen nahe, die allerdings untereinander sehr verschieden sind.
Der Kern der Edition ist die Wiedergabe des hebräischen Textes aus dem Codex Leningradensis einschließlich Randmasorah und Schlussmasorah. Der darunter stehende textkritische Apparat nimmt einen erheblichen Teil der jeweiligen Seite in Anspruch, vereinzelt bis zur Hälfte oder mehr. Dieser verhältnismäßig große Umfang liegt an einem größeren Schriftbild des textkritischen Apparates gegenüber der BHS. Andererseits werden nicht nur die Varianten zitiert und belegt, sondern jeweils auch Vorschläge zur Erklärung ihrer Entstehung gemacht. Ebenfalls mehr Platz als früher nimmt die Masorah ein: Während auf die Masorah Magna in BHS nur durch die bekannten Mm-Zahlen hingewiesen wurde, ist sie nun explizit wiedergegeben.
Der Abkürzungsapparat ist, wie schon bei der Besprechung des ersten Teilbandes festgestellt, gegenüber jenem von BHS kürzer und einfacher geworden (die Textgruppen haben jeweils einen Buchstaben, der durch hochgestellte Buchstaben spezifiziert wird, z. B. ML oder GA). Andererseits ist jedoch eine große Anzahl von Abkürzungen für interpretierende Bemerkungen hinzugekommen.
Im »commentary on the critical apparatus«, dem umfangreichs­ten Teil des Bandes (49*–169* [bzw. 190*]), wird ein erheblicher Teil der Varianten mehr oder weniger ausführlich diskutiert, wobei für viele der Stellen auch einschlägige Sekundärliteratur benannt wird. Die Diskussion ist durchaus weit gespannt und erörtert die verschiedensten Möglichkeiten. Manchmal gäbe es aber auch einfache Lösungen, wie z. B. eine andere hebräische Worttrennung in Dtn 26,5). Zum Teil ungewöhnlich ist die grammatische Terminologie. So spricht der Vf. zur Benennung der Verbformen von einem »Hebrew modifier« in einer bestimmten Person oder sg./pl.
Der Band zu Esra und Nehemia ist analog aufgebaut. Die »notes« zu Masorah Parva und Masorah Magna nehmen hier einen im Verhältnis größeren Raum ein. Der Kommentar zum kritischen Apparat ist dagegen ziemlich kurz. Der masoretische Text von Esra/Neh ist gut überliefert. Die neuen Farbaufnahmen des Codex Leningradensis erlaubten, einige Zweifelsfälle zu klären. Inhaltlich gibt es allerdings eine ganze Reihe von Ketib-Qere-Fällen, die doch eine gewisse Breite in der Überlieferung bezeugen.
An dieser Stelle sei hervorgehoben, dass im Codex Leningradensis, wie auch in einigen anderen der großen Handschriften, Esra/ Neh am Ende des Kanons stehen (8*), d. h., dass in diesen großen Codices nicht die Chronik am Ende steht. Mit anderen Worten: BHK und BHS weichen in dieser Hinsicht vom Codex Leningradensis ab (vgl. die dortigen Vorworte) und man kann sich fragen, wie die Gesamtausgabe von BHQ entscheiden wird.
Wie bei Dtn werden auch hier der griechische Text und ebenso die lateinische Übersetzung nach den Angaben der Göttinger Septuaginta-Ausgabe zitiert. Die griechische Übersetzung (Esra/ Nehemia = 2Esdras) lehnte sich sehr eng an die hebräische Vorlage an, wobei manche Begriffe nicht übersetzt, sondern nur transliteriert wurden. Dies beeinträchtigt zwar die Verständlichkeit im Griechischen, bestätigt aber andererseits den masoretischen Text. Die Textunterschiede gegenüber 1Esdras werden zwar angesprochen, aber berechtigterweise für den hebräischen Text nicht weiter diskutiert. Beide, die griechische wie auch die lateinische Übersetzung, bewahren an einigen Stellen interessante Varianten.
Insgesamt hat man mit den beiden Bänden eine schöne Neubearbeitung der betreffenden biblischen Bücher nach den Regeln von BHQ vor sich. Für den Fachmann ist damit eine gute Grundlage für textkritische Studien gegeben. Dass mir das neue Konzept für Studierende und Nicht-Spezialisten weniger zugänglich erscheint, habe ich an anderer Stelle bereits gesagt und ist wohl doch nicht nur eine Frage der Gewöhnung. Insbesondere, dass das Syrische nicht mehr transkribiert oder übersetzt wiedergegeben wird, erscheint mir nicht so sehr als Gewinn an Originalität, sondern eher als Verlust an Zugänglichkeit. Ich möchte daher dringend den Wunsch wiederholen, dass den Bänden zumindest eine Transkriptionstabelle für das Syrische beigegeben werden soll. (Zur Interpretation syrischer Varianten sollte übrigens beachtet werden, dass die Präposition la im Syrischen nicht nur wie das hebräische le den Dativ bezeichnet oder die Richtung angibt [»zu«], sondern auch Objektzeichen sein kann; d. h. beispielsweise, dass in Dtn 26,5 keine Richtungsänderung [»nach Aram«] vorliegt und das Verb seine normale Bedeutung »weggehen, verlassen« hat.)
Was in seiner Nützlichkeit noch deutlicher werden sollte, ist die doch aufwendige Wiedergabe der ganzen Masorah. Die gebotenen »notes« zur Masorah Parva und Masorah Magna sind zwar interessante, aber doch nur systemimmanente Erklärungen (die übrigens zeigen, dass es innerhalb der Welt der Masorah doch auch Fehler und Unausgeglichenheiten gibt). Die Verknüpfung mit dem eigentlichen Text herzustellen und den Ertrag für die Textkritik und das Textverständnis aufzuzeigen, ist vorläufig noch ein Desi­deratum.
Auch mit diesen Anfragen, die eher das Konzept betreffen, bleibt den beiden Autoren zu danken für ihren Beitrag zur Erforschung des Textes von Deuteronomium und Esra/Nehemia.