Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2008

Spalte:

266–270

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Henningsen, Lars N., u. Johann Runge

Titel/Untertitel:

Sprog og kirke. Dansk gudstjeneste i Flensborg 1588–1921.

Verlag:

Flensborg: Studieafdelingen ved Dansk Centralbibliotek 2006. 280 S. m. Abb. u. Porträts. gr.8°. Geb. DKr 168,00. ISBN 87-89178-62-9.

Rezensent:

Sten Haarløv

Folgende Titel werden ebenfalls in dieser Rezension besprochen:

Henningsen, Lars N.: Kirke og folk i Grænselandet. Dansk Kirke i Sydslesvig 1921–1996. Flensborg: Studieafdelingen ved Dansk Centralbibliotek 1996. 310 S. m. zahlr. Abb. u. Porträts. gr.8°. Geb. DKr 198,00. ISBN 87-89178-24-6.
Weitling, Günter: Fra Ansgar til Kaftan. Sydslesvig i dansk kirkehistorie 800–1920. Flensborg: Studieafdelingen ved Dansk Centralbibliotek 2005. 440 S. m. Abb. gr.8°. Geb. DKr 248,00. ISBN 87-89178-52-1.

Die Studienabteilung der dänischen Zentralbibliothek in Flensburg veröffentlicht laufend anregende und kompetente Forschungsarbeiten. Das Forschungsgebiet umfasst das dänisch-deutsche Grenzland und die Themen sind u. a. politische Geschichte, Sprachverhältnisse, die dänisch-deutsche Kriegsgeschichte, H. C. Andersen und die Herzogtümer, Biographien und Erinnerungen.
Im Laufe der letzten zehn Jahre sind in dieser Forschungsreihe drei inhaltsträchtige und wohlgeformte Publikationen erschienen, die jede für sich und zusammen die südschleswigsche Kirchengeschichte im dänischen und deutschen Grenzland von etwa 800 bis 1996 darstellen. Der Anfang dieser Serie wurde jedoch bereits mit der in deutscher Sprache geschriebenen Abhandlung Der lange Weg zur Gründung einer dänischen Gemeinde in Flensburg 1588–1921 gemacht, erschienen 1984 in Flensburg 700 Jahre Stadt – eine Festschrift, einem Werk in zwei Bänden, herausgegeben von der Gesellschaft für Flensburger Stadtgeschichte.
Südschleswig ist die Wiege der dänischen Kirchengeschichte. Fra Ansgar til Kaftan von G. Weitling ist die erste umfassende kirchengeschichtliche Darstellung (in dänischer Sprache) dieses Landesteils bezogen auf die dänische und deutsche Kirchengeschichte. Die Kirchengeschichte Südschleswigs beginnt im 9. Jh. mit dem Missionsvorstoß des Benediktinermönchs Ansgar, was um 850 zur Errichtung der ersten Kirche auf dänischem Boden in Hedeby bei Schleswig führt. Von diesem Zeitpunkt an ist die Stadt Schleswig ein Drehpunkt in der Kirchengeschichte des Landesteils. Schleswig wird im Jahre 948 Bischofsstadt zusammen mit Ribe und Aarhus. Das Stift Schleswig gehört von diesem Zeitpunkt an zum Erzbistum von Hamburg-Bremen. Als der Sitz des dänischen Erzbischofs 1103 in Lund errichtet wird, wird das Stift Schleswig in diese neue Kirchenprovinz eingegliedert, die außer Dänemark auch Norwegen, Schweden, Island und Grönland umfasst. Für Schleswig dauerte diese Zusammengehörigkeit mit dem Erzbischofssitz in Lund bis zur Schleswig-Holsteinischen Kirchenordnung von 1542, die die Reformation Luthers in den Herzogtümern einführt.
Das Stift Schleswig hat in allen Jahren eine Sonderstellung innerhalb des dänischen Königreiches eingenommen. Der südliche Teil war besonders kulturell und theologisch vom deutschen Nachbarn beeinflusst, während die dänische Beeinflussung mehr im nördlichen Teil des Stifts von Flensburg bis Haderslev (Hadersleben) verbreitet war.
Das führte dazu, dass das Stift als das einzige der dänischen Stifte prinzipiell zweisprachig war: Südlich der jetzigen Grenze war die Volkssprache überwiegend Niederdeutsch (Plattdeutsch), an einigen Orten auch sønderjydsk, eine Mundart, die noch heute nördlich der Grenze gesprochen wird, die Kirchensprache war jedoch Niederdeutsch/Hochdeutsch. Im nördlichen Teil des Stifts war die Volks- und Kirchensprache auf dem Lande sønderjydsk/Dänisch, während die Gottesdienste in den nordschleswigschen Städten in niederdeutscher/neuhochdeutscher Sprache gehalten wurden, ob–wohl Dänisch die vorherrschende Volkssprache war.
Kennzeichnend für diesen komplexen Sprachzustand ist, dass die bereits erwähnte Schleswig-Holsteinische Kirchenordnung von 1542 das Niederdeutsche als Kirchensprache für beide Herzogtümer verordnete – wie es der Titel der Kirchenordnung aussagt: »Christlycke Kercken Ordeninge / De yn den Fürstendömen / Schleswig / Holsten etc schal geholden werdenn« – aber bereits um 1650 wurde das Niederdeutsche durch das Hochdeutsche ersetzt, die Sprache Luthers, beeinflusst von der lutherischen Orthodoxie. G. Weitling pointiert u. a., dass es in diesen Jahrhunderten keine nationalen Beweggründe für die Variation zwischen der dänischen, niederdeutschen und hochdeutschen Sprache gibt, dass aber die regionalen Sprachunterschiede in hohem Maße von u. a. den kirchlichen Ausbildungszentren bestimmt sind. Das deutsch dominierte Domkapitel in Schleswig prägte das südliche Gebiet, das dänisch dominierte Kollegiatkapitel in Haderslev (Hadersleben) das nördliche Gebiet des Stiftes.
Erst in Verbindung mit der völkischen Bewusstseinsbildung im 19. Jh. und den deutsch-dänischen Kriegen 1848–50 und 1864 wurde die nationale Frage wirklich auf die Tagesordnung gesetzt. Diese unheilvollen Kriege führten wie bekannt zu starken Gegensätzen und Spannungen zwischen der dänischen und deutschen Kultur, und die Verhältnisse verschärften sich noch mehr unter der deutschen Fremdherrschaft von 1867 bis 1920, als Dänisch als Sprache des Gottesdienstes stark bedrängt und schließlich ab 1911 in den Landgemeinden verdrängt wurde, weil diese Sprache von den preußischen Behörden nicht toleriert wurde.
Eine Sonderstellung während dieser wechselhaften Verhältnisse nahm jedoch die Stadt Flensburg ein, wo seit der Reformation ununterbrochen dänische Gottesdienste abgehalten wurden – nicht auf Kosten der niederdeutschen/hochdeutschen Hauptgottesdienste, vielmehr neben diesen. Seit Ende des Mittelalters, besonders seit etwa 1550, war die Hafenstadt Flensburg Ziel einer bedeutenden Einwanderung aus dem Süden und Norden. Es kamen dänischsprachige Dienst- und Handelsleute, Handwerker und Seeleute mit ihren Familien. Für diese Zielgruppe ließ der Magistrat der Stadt am Ende des 16. Jh.s dänische Gottesdienste abhalten, die in der kleinen Kirche Helligåndskirken (Heiliggeistkirche) in der Stadtmitte stattfanden, einer Kirche, die noch heute existiert. »Helligåndsklostret«, das frühere Franziskanerkloster, war der Eigentümer der Kirche und seit 1588 wird sie als die dänische Kirche der Stadt betrachtet. Die Kirche, deren Pastor der Rat der Stadt wählte, hatte nicht den Status einer Gemeindekirche mit den dazugehörigen Rechten, sie war also am ehesten eine Sprachkirche, die die dänischsprachigen Bürger bediente. Die kirchlichen Handlungen und die daraus erfolgenden Einnahmen wurden registriert bei den beiden Hauptkirchen der Stadt.
Eine wirklich selbständige und freie dänische Gemeinde der Heiliggeistkirche entstand erst 1851, als die Stadtverwaltung nach dem dreijährigen Krieg 1848–50 dänisch dominiert war. Diese freie Gemeinde bedeutete, dass jeder von diesem Zeitpunkt an die Freiheit hatte, sich der dänischen Gemeinde anzuschließen unabhängig von der Gemeinde, in der man seinen Wohnsitz hatte. Wie es in Sprog og kirke. Dansk gudstjeneste i Flensborg 1588–1921 hervorgehoben wird, ruht diese Bildung der Gemeinde auf dem Prinzip der Möglichkeit des Austritts aus der Wohnkirchengemeinde und auf dem Prinzip der Freiheit der Gesinnung, einem Prinzip, das seiner Zeit voraus war. Diese selbständige, freie dänische Gemeinde, deren Pastor direkt vom dänischen König ernannt wurde und vom dänischen Staat entlohnt wurde, existierte jedoch nur bis 1864, als der Landesteil Schleswig der österreichisch-preußischen Herrschaft unterstellt wurde. Das bedeutete, dass die Mitglieder der dänischen Gemeinde Flensburgs zu den jeweiligen deutschen Kirchengemeinden zurückgeführt wurden. Die dänischen Gottesdienste in der Heiliggeistkirche wurden jedoch fortgesetzt, jetzt aber abgehalten von einem dänischsprachigen deutschen Pastor der nördlichen Kirchen Flensburgs, nämlich der Kirche St. Marien und ab 1909 der neu errichteten Kirche St. Petri. Der dänischsprachige Pastor der Heiliggeistkirche bewahrte auch das Recht, kirchliche Handlungen in dänischer Sprache auszuüben, wenn dies ge–wünscht wurde.
Nach 1900 wurden die dänischen Gottesdienste immer mehr bedrängt als Folge der zunehmenden »Germanisierung«. Dänische Gottesdienste in der Heiliggeistkirche wurden daher nur jede zweite Woche abgehalten. Das führte dazu, dass ein Kreis einflussreicher dänischer Bürger im Jahre 1905 eine kirchliche Gesellschaft (Kirkeligt Samfund) gründete mit dem Ziel, die Abhaltung dänischer Gottesdienste in Flensburg zu unterstützen. Daraus erfolgte, dass die kirchliche Gesellschaft als Organisator einer Anzahl abendlicher Extragottesdienste pro Jahr auftrat, die von eingeladenen dänischen Pastoren abgehalten wurden, besonders von dänischsprachigen Pastoren aus Nordschleswig und von dem zweiten Pfarrer der Kirche St. Petri. Diese Gottesdienste waren in der Regel gut besucht mit einer Teilneh–merzahl von 150–200 Personen.
Nach der Enttäuschung über das Abstimmungsergebnis im Jahre 1920 gab es in den dänischen Kreisen sowohl nördlich als auch südlich der jetzigen Staatsgrenze den Wunsch, das dänische Kirchenleben in Flensburg und in dem »verloren gegangenen« Landesteil zu stärken. Die dänischen Kreise in Flensburg (Kirkeligt Samfund) forderten erneut die Bildung einer selbständigen dänischen Gemeinde innerhalb der Landeskirche und mit einem Pastor aus Dänemark, der berechtigt sein sollte, alle kirchlichen Handlungen auszuführen. Diesen Wunsch erfüllten die deutschen Behörden nicht, weshalb man wählte, eigene Wege zu gehen.
Die Folge war, dass das dänische Kirchenleben südlich der Grenze von jetzt an neu ausgerichtet wurde. Mit Unterstützung von kirchlichen Kreisen in Dänemark beschloss die kirchliche Gesellschaft (Kirkeligt Samfund) im Jahre 1921 in enger Zusammenarbeit mit der dänischen Organisation für dänische Kirchen im Ausland (Dansk Kirke i Udlandet) eine selbständige dänische Gemeinde zu errichten (Den danske Menighed i Flensborg) mit eigenem Kirchensaal und eigenem Pastor aus Dänemark. Damit war die Verbindung zur Landeskirche abgebrochen, und von jetzt an war es das Ziel, eine dänische Gemeinde aufzubauen, die u. a. in ihren Bräuchen und Ritualen so eng wie möglich mit der dänischen Volkskirche verbunden sein sollte. Für die neu gebildete Gemeinde kaufte Dansk Kirke i Udlandet das alte Hotel und Restaurant »Kaiserhof«, das umgebaut wurde und den Namen »Ansgar« erhielt. Im Juni 1921 wurde C. W. Noack, der spätere Bischof des Stiftes Haderslev (Hadersleben), der erste Pastor der Gemeinde, der sich mit Beginn seiner Amtsperiode in Flensburg auf eine markant dänisch-volkskirchliche Linie festlegte, was die Rituale der Gottesdienste und die kirchlichen Handlungen betraf. Diese bewusste dänisch-volkskirchliche Linie war hiernach der Leitfaden für die Arbeit der dänischen Kirche in Südschleswig. Als der heutige Zusammenschluss der dänischen Gemeinden unter dem Vereinsnamen »Den danske kirke i Sydslesvig e. V.« im Jahre 1959 gebildet wurde, wurde in dem heute noch geltenden Paragra phen 2 festgelegt, dass der Zweck des Zusammenschlusses ist, »direkt und ausschließlich die dänische volkskirchliche Arbeit in Südschleswig zu fördern«.
Mit der Gründung von »Den danske Menighed i Flensborg« (Die dänische Gemeinde in Flensburg) im Jahre 1921 wuchs das dänische Kirchenleben in Südschleswig. Die Gemeinde Flensburg bekam die Heiliggeistkirche im Jahre 1926 zurück in der Form eines Mietvertrages mit den deutschen kirchlichen Behörden. Und in den darauf folgenden Jahren wurden überall im Landesteil Gemeinden und Lokale zur Durchführung von Gottesdiensten errichtet, so dass heute in ganz Südschleswig 35 organisierte Gemeinden mit 24 Pastoren zu verzeichnen sind. Neue Kirchenbauten und die Einrichtung von Kirchensälen wurden mit eingesammelten Mitteln, Mitteln aus Fonds und mit staatlicher Unterstützung finanziert, wie auch das Gesetz aus dem Jahre 1968 über die Zusammenarbeit mit der deutschen Landeskirche den Weg für eine gleichwertige und loyale Zusammenarbeit der beiden Kirchen geebnet hat (»Kirchengesetz zur Regelung der Zusammenarbeit mit der ›Dänischen Kirche in Südschleswig e. V.‹«).
Ein sichtbares Zeichen dieser konstruktiven Koexistenz gab es im Jahre 1997, als die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche die Heiliggeistkirche dem Verein der dänischen Kirche in Südschleswig übergab. Bevor es jedoch dazu kam, zeichnete sich ein Bild einer bewegten Geschichte zwischen den beiden Kirchen ab, voll von nationalen Konflikten, nationalem Misstrauen und unterschiedlicher Kirchenauffassung – aber glücklicherweise auch ge–kennzeichnet von einer Reihe guter Beispiele der Ausdauer, um haltbare Lösungen zu finden.
Mit den drei vorliegenden Büchern Fra Ansgar til Kaftan. Sydslesvig i dansk kirkehistorie 800–1920, Sprog og Kirke. Dansk gudstjeneste i Flensborg 1588–1921 und Kirke og folk i Grænselandet. Dansk Kirke i Sydslesvig 1921–1996 bieten die drei Verfasser G. Weitling, J. Runge und Lars N. Henningsen eine detaillierte, wohlgeformte und gut dokumentierte Darstellung der Geschichte der dänischen (und der deutschen) Kirche in dem dänisch-deutschen Grenzland.

Flensburg Sten Haarløv